Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2006

Spalte:

997–1000

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Garrow, Alan J.

Titel/Untertitel:

The Gospel of Matthew¹s Dependence on the Didache

Verlag:

London-New York: T & T Clark (Continuum) 2004. XXXIII, 272 S. m. 1 Abb. gr.8° = Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series, 254. Lw. £ 70,00. ISBN 0-8264-6977-9.

Rezensent:

Jens Schröter

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Sandt, Huub van de [Ed.]: Matthew and the Didache. Two Documents from the Same Jewish-Christian Milieu? Assen: Royal Van Gorcum; Minneapolis: Fortress Press 2005. VI, 310 S. gr.8° = Compendia Rerum Iudaicarum ad Novum Testamentum. Geb. Euro 49,50. ISBN 90-232-4077-4 (Royal Van Gorcum); 0-8006-3722-4 (Fortress Press).

Die Aufmerksamkeit, die die Didache (Did) in der neueren Forschung findet, wird durch die beiden hier zu besprechenden Bände eindrucksvoll dokumentiert. Im Zentrum des Interesses steht ihre Stellung in der frühchristlichen Literatur, speziell das Verhältnis zum Matthäusevangelium (MtEv).

Die Monographie von Garrow geht auf seine Oxforder Dissertation zurück, die in der Endphase von Christopher Tuckett betreut wurde. Sie befasst sich mit der Kompositionsgeschichte der Did und gelangt, wie schon der Titel anzeigt, zu einem von der zumeist (auch von Tuckett) vertretenen Position abweichenden Ergebnis: Nicht die Did sei vom MtEv abhängig, sondern umgekehrt.

Am Beginn gibt G. den Did-Text nach dem von Philothetos Bryennios 1873 entdeckten und 1883 edierten Jerusalemer Manuskript wieder, einschließlich einer englischen Übersetzung. Angefügt ist das von G. selbst erschlossene Ende der Did (16,9), sprachliche Übereinstimmungen mit dem MtEv sind durch Unterstreichungen gekennzeichnet. In drei Kolumnen werden zudem die überlieferungsgeschichtlichen Urteile G.s vorab präsentiert: Die erste Spalte ordnet das jeweilige Textstück einer der fünf von G. vermuteten Stufen der Kompositionsgeschichte der Did zu. Die zweite Kolumne zeigt an, ob es sich um eine ursprünglich selbständige Überlieferung handelt, die dritte Kolumne gibt Verse aus dem MtEv mit sachlichen oder wörtlichen Übereinstimmungen an.

In einer Einleitung führt G. in die Diskussion um sein Thema ein. Die Abhängigkeit der Did vom MtEv sei häufig mit dem Hinweis auf das spätere Entstehungsdatum sowie mit den vier Erwähnungen eines »Evangeliums« begründet worden. Dass sich Letztere auf das MtEv beziehen können, wird von G. nicht bestritten, wohl aber, dass daraus pauschal auf ein jüngeres Alter der Did gegenüber dem MtEv geschlossen werden könne.

Die folgenden Kapitel sind drei Hauptteilen zugeordnet: »The Compositional History of the Didache« (Kapitel 2­10), »The Points of Contact between the Didache and Matthew¹s Gospel« (Kapitel 11­15) sowie eine »Conclusion« (Kapitel 16). Im ersten Teil wird anhand von Fallstudien die Kompositionsgeschichte der Did untersucht und eine Charakterisierung der Redaktionsschichten vorgenommen. Die in Did 9 und 10 verarbeiteten Eucharistiegebete seien nicht Teil derselben Mahlüberlieferung gewesen, vielmehr handle es sich um ursprünglich eigenständige Gebete am Übergang vom Sättigungsmahl zur Eucharistie. In Did 16 seien eine eschatologische Rede, eine Interpolation (16,7) sowie der in 16,1 f. begegnende Ruf zur Wachsamkeit zu identifizieren. In der Zwei-Wege-Lehre in Did 1­5 entdeckt G. einen vierstufigen Kompositionsprozess. Die redaktionellen Schichten werden sodann näher bestimmt als so genanntes »Peri Layer«, als »Prophet Document«, als »Modifying Teaching Layer«, als »Gospel Layer« sowie als »Full Extent of the Peri Layer«.

Teil II untersucht 26 Analogien zwischen Did und MtEv. In 23 Fällen lasse sich die Annahme einer Abhängigkeit des MtEv von der Did wahrscheinlich machen. Die Begründung lautet in der Regel, dass der überlieferungsgeschichtliche Befund eine solche Annahme wesentlich näher lege als die umgekehrte.

Die Studie ist zweifellos ein wichtiger Beitrag zum Verhältnis von Did und MtEv. Ihre Stärke liegt in der detaillierten kompositionsgeschichtlichen Analyse des Did-Textes. Sie unterstreicht zudem die Bedeutung der Did für die Rekonstruktion der synoptischen Überlieferungsprozesse. Mit der These von fünf redaktionellen Schichten in der Did begibt sich G. gleichwohl auf unsicheres Gelände. Die Wege, die er bahnt, um aus diesem wieder hinauszugelangen, wirken mitunter eher als Neuschöpfungen denn als Freilegungen tatsächlich existierender. G. räumt die Grenzen seiner Analyse am Schluss des 1. Teils dann auch selbst ein. Ein weiteres Problem ist, dass G.s These zufolge der Verfasser des MtEv eine ältere Version der Did benutzt, das MtEv seinerseits dagegen auf die Endfassung des Did-Textes eingewirkt habe. Ob sich eine derart komplexe Überlieferungslage ­ sollte sie tatsächlich existieren ­ noch erkennen ließe, kann zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden. Vermutlich wäre hier ein flexibleres überlieferungsgeschichtliches Modell angebrachter.

Der von van de Sandt herausgegebene Band geht auf eine Konferenz am 7. und 8. April 2003 an der Theologischen Fakultät Tilburg zurück. Er enthält 12 Beiträge, die drei Kategorien zugeordnet sind.

In Teil I (»Milieu«) beleuchtet Bas ter Haar Romeny das Verhältnis von Judentum und Christentum in Syrien, insbesondere in Edessa, nach 70. Sowohl das MtEv als auch die Did ließen sich innerhalb des vielfältigen Judentums dieser Zeit verstehen. Indizien für eine Trennung von Juden und Christen in eigene soziologisch greifbare Gemeinschaften seien dagegen nicht festzustellen. Die Frage ist allerdings, was man als »Judentum« definiert. Wäre die Ekklesia des Matthäus von Synagogengemeinschaften als »jüdisch« beurteilt worden? Welche Art von Judentum schwebte Matthäus vor, wenn er dazu auffordert, »alle Völker« zu taufen und in der Lehre Jesu zu unterweisen?

Der zweite Beitrag dieses Teils stammt von Clayton N. Jefford. Er lokalisiert sowohl das MtEv als auch die Did in Antiochia. Dadurch entsteht die Frage nach dem Verhältnis zur paulinisch geprägten Theologie des Ignatius. Jefford sieht die Lösung in der »realization of the complex diversity of the Antiochian church community« (47). Das mutet recht vage an, und es fragt sich, ob die Indizien für eine Zuweisung der Did nach Antiochia ausreichen.

Teil II ist mit »The Two Documents: Their Provenance and Origin« überschrieben und enthält je einen Beitrag zu MtEv und Did. Wim Weren entwirft eine Geschichte der matthäischen Gemeinde, die sich in drei Phasen von galiläischen Judenchristen zu einer aus Juden- und Heidenchristen zusammengesetzten Gemeinde im südlichen Syrien entwickelt habe. Er übersieht dabei, dass sich Textbefunde nicht einlinig auf historische Ereignisse abbilden lassen. Aaron Milavec plädiert für die Eigenständigkeit der Did, die er als früh und unabhängig von den Evangelien beurteilt. Es handle sich um eine Materialsammlung zur Unterweisung christlicher »Novizen«, die einzeln von christlichen Lehrern unterwiesen werden sollten.

Der mit Abstand umfangreichste Teil III (acht Beiträge) heißt »Two Documents from the Same Jewish-Christian Milieu?« und bearbeitet diese Frage anhand von Textuntersuchungen. Das dabei entstehende Bild ist nicht einheitlich, es lassen sich aber bestimmte Linien erkennen: Eine überlieferungsgeschichtliche Verwandtschaft von MtEv und Did wird in der Regel angenommen, ohne die Eigenständigkeit beider Schriften dadurch in Frage zu stellen. So argumentiert der Beitrag von John S. Kloppenborg zu Did 1,3b­2,1, dass die Kenntnis der lukanischen Redaktion von Q in der Did vorauszusetzen sei. Joseph Verheyden beurteilt den eschatologischen Abschnitt in Did 16 als Interpretation und Weiterführung von Mt 24­25. Karen Syreeni zeigt in einem Vergleich von Bergpredigt und Zwei-Wege-Lehre die Eigenständigkeit der jeweiligen Verarbeitung des Materials. Gerard Rouwhorst schließlich fragt anhand einer Untersuchung der eucharistischen Gebete in Did 9­10, warum die Did, sollte sie das MtEv gekannt haben, nicht die dort begegnende Überlieferung vom letzten Mahl Jesu übernommen habe. Die Frage ist nicht nur für das Verhältnis von MtEv und Did, sondern für die frühchristliche Abendmahlsüberlieferung insgesamt überaus bedeutsam, was in dem Beitrag von Rouwhorst nur angedeutet wird.

Eine ebenso originelle wie unbeweisbare These vertritt André Tuilier (»Les charismatiques itinérantes dans la Didachè et dans l¹Évangile de Matthieu«): Die Did sei um 70­75 auf der Grundlage der bei Papias erwähnten aramäischen Logia des Matthäus entstanden, die später ins Griechische übersetzt und dadurch zur Grundlage des MtEv geworden seien. Als Argument dient ihm vor allem die in der Did angeblich noch wenig entwickelte Struktur von Gemeindeleitung.

In einem abschließenden Beitrag ordnet Jonathan Draper beide Schriften in die Geschichte der Trennung von Judentum und Christentum ein (»Do the Didache and Matthew Reflect an ðIrrevocable Parting of the WaysÐ with Judaism?«). Seiner Ansicht nach repräsentiert die Did ein älteres Stadium, in dem die Nähe zum Judentum noch größer, die Polemik entsprechend geringer gewesen sei als im MtEv, das sich bereits stärker der Heidenmission geöffnet habe. Ein einheitlicher Ertrag des Bandes lässt sich nicht formulieren. Er zeigt indes die im Gang befindliche Diskussion um die Einordnung der Did in die Überlieferungs- und Theologiegeschichte des frühen Christentums.

An einigen Stellen hätte man sich Präzisierungen gewünscht. So sollte z. B. geklärt werden, mit welchen Definitionen von »Judentum« und »Christentum« gearbeitet wird und welche Kriterien für überlieferungsgeschichtliche Pri- und Posteriorität angelegt werden. Nicht zuletzt wäre ein Beitrag hilfreich gewesen, der sich mit den gattungsbedingten Unterschieden zwischen beiden Schriften befasst. Vermutlich lässt sich deren gegenseitiges Verhältnis nicht ohne die Beachtung dieser Frage zufriedenstellend beschreiben.