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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1002 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Münch, Christian:

Titel/Untertitel:

Die Gleichnisse Jesu im Matthäusevangelium. Eine Studie zu ihrer Form und Funktion.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2004. X, 331 S. 8° = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 104. Geb. Euro 54,00. ISBN 3-7887-2035-2.

Rezensent:

Kurt Erlemann

Das Gleichnisbuch ist die veröffentlichte Dissertation des Dschulnigg-Schülers Christian Münch und ist von ihrer Zielsetzung her ein Beitrag zur Profilbeschreibung der matthäischen »Redaktionstechnik im Umgang mit den Gleichnissen« (56). Insbesondere lenkt M. sein Interesse auf das Verhältnis von Kontextbindung und literarischer Eigenständigkeit der matthäischen Gleichnisse (57). Methodisch korrespondieren dem ein Brückenschlag zwischen jesuszentrierter und redaktionskritischer Gleichnisforschung sowie die Verschränkung diachroner und synchroner Fragestellungen (56 ff.), gleichnistheoretisch schließlich die Auseinandersetzung mit Jülichers Theorie, wonach der parabole-Begriff der Synoptiker als auslegungsbedürftige Rede bzw. als Vermischung von eigentlicher und uneigentlicher Rede ein Missverständnis darstellt (8 ff.).

In einem ersten Teil (8­60) präsentiert M. die Geschichte der Gleichnisforschung, mit dem besonderen Schwerpunkt der redaktionskritischen Arbeiten zum MtEv. Dies geschieht übersichtlich und transparent, differenziert und ausgewogen. Deutlich wird, dass mit Blick auf die matthäischen Gleichnisse ein Defizit in der deutschsprachigen Forschung besteht, das durch die vorliegende Arbeit ausgeglichen werden soll. Der Hauptteil der Arbeit ist dem redaktionellen Umgang mit den Gleichnissen im MtEv gewidmet. Insbesondere werden die Mittel der literarischen Kontextualisierung, die thematische Einbindung und »Funktionalisierung«, die Auslöser des Referenzprozesses sowie die pragmatische Zuspitzung der Gleichnisse analysiert. Dies geschieht ebenfalls durchweg methodisch und philologisch präzise, ausgewogen und differenziert.

Auf diesem Wege kommt M. zu teilweise interessanten und weiterführenden Fragestellungen und Beobachtungen. Der matthäische parabole-Begriff etwa wird in seiner Zuspitzung auf die für Jesus charakteristische und ihm vorbehaltene, »im göttlichen Ratschluss« (77) begründete Offenbarungsrede über die Basileia Gottes verdeutlicht, die zum Verstehen auffordere (73­128, im Gegensatz zur »Lehre« Jesu über Gesetz und Ethik). Ihre wesentliche Leistung sei es, die heilsgeschichtliche Dimension der Basileia Gottes und die Konsequenzen dieser Geschichte für die Gegenwart der Gemeinde herauszuarbeiten (144). M. erkennt vor allem in Stereotypisierung, Konventionalisierung und Kontextualisierung die Tendenz der matthäischen Redaktionsarbeit (144.154.212.248.295). Typisch für den Matthäusevangelisten sei es, dass er die Gleichnisse regelmäßig mit Analogieschlüssen und Folgerungen abschließt (286). Die Gleichnisse werden von Matthäus, so M., mit Hilfe eines »hinterlegten Geschehens« und punktuellen Identifizierungen ausgelegt (289). Erfreulich zurückhaltend äußert sich M. zur »Sache« der Gleichnisse (251). Gleichnistheoretisch weiterführend könnte seine Anfrage sein, ob überhaupt zwischen metaphorischen und nichtmetaphorischen Anteilen im Gleichnis unterschieden werden könne (231).

Neben diesen präzisen und aufschlussreichen Beobachtungen stehen solche, die eher ältere Erkenntnisse bestätigen. So führt die Erörterung der Auslöser des Referenzprozesses nicht über Bekanntes hinaus (161 ff.). Die nicht neue (und nicht falsche, wenn auch einseitige!) Auffassung von der rhetorischen und apologetischen Funktion der matthäischen Gleichnisse findet durch die Analyse eine eindrucksvolle Bestätigung (70­72.158­160). Dagegen kommt die von M. eingangs konstatierte, relative Eigenständigkeit der Gleichnisse gegenüber dem literarischen Kontext (72) zu wenig zum Tragen. Nicht eigentlich überraschend ist die Beobachtung, dass Matthäus mit der Re-Formulierung der Gleichnisse eine Brücke von der erzählten Situation zur Situation »seiner« Gemeinde schlägt (69 f.165 f.). Die methodisch zur Begründung beigezogene Unterscheidung von Tradition und Redaktion in den matthäischen Gleichnissen wird von M. selbst zuweilen als schwierig und unsicher gekennzeichnet (151.247.289).

M. untermauert weiterhin die Sichtweise Jülichers, wonach die Gleichnisse in den Evangelien schwer verständliche Rede darstellen (73­128.257.293). Allerdings teilt M. nicht das Verdikt Jülichers, wonach die schriftlich fixierten Gleichnisse Allegorien seien. Vielmehr zeichne sich die matthäische Gleichnisrede durch das Wechselspiel zwischen den Aussageebenen aus (296). In diesem Punkt schließt M. an die Sichtweise Klaucks und anderer zur Allegoriediskussion an. Ebenfalls nicht neu ist die Feststellung, dass mit der matthäischen Parabeltheorie die Trennlinie zwischen (potenziell verstehendem) Jüngerkreis und (dauerhaft unverständigen) Gegnern markiert wird (77 ff.). Schlüssel des Verständnisses ist die Aufrichtung der Gottesherrschaft im Wirken Jesu (301).

Es bleibt festzuhalten, dass M. mit seinen gründlichen Recherchen einen umfassenden Einblick in die matthäische Redaktionstechnik gibt, auch wenn nicht alle Ergebnisse überraschen. Um das Ergebnis weiter zu profilieren, wäre eine Gegenüberstellung zur lukanischen Redaktionstechnik wünschenswert. Denn vieles, was über Matthäus zu sagen ist, scheint, auf den ersten Blick jedenfalls, auch für Lukas zu gelten.