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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

982–984

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Veltri, Guiseppe, and Gerold Necker [Eds.]:

Titel/Untertitel:

Gottes Sprache in der philologischen Welt. Hebraistik vom 15. bis zum 19. Jahrhundert.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2004. XXII, 330 S. gr.8° = Studies in European Judaism, 11. Geb. Euro 99,00. ISBN 90-04-14312-2.

Rezensent:

Nathanael Riemer

Der Sammelband entstand aus den Beiträgen eines Symposiums in Wittenberg, das sich mit der Bedeutung der bislang eher nur partiell untersuchten christlichen Hebraistik auseinander setzte und nach ihrem Einfluss auf die verschiedenen Fächer der Geisteswissenschaften fragte. Die Absicht der Herausgeber des Bandes besteht keineswegs darin, eine bis heute fehlende Gesamtdarstellung der christlichen Hebraistik oder eine Einführung in die Materie zu bieten. Vielmehr möchten sie die Entwicklung und die in der Neuzeit zunehmende Auseinandersetzung mit der hebräischen Sprache aus vier Blickwinkeln betrachten. Dementsprechend sind die Beiträge in vier Sektionen gegliedert.

Der erste Bereich »Hebräische Wissenschaft« ist der Geschichte der Disziplin im Kontext der christlichen Theologie gewidmet. Wolf Peter Klein untersucht zunächst anhand des lexikographischen Hauptwerkes des Marburger Gelehrten Georg Cruciger, wie das vermehrte Studium des Hebräischen in der Frühen Neuzeit erste komparatistische Studien in den Sprachwissenschaften anregte. Mit den Anfängen der Hebraistik an der Universität Basel, an der neben Johannes Reuchlin zahlreiche andere bedeutende christliche Hebraisten forschten, beschäftigt sich Thomas Willi. Er macht dabei einerseits auf die Bedeutung der jüdischen Lehrer aufmerksam, ohne deren Anleitung die christlichen Theologen weniger erfolgreich gewesen wären, weist aber andererseits auch auf die Neubearbeitung des Lehrstoffes seitens der Gelehrten für die akademische Wissensvermittlung hin. Wie die besonderen Voraussetzungen in den Niederlanden die Aufnahme der Hebraistik und Orientalistik als akademisches Fach begünstigten, beschreibt Wout van Bekkum anhand des Gelehrten Jacobus Alting aus Groningen. Gianfranco Miletto und Giuseppe Veltri setzen sich mit der Entwicklung der Hebraistik in der Universitätsstadt Wittenberg auseinander. Im Zentrum der lutherischen Reformation musste sich die Hebraistik zunächst von ihrer Rolle als antijüdisch ausgerichtete Hilfswissenschaft der Theologie emanzipieren, bevor sie sich mit der Erlangung eines selbständigen Lehrstuhls endgültig etablieren konnte. Mit Jean Bodin und Arias Benedito untersucht Gianfranco Miletto zwei Gelehrte, die auf Grund der umfassenden gesellschaftlichen Krisen und der wissenschaftlichen Entdeckungen ihrer Zeit die gängigen Denkschemata in Frage stellten und dadurch zu einer positiven Einstellung gegenüber dem Judentum fanden, mit der sie sich für die Inquisition verdächtig machten.

Die zweite Sektion der Publikation setzt sich mit den »kabbalistischen Ursprüngen« der Hebraistik auseinander. Zunächst stellt Gerold Necker den Amsterdamer jüdischen Gelehrten Abraham Cohen de Herrera vor. Dieser trug durch seine spanischsprachigen Werke maßgeblich zur Popularisierung der lurianischen Kabbala innerhalb des Judentums bei und wurde vorwiegend durch die Werke von Christian Knorr von Rosenroth seitens der christlichen Hebraisten rezipiert. Einen zugleich interessanten und umstrittenen Beitrag liefert Saverio Campanini, der in der Konzeption der klassischen Judaistik das Erbe der christlichen Kabbala sieht. Campaninis Diktum zufolge muss in der Judaistik weniger das Objekt, sondern unbedingt die Motivation des forschenden Subjektes hinterfragt werden.

Unter dem Titel der dritten Sektion »Philosophie und Philologie« findet der Leser gleich zwei Beiträge, die die christliche Rezeption des jüdischen Religionsphilosophen Maimonides thematisieren. Bernd Roling zeigt in seinem Aufsatz »Maimonides im Streit der Konfessionen«, wie der Konvertit Paulus Ritius (Ricci) die jüdische Literatur sowohl für die christliche Apologetik als auch für die Evaluierung des Christentums konsultierte und mit seiner liberalen, zwischen den Parteien vermittelnden Position in das Räderwerk der Gegenreformation geriet. Wie aus der Arbeit von Görge K. Hasselhoff hervorgeht, versuchten Agostino Giustiniani und Sebastian Münster, mit der Drucklegung lateinischer Übersetzungen der maimonidischen Schriften den Bedarf der jungen Hebraistik nach geeigneten Texten für das Studium zu decken. Die bekannte Auseinandersetzung zwischen Spinoza und Leibniz und ihr Einfluss auf die christliche Bibelwissenschaft stehen im Mittelpunkt der Untersuchung von Ursula Goldenbaum. Jens Kotjatko fasst die Eckpunkte der Geschichte der jüdischen hebräischen Grammatik vom 10. bis zum 16. Jh. zusammen.

In der vierten Sektion »Kritik und Apologie« schildert zunächst Giuseppe Veltri den Versuch des hallischen Gelehrten Friedrich August Wolf, die Hebraistik als Philologie aus der Rolle einer Hilfswissenschaft zu befreien und als selbständige Disziplin zu etablieren. In thematisch enger Verbindung dazu steht der Beitrag von Klaus Herrmann, der den Literaturwissenschaftler Ludwig Geiger würdigt. Nach Geigers Forschungen zum Studium der hebräischen Sprache wurde die Hebraistik der Toleranz eines Johann Reuchlins beraubt, weil man talentierte Hebraisten als »Judaisierende« diffamierte und die Wissenschaft selbst in den Dienst der reformatorischen Theologie stellte. Im letzten Beitrag des Bandes erörtert Christian Wiese die ambivalente Haltung Hermann L. Stracks, die einerseits von einem entschiedenen Eintritt gegen den modernen Antisemitismus, andererseits aber von einer theologischen Infragestellung des Judentums und der daraus resultierenden Judenmission geprägt war.

Wie an zahlreichen Stellen des Bandes deutlich wird, ist in der Erforschung der christlichen Hebraistik noch Grundlagenarbeit zu leisten. Als ein Beispiel dafür mag die Feststellung Klaus Herrmanns gelten, dass Hebraisten mit exklusiven Fachkenntnissen wegen ihrer theologischen Distanz zu den Reformatoren nahezu unerforscht sind und bis heute selbst in die modernen theologischen Nachschlagewerke keinen Eingang gefunden haben.