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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1004 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Parsenios, George L.:

Titel/Untertitel:

Departure and Consolation. The Johannine Farewell Discourses in Light of Greco-Roman Literature.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2005. X, 174 S. gr.8° = Supplement to Novum Testamentum, 117. Geb. Euro 75,00. ISBN 90-04-14278-9.

Rezensent:

Jörg Frey

Die erfreulich knappe, in Yale unter Harold Attridge verfasste Dissertation des nun in Princeton lehrenden Autors ist ein interessantes Werk, das die Forschung mit stupender Quellenkenntnis und guter (aber stark auf den englischsprachigen Raum konzentrierter) Literaturbeherrschung über bekannte Alternativen hinausführt. Thema sind die johanneischen Abschiedsreden, ihre literarische und narrative Einheitlichkeit, ihre literarische Gattung und ihr religionsgeschichtlicher Kontext. P. untersucht Aspekte der Abschiedsreden im Licht griechisch-römischer Literatur, wobei er es erfreulicherweise vermeidet, diesen Ansatz in Kontrast zu der nach wie vor mehrheitlich vertretenen und von ihm selbst auch akzeptierten stark jüdischen Prägung des Joh zu stellen. So können griechisch-römische Texte ergänzende Einsichten eröffnen:

P. geht aus von der Beobachtung, dass die Abschiedsreden in der Forschung meist einer einzigen Gattung, dem literarischen Testament, zugeordnet werden, während die Einheit des Textstücks selbst, die Zahl der Reden bzw. Redestücke und ihre literarische Schichtung strittig sind. Dagegen setzt er die These, dass Joh 13­17 gattungsmäßig Aspekte mehrerer literarischer Gattungen in sich vereinen und dass sich dadurch umgekehrt Argumente für die kompositionelle bzw. narrative Einheit des Textstücks ergeben. Eine Entscheidung in der Frage der Verfasserschaft ist aber nicht intendiert; hier bevorzugt P. offene Formulierungen. Mit Recht kritisiert P., dass Vertreter einer narrativen Einheit des Joh in ihrer synchronen Lektüre oft die ðAporienÐ, die zur Dekomposition veranlasst haben (vor allem Joh 14,31), nicht wirklich erklären, sondern allzu schnell beiseite schieben. Die Frage stellt sich, ob für Jesu ðHinausgehenÐ in Joh 14,31 und die scheinbar unmotivierte Fortsetzung der Rede in Joh 15­17 bessere Erklärungen möglich sind als die bloße Annahme einer (zumal äußerst ungeschickt vorgehenden) Redaktion.

P. zieht Beobachtungen aus dem antiken Drama heran, wobei er wieder in glücklicher Weise eine Alternativsetzung von narrativen und dramatischen Aspekten vermeidet. In Joh 13­17 sind zwei szenische Veränderungen auffällig: der Abtritt des Judas in 13,30 und in 14,31 Jesu Aufforderung zum Aufbruch, die dann erst verzögert in 18,1 ausgeführt wird. Beide Elemente lassen sich unter dramatischen Aspekten beleuchten: In antiken Tragödien (P. wählt als Beispiel Aischylos¹ Sieben gegen Theben), Komödien und anderen szenischen Stücken ist das Motiv des Abtritts einer Figur von der Bühne ein wirkungsvolles Darstellungsmittel. Damit verändert sich die Szenerie, und der Abgetretene kann ggf. im Hintergrund agieren, um dann bei Gelegenheit erneut aufzutreten. So fungiert der Hinausgang des Judas, der von Jesus zu seinem Wirken aufgefordert wird und dann in Joh 18 wieder erscheint. Jesu Aufforderung zum Aufbruch und dessen verspätete Ausführung haben ebenfalls dramatische Parallelen im Motiv des verspäteten Aufbruchs, durch den eine Spannung aufgebaut bzw. die Aufmerksamkeit auf die Gründe der Verzögerung oder die in dieser ðZwischenzeitÐ vorgetragenen Worte fokussiert wird. Der Inhalt dieser Worte erscheint so besonders hervorgehoben.

P. beobachtet mit Recht, dass nicht alle Motive der Abschiedsreden gleich fest in den Texten belegt sind, die als literarische Testamente gelten können. Insbesondere die vielfältigen Funktionen des Geist-Parakleten, der ja nicht nur ðNachfolgerÐ, sondern geradezu ðDoppelgängerÐ (Windisch) oder ðPlatzhalterÐ Jesu bei den Seinen ist, haben in der Testamentenliteratur kaum Analogien. Erhellend ist hier die Heranziehung der griechisch-römischen consolatorischen Literatur (Reden, Briefe etc.). Im Lichte von Parallelen aus Texten z. B. Senecas zeigt sich, dass die Gattung der Abschiedsreden über die Form des literarischen Testaments hinaus nicht nur durch Modelle aus dem Drama, sondern auch durch Elemente, die in griechischen und römischen Trostschriften beheimatet sind, beeinflusst oder ­ wie P. im Anschluss an Attridge formuliert ­ »gebeugt« ist.

Dieses johanneische »genre bending« zeigt sich noch in einer dritten Hinsicht: Die Szenerie der Abschiedsreden nimmt auch Elemente der Darstellung des antiken Symposiums auf. Die Verknüpfung von Mahl und Reden (die so in den Synoptikern nicht vorliegt), die Einzeichnung des Verrats in das Mahlgeschehen und die Thematisierung von Freundschaft und gegenseitiger Liebe (aber erst nach dem Abtritt des Verräters) lassen sich von diesem Modell her erklären.

In der Heranziehung griechisch-römischer Texte zeigt sich somit eine generische Einwirkung dramatischer, consolatorischer und symposiastischer Texte, durch welche die ­ nach wie vor grundlegende ­ Gattung des literarischen Testaments eigentümlich ðgebeugtÐ wird. Zugleich werden durch die Anlehnung an solche Modelle einige der literarischen Probleme der Abschiedsreden besser verständlich, so dass die narrativ-szenische Einheit und Sinnhaftigkeit von Joh 13­17 auf diesem gattungsgeschichtlich komplexeren Hintergrund plausibler wird. Der Ansatz bietet ­ ungeachtet der Frage der Plausibilität der einzelnen vorgetragenen Parallelen ­ neue Impulse für die Frage nach literarischen Gattungen im Joh. Statt der bloßen Zuordnung zu vermeintlich ðvorgegebenenÐ Gattungen ist differenziert nach dem Zusammenwirken unterschiedlicher Modelle und ihrer narrativ-rhetorischen Wirkung zu fragen. Zugleich zeigt die Arbeit erneut, dass im Blick auf das Joh religionsgeschichtlich jede Alternative zwischen biblisch-frühjüdischen und griechisch-römischen Modellen verfehlt ist. Mit diesen Impulsen lädt die Untersuchung von P. zu analogen Erkundungen bei anderen johanneischen Texten ein.