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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

995–997

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dormeyer, Detlev:

Titel/Untertitel:

Das Markusevangelium

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005. 239 S. m. Tab. gr.8°. Geb. Euro 59,90. ISBN 3-534-15613-7.

Rezensent:

Gudrun Guttenberger

Bei diesem Buch handelt es sich um die erweiterte und leicht überarbeitete Fassung des Bandes »Evangelium als literarische und theologische Gattung« (Erträge der Forschung 263, Darmstadt 1989). Hinzugekommen ist ein Kapitel im Umfang von ca. 100 Seiten unter Verwendung von Texten aus der Publikation »Das Markusevangelium als Idealbiographie von Jesus Christus, dem Nazarener« (Stuttgarter Biblische Beiträge 43, Stuttgart 1999; vgl. z. B. Markusevangelium 192-196 mit Idealbiographie 177-185, Markusevangelium 212-217 mit Idealbiographie 200-205). Der jetzt vorliegende Band gibt einen guten Einblick in die methodische und inhaltliche Arbeit des Vf.s und seine Rezeption der Markusforschung. Der Vf. deutet an, für die Reihe »Erträge der Forschung« auch den noch fehlenden Band zum Markusevangelium vorlegen zu wollen; zugleich formuliert er die Absicht, die großen Forschungslinien zum synoptischen Problem von der Aufklärung bis heute darzustellen (9). Der größte Textteil (ca. 130 S.) beschäftigt sich mit der Gattungsbestimmung des Evangeliums. Zu besprechen ist hier zum einen die Bearbeitung des Textbestandes von 1989 sowie zum anderen das neu hinzugefügte Kapitel zum Markusevangelium in der gegenwärtigen Diskussion.

Der übernommene Text wird an die neue Rechtschreibung angepasst, in der Terminologie modernisiert (z. B. »narrative Texttheorien« [24] statt »Textlinguistik« in ders., Evangelium, 39 f.) und durch die Hinzufügung von Schlusssätzen und neuen, kleinen auf die Fragestellung des Bandes hin ausgerichteten Abschnitten (z. B. der Schlusssatz des 2. Kapitels: »Auch an die Zwei-Quellen-Theorie bleiben weiterhin Fragen gerichtet«[30]; im 6. Kapitel Abschnitte über Robbins und Thompsons [118 f.], Lührmann und Köster [122 f.], Hengel [127 f.] und Aune [133 f.]). In den Kapitelüberschriften ist durchgehend »Evangelium« durch »Markusevangelium« ersetzt worden. Literatur, auch solche, die vor 1990 erschienen ist und sich nicht spezifisch mit dem Markusevangelium beschäftigt, wird in unterschiedlichem Umfang nachgetragen (vier Titel im 2., sechs im 3., vierzehn im 4., sechs im 5. und zahlreiche im 6. Kapitel).

Der Vf. beginnt seine Darstellung mit dem 3. Kapitel des Buches von 1989, das sich mit der Geschichte der Gattungskritik beschäftigt, unter der neuen Überschrift »Das Markusevangelium und die Zwei-Quellen-Theorie«.

Durch die Übernahme des gesamten Textes von 1989 entstehen Unausgewogenheiten: Z. B. beschäftigen sich mit Weisse, dem Begründer der Zwei-Quellen-Theorie, 14 Zeilen, mit Strauss vier Seiten, obgleich dieser »Zur Abhängigkeit der Synoptiker voneinander Š keine neue These aufgestellt [hat]« (22).

Der Vf. hebt hervor, dass über die Gattung der Evangelien am Markusevangelium zu entscheiden sei. Die Zusammenfassung ist unter Auslassung zweier Abschnitte unverändert übernommen.

Das 4. Kapitel (zur Formgeschichte), das 5. (zur Redaktionsgeschichte) und das 6. (zu methodischen Zugängen) sind, Zusammenfassungen und Gliederungssystematiken eingeschlossen, nahezu unverändert aus dem Band von 1989 übernommen worden. Das 4. Kapitel ist um zwei Abschnitte erweitert worden (»Prager Strukturalismus«/Pokorn´y [143 f.] und modifizierte Formgeschichte ab 1970 ­ im Wesentlichen ein längeres Zitat des Nachworts zur 10. Auflage der Geschichte der Synoptischen Tradition von Theißen [58 f.]), das 5. um die Wiedergabe des Beitrags von Luz von 1980 zum damaligen Stand der Markusforschung in der Zusammenfassung (80 f.). Im 6. Kapitel werden weitere Positionen unter dem neuen Unterpunkt »Erzähltextanalyse und Narrative Criticism/Reader Oriented Criticism« skizziert und kommentiert bzw. zensiert (93-101).

Das 7. Kapitel unterteilt D. in sieben Unterpunkte: Er setzt mit »Zwei-Quellen-Theorie und Deutero-Markus« (143 f.) noch vor dem Abschnitt zur Textkritik (144 f.) ein, stellt dann Arbeiten zu Sprache und Stil, zum Evangelisten und seiner Gemeinde, zu Gliederungsvorschlägen und ­ erstmals ausführlicher ­ zur Gattung (153­166) vor. Die verbleibenden Seiten sind den theologischen Themen »Gott«, Jesus Christus und, die Terminologie der Erzählanalyse aufnehmend, den »Nebenrollen« gewidmet (Jünger, Volk, Gegner, Israel), denen Themen (Mission, Glaube, Unglaube, Furcht, Verstockung) zugeordnet werden. Das Kapitel beginnt mit einem fast sechsseitigen Literaturverzeichnis, das die Rezeptionsperspektive des Vf.s erkennbar macht. Der kurze Abschnitt über die Zwei-Quellen-Theorie referiert Positionen der Forschung von 1964 (Farmer) bis 1994 (Ennulat). Im Abschnitt über die Textkritik findet sich Grundwissen über die textkritischen Probleme am Anfang (Mk 1,1) und Schluss des Evangeliums. Im Absatz über Sprache und Stil charakterisiert der Vf. den markinischen Stil als »genus subtile« auf »mittlerem literarischen Niveau« (147) und bezieht sich positiv auf Dschulnigg.

Im Abschnitt über den Evangelisten und seine Gemeinde gibt der Vf. in aller Kürze in Anlehnung an Schenke die Einleitungsfragen zum Markusevangelium wieder. Der Vf. scheint sich weder hinsichtlich des Abfassungsortes noch der Abfassungszeit festzulegen. Er schlägt eine dreiteilige Gliederung, orientiert an den geographischen Angaben, vor. Im umfangreichsten Abschnitt bespricht er in drei Unterabschnitten (neue Redaktionsgeschichte, Erzähltextanalyse, Gattungskritik) in wenigen Sätzen Positionen aus der Markusliteratur seit den 80er Jahren, insbesondere Gundry (154 f.), Heckel (157 f.), Davidsen (159 f.), Lentzen-Deis (165 f.), Frickenschmidt (171 f.) und Wördemann (181 f.). Die Position des Vf.s, wie er sie 1999 vorgelegt hat, wird ausführlich (174­178) als »leseorientierte, narrative Auslegung des Mk-Ev als ðIdealbiographieЫ (173 f.) vorgestellt und das Evangelium als Sondergattung der hellenistischen Biographieliteratur bestimmt. Der Vf. unterscheidet einen göttlichen (Mk 1,11; 9,7; 16,6 f.) von einem biographischen oder christologischen Handlungsbogen (Hoheitstitel), der sich durch das Handeln Jesu generiere und durch den die heilbringende und erlösende Sendung Jesu inszeniert werde. Beide Bögen seien durch das Geheimnismotiv verbunden und mit den Bioi Plutarchs zu vergleichen (besonders Numa u. a.; vgl. ders., Idealbiographie, 151 f.).

Der Schlussabschnitt beschäftigt sich mit den »theologischen Fragen«, die der Vf. orientiert an seinem oben skizzierten Entwurf gliedert (229). Die Unterabschnitte beginnen mit bibelkundlichen und vokabelstatistischen Informationen; es schließen sich narrativ strukturierte Darstellungen von Aussagen des Markusevangeliums zum jeweiligen Thema an, wobei Literatur bzw. Forschungspositionen eher beiläufig gestreift als diskutiert werden und Grundwissen zum Neuen Testament und seiner Zeit eingearbeitet wird (z. B. 192 f. zum Menschensohn, 223 zu Sadduzäern und Pharisäern). Der Vf. bezieht zuweilen dezidiert Position, ohne dass dies für den weniger kundigen Leser transparent gemacht wird (z. B. Kyrios als Hoheitstitel, 191 f.; zum Gesetzesverständnis, 206).

Der Vf. schließt, indem er sein übergeordnetes Anliegen formuliert: die Möglichkeit eines Rückschlusses von der narrativen Analyse mittels der Gattungskritik auf den historischen Jesus. An die neuere Diskussion um die Kriterien in der Rückrage nach dem historischen Jesus anknüpfend will er die Gestalt des Markusevangeliums im Kontext der zeitgenössischen Literatur als gleichermaßen plausibel und profiliert erweisen. Dadurch werde der »garstig breite Graben des Ostergeschehens Š immer flacher Š, weil die nachösterlichen Besonderheiten Jesu Christi [z. B. in der markinischen Darstellung, G. G.] sich weitgehend auf die Besonderheiten des vorösterlichen Jesus von Nazareth Š zurückführen lassen«, und zwar »innerhalb der antiken Geschichtsschreibung« (230). Die Bestimmung des Markusevangeliums als Herrscherbiographie, die hier ihrerseits der antiken Geschichtsschreibung subsumiert wird, scheint zum Garanten für die historische Verlässlichkeit der Überlieferung zu werden. Der Band wird mit einem Personenregister abgeschlossen.

Im ganzen Buch erschwert der Verzicht auf die Verwendung des Konjunktivs in der indirekten Rede die Bestimmung der Übergänge von der Wiedergabe der Forschungspositionen zur Darstellung von fundamentalen Sachverhalten und eigenen Urteilen (z. B. 146).

Als wenig überzeugend muss das erneut vorgetragene Argument gelten, Mk 6,39 (grünes Gras) lasse darauf zu schließen, dass Jesus zwei Frühjahre öffentlich gewirkt habe (vgl. Idealbiographie, 164). Weder die landeskundlichen Prämissen noch der Rückschluss auf die markinische Darstellungsabsicht oder gar den historischen Jesus sind belastbar.

Das Ausmaß der Überarbeitung der übernommenen Textpassagen rangiert eher am unteren Rand des Wünschenswerten. Die Gattung des Bandes changiert zwischen einer perspektivischen Forschungsgeschichte, einer Darstellung der Position des Vf.s und einer Einführung in die synoptischen Evangelien bzw. das Markusevangelium.