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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

937 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Fricke, Michael

Titel/Untertitel:

»Schwierige« Bibeltexte im Religionsunterricht. Theoretische und empirische Elemente einer alttestamentlichen Bibeldidaktik für die Primarstufe.

Verlag:

Göttingen: V&R unipress 2005. 616 S. m. zahlr. Abb. gr.8° = Arbeiten zur Religionspädagogik, 26. Kart. Euro 62,00. ISBN 3-89971-190-4.

Rezensent:

Eckart Schwerin

Zweifellos hat sich Michael Fricke mit seiner Studie, mit der er sich 2004 an der Fakultät Pädagogik, Philosophie und Psychologie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg habilitierte, einer Problematik von elementarer Bedeutung sowohl für den schulischen Religionsunterricht als auch für die gemeindepädagogische Arbeit angenommen. F. will am Beispiel »schwieriger« Bibeltexte Elemente einer alttestamentlichen Didaktik für die Grundschule entwickeln. Gemeint sind Texte, »die Anstößiges bereithalten, irritieren, aufwühlen und sich nicht einfügen wollen«. Sie sind auf der kognitiven Ebene schwer verständlich, in ihrer Lebenssituation fremd und damit kaum zu aktualisieren, widersprechen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, stehen im Konflikt zu individuellen und gesellschaftlichen Werten und Normen, erschweren Identifikationsmöglichkeiten, erscheinen als unglaubwürdig, stellen vor nicht zu beantwortende theologische Fragen und vermitteln ein Gottesbild, das dem neutestamentlichen entgegensteht. F. vertritt die Meinung, dass in der Auseinandersetzung mit ihnen klarer als in anderen Zusammenhängen Grundfragen und Grundprobleme der Bibeldidaktik hervortreten. Diese sind ebenso wie die gewonnenen Einsichten und Erkenntnisse von exemplarischer Bedeutung und somit übertragbar (23­26).

F., der sein Vikariat Anfang der 90er Jahre in der mecklenburgischen Landeskirche absolvierte, also durchaus mit der gemeindepädagogischen Arbeit wie der »Christenlehre« vertraut ist, erteilt seit mehreren Jahren Religionsunterricht und ist zugleich Universitätsdozent. Für ihn ist das »Zusammenspiel von Praxis und Theorie, von Grundschule und Universität« unauflösbar konstitutiv. Er verfügt einerseits über eigene differenzierte Erfahrungen im Unterricht und bezieht andererseits in seine Überlegungen und theoriewissenschaftlichen Reflexionen auch von Lehrerinnen und Lehrern erfragte und zitierte Erfahrungen und Einsichten ein. Insofern gewährt sein Buch konkrete, aufschlussreiche und überzeugende Einblicke in eine sorgfältig und klug geordnete, einladende und Neugierde weckende Werkstatt, in der unmittelbar der Eindruck einer Arbeit an sehr wichtigen Problemfeldern und Fragekreisen gewonnen wird. F. ist ein leidenschaftlicher Lernbegleiter von Schülern der Primarstufe und ebenso ein sorgfältig und konsequent argumentierender Wissenschaftler, der die von K. E. Nipkow Mitte der 70er Jahre definierte, von anderen aufgenommene und weitergeführte Verhältnisbestimmung von Theorie und Empirie aufnimmt, aktualisiert und weiterentwickelt. Nach Nipkow kann die Theorie in der Religionspädagogik nicht ausgehend von, sondern nur angesichts von empirischen Daten bearbeitet werden (34). F. liegt daran, die »empirisch gewonnenen Einsichten in einen Dialog mit den Ansätzen der Theorie zu bringen mit dem Ziel, Orientierungshilfen für die Wahrnehmung und Gestaltung der Praxis geben zu können« (35). Teil II des Buches bietet dafür mehrere unmittelbar einleuchtende Beispiele.

Teil I präsentiert als theoretische Grundlagen »Eckpunkte einer Bibeldidaktik des Alten Testamentes« (43­279) in einer an Schwerpunkten orientierten präzisen und übersichtlichen, geradezu kompendienhaften Systematisierung (Geschichte der Bibeldidaktik des Alten Testaments von 1700­1975; Elementarisierungskonzepte; Das Verhältnis von Altem Testament und Neuem Testament; Funktionen biblischer Texte; Geschichte der empirischen Erforschung der kindlichen Bibelrezeption; Rezeptionshermeneutik und Bibeldidaktik; Grundschuldidaktik und Bibeldidaktik; Umgangsweisen mit »schwierigen« alttestamentlichen Texten).

Teil II stellt zunächst Ziel und Methode der »Lehrerbefragung« und der »Kinderbefragung in Gruppen« vor (283­340). Dem schließen sich Auseinandersetzungen mit »schwierigen« Bibeltexten wie die Schöpfungserzählungen (Gen 1­2), Kain und Abel (Gen 4), Noah und die Sintflut (Gen 6­9), Jakob (Gen 25­33) und Mose (Ex 1­15) nach dem Raster »Lehreräußerungen«, »Exegetisch-theologische Reflexion«, »Kinderäußerungen« und »Bibeldidaktische Folgerungen« (bzw. »Reflexion« bei Ex 1­15) an (341­541).

Schon in der Einleitung der Studie weist F. im Zusammenhang mit der von ihm beobachteten Neigung von Lehrern, »schwierige« Schülerfragen zu »schwierigen« Bibeltexten zu übergehen oder »richtig« zu beantworten, auf die Alternative hin, solche Fragen an die Klasse zurückzugeben. »Dies kann die Schüler/innen motivieren, nachzudenken und zu eigenen Erklärungen zu kommen.« (26) Die Fragen der Schüler sind auch von Interesse, weil sie über deren Welt, Bedeutungssysteme, Denken und Fühlen Auskunft geben.

Der Schlussteil präsentiert Ergebnisse und Ausblicke (Fachwissenschaft Theologie; Perspektive der Kinder; Perspektive der Lehrkräfte und Religionsdidaktik für die Primarstufe; Ausblicke). Ein Anhang enthält die Synopse alttestamentlicher Texte in den Grundschullehrplänen für den Religionsunterricht, den Fragebogen für Lehrer, einen Elternbrief zu den Kindergruppen und ausgewählte Kinderzeichnungen. Eine Literaturzusammenstellung auf 33 Seiten steht am Ende.

Die Studie gehörte in jede Fachbibliothek und hat ­ wie schon angemerkt ­ den Charakter eines Kompendiums. Zum einen sind die maßgebenden religionspädagogischen (fachdidaktischen und religionsdidaktischen) und fachwissenschaftlichen (theologischen) Zusammenhänge in ihrer geschichtlichen Entwicklung wie in ihrer derzeitigen Diskussion zugänglich gemacht und übersichtlich zusammen- und dargestellt. Zum anderen hat die Studie den Charakter eines Werkbuches. Sie gibt Einblick in die Werkstatt eines mit Leidenschaft praktizierenden und doch nicht pragmatischen Religionspädagogen. Besonders die Lektüre des Teiles II »Rezeption von und Auseinandersetzung mit ðschwierigenÐ Bibeltexten« wird Grundschullehrer wie gemeindepädagogische Mitarbeiter überzeugend dazu anregen, die Perspektive der Kinder auf (schwierige) Bibeltexte als einen wesentlichen Teil ihrer gemeinsamen Aneignung und sie erschließenden Auseinandersetzung aufzuspüren, zu verstehen und aufzunehmen. Daraus resultieren u. a. Konsequenzen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung sowohl der Lehrer als auch der gemeindepädagogischen Mitarbeiter.