Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/1999

Spalte:

410–415

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Flasch, Kurt:

Titel/Untertitel:

Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung. Vorlesungen zur Einführung in seine Philosophie.

Verlag:

Frankfurt/M.: Klostermann 1998. 679 S. gr.8. Kart. DM 98,-. ISBN 3-465-02705-1.

Rezensent:

Klaus Kremer

Wohl in Erinnerung an W. Jaegers Aristotelesbuch von 1923 "Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung" und im Hinblick auf die schon vorliegenden und von Flasch (14, 50, 7260) genannten Cusanusbücher von H. Wackerzapp und H. G. Senger bringt F. eine "genetische Analyse" der Philosophie (!) des NvK "aus den Quellen" (9), ein höchst begrüßenswertes Unternehmen.* Die Cusanus-Forschung, nicht gerade vornehm von ihm bedacht (393, 637, 647), hat eine Entwicklung im Denken des NvK längst wahrgenommen, aber F. kommt das unbestreitbare Verdienst zu, diese Entwicklung vom ersten Sermo an (1430) bis zur letzten Schrift des NvK um Ostern 1464 (De apice theor.) aufgezeigt zu haben. Von den 293 vorliegenden Sermones werden von F., der selbst ihre Unablösbarkeit von den philosophischen Hauptschriften betont (133, 496, 498f.), allerdings ausführlich lediglich die Sermones I (1430 bzw. 1428), II (1431), XXII (1440), CXXVI (1453) und, je nach Verständnis, De aequal. von 1459 behandelt (21-26; 27 f.; 121-142; 332-334; 379; 483-499). Die Sermones III-XI, XXI u. XXIII (1431 u. 1439-41) sowie XXVII-LVI (1443-45) u. CCXVI (1456) werden kurz gestreift bzw. bloß genannt (26-33, 91, 96, 166, 568288, 569296). Von der Masse der Predigten (ca. 170) mit dem überragenden philos.-theol. Gewicht aus der Brixener Zeit wird daher eine Predigt kurz behandelt (CXXVI), die andere (CCXVI) bloß genannt.

Nicht in allem wird man F.s genetischer Analyse zustimmen können. Zum Beispiel in De vis. Dei N. 48 Hopkins ist das cusanische Deus invisibiliter videtur gegenüber De docta ign. doch eher eine Akzentverschiebung als eine neue Entwicklungsstufe (436-439); ähnlich die Selbstvervollkommnung unserer mens in 1450 gegenüber "der bleibenden Differenz und unüberbrückbaren Insuffizienz" der Erkenntnis von 1440 (292). Auch das Axiom nihil in intellectu bzw. in ratione, quod prius non fuit in sensu erhält in De non aliud (1461/62) keine "bemerkenswerte Verschiebung" gegenüber De mente von 1450 (568). Man muß nur die einschlägigen Stellen im Gesamtwerk des NvK sammeln und kommt dann zu einer sich stetig durchhaltenden Lehre des NvK. Gerade in diesem Punkt etwa zeigt sich die zu Unrecht übertriebene Polemik von F. gegen "Parallelstellen" und "Zettelkasten" (307). Die Annahme einer Weltseele in De ludo globi (h IX, NN. 37-41) steht unter dem Vorbehalt des "vielleicht/forte" (N. 39,12), ist also keine "Behauptung" "ohne dogmatische Bedenken", im Gegensatz zu De docta ign. II (598).

Andererseits vermisse ich z. B. einen Hinweis auf die Entwicklung des NvK, 1450 in De mente das posse fieri noch mit dem trinitarischen Gott gleichgesetzt zu haben (h 2V, NN. 130 f.), während es ab 1462/63 in De ven. sap. dezidiert als creatum et initiatum bezeichnet wird (h XII, NN. 7 ff.). Bemerkungen zu seinem Verständnis des Begriffs "genetische Analyse" macht F. sehr viele und sehr treffliche (6, 9, 11 f., 13 f., 16, 21, 24, 27, 34, 155, 158, 307, 344, 376, 453, 514, 541 f., 647 u.ö.). Leitfaden der genetischen Analyse soll die Chronologie der cusanischen Werke, nicht dessen Biographie sein (11f.). Auch der Zusammenhang des cusanischen Denkens mit seinem Umfeld und den Ereignissen seiner Zeit soll gesucht werden (9-13, 35, 43, 65, 78, 197-247, 445 u. ö.), wenngleich nicht dieser für die Denkentwicklung des Cusanus bestimmend, höchstens mitbestimmend (10, 11) ist. So bleibt auch die von F. zu Recht betonte Originalität des NvK gewahrt, trotz dessen zahlreicher Rückgriffe auf die Tradition und trotz der 1995 erschienenen Arbeit von M. J. F. M. Hoenen in "Medioevo" (47, 49, 69, 118-120, 176, 259, 317, 423, 461, 465-479, 482, 502, 524 f.).

F. unterscheidet in der cusanischen Denkentwicklung drei große Stufen: Stufe 1 von 1430-1438/40, Stufe 2 von 1440-1459, Stufe 3 von 1459-1464. Alle S tufen weisen dann jeweils wiederum eine innere Dynamik und Akzentverschiebungen auf. Cusanus, das zeigt F. sehr schön, ist niemals auf einer Stufe in seinem Denken erstarrt.

Gemäß dem chronologischen Leitfaden der cusanischen Schriften gliedert sich das Werk F.s in zwei Teile: Teil I behandelt die Jahre 1430-1449 und ist überschrieben mit: "Erste Einsichten - ,Eher im Dunkeln’", Teil II, "der wichtigere Beitrag zum Verständnis des Cusanus" (12), gliedert sich in zwei Abschnitte: Abschnitt 1 untersucht die Jahre von 1450-1453, Abschnitt 2 die Jahre von 1458-1464. Zwischen beiden Teilen hat F. im Interesse seiner Intention, den "strikt philosophischen Ductus originalen Denkens [des NvK] und das Spiel der Zufälle" sichtbar zu machen (9; vgl. auch 10-13, 35, 43, 78 u. ö.), einen instruktiven Abschnitt über die "Jahrhundertmitte. Die Welt des Cusanus" (197-247) eingefügt. So wie der Aufbau des Werks sich durch Klarheit auszeichnet, so tragen auch F.s Ausführungen das Kennzeichen großer Klarheit an sich. Dazu kommt noch eine höchst elegante und geschliffene Diktion. Im Erteilen von Rundumschlägen (alte und neue Thomisten: 104f., 185, 274, 282, 648; Jaspers: 275; Heidegger: 308, 648; Gadamer: 122, 308; Haubst: 14 f., 26 u. 275, allerdings auch mehrmals gelobt: 14, 91135, 93, 153264, 181317, 45220, 521, 650; Dupré: 40 sehr plump, u.a. mehr) und Belehrungen (12, 121-23, 307 f.) zeigt sich der Autor sehr geübt. Selbst ist er gegenüber fremder Kritik nicht unempfindlich (650-652).

In sehr vielen Dingen gehe ich mit F. konform. Um, stets die vorgeschriebene Begrenzung im Hinterkopf, wenigstens einige zentrale Gesichtspunkt zu nennen: Gott ist für NvK Inhalt nicht nur des Glaubens, sondern auch des philos. Wissens (102f., 124-126, 258 f., 530, 593, 654 u. ö.), wenn auch nicht im Sinne der tradierten Gottesbeweise (110 f., 125, 158 f., 503, 636), und er ist, weil vor jeder Entgegensetzung (106, 114, 563), auch "vor der Differenz von Indifferenz und Differenz" (608), kein "separates" Subjekt bzw. kein "apartes" Wesen (525, 528 f., 610, 611, 652).

Die Koinzidenz, von F. besonders gut und breit herausgearbeitet, bezieht sich außer auf Gott (= der frühere NvK) auch auf den menschlichen Intellekt und sogar auf alle Dinge (473, 610 u. ö.). Ausgenommen die Ausführungen über die mens ipsa im Unterschied zur mens humana und divina (153 f., 159 f., 266), stimme ich denjenigen über den göttlichen und menschlichen Geist, über das Verhältnis von Denken und Sein, über ratio und intellectus (nicht exakt allerdings 48 die Feststellung, daß dies der Unterscheidung von Verstand und Vernunft bei Kant und Hegel entspreche; denn Vernunft ist nach Kant das Vermögen der Schlüsse, die nach Cusanus auch in den Bereich der ratio gehören), über Urbild und Abbild, über die Bedeutung des dem menschlichen Geist zugewiesenen creare (460, 461, 599) und über den mit Inhalten angefüllten Intellekt zu (298 f., 303, 310 f., 464, 491 f., 585 u. ö.). Auch darin unterstütze ich F., daß Cusanus kein Vorläufer der Transzendentalphilosophie Kants oder Fichtes und der Dialektik Hegels ist (282 f., 292, 301, 459, 655). Die bewußt nüchtern gesuchte Interpretation des Wortes mystisch bei NvK (50-53, 126, 161, 319, 386, 389, 400, 411 f., 414, 422, 443 u. ö.) verkennt jedoch die unzweideutig bei NvK etwa in De sap. (h2V, N. 17) und in De vis. Dei (NN. 22; 93, 12-16 Hopkins) vorliegenden mystischen Motive, wenngleich NvK nirgendwo à la Plotin die Einswerdung mit dem Einen beschrieben hat. Auch bei diesem ist übrigens die Mystik "nur gerade das Umkippen einer höchst rationalen Denkbewegung" (W. Theiler). Auf diesem rationalen Denken insistiert F. zu Recht.

Neben der grundsätzlich zu bejahenden These einer Entwicklung im Denken des NvK versucht F. durch sein ganzes Buch hindurch noch eine andere These aufzustellen und auszubauen, nämlich: Trinitäts- und Inkarnationsgeheimnis des christlichen Glaubens sind für NvK rational beweisbar. F. sorgt auch hier von Anfang an für Klarheit. Auf den Seiten 53-55 erfahren wir: "Der christliche Glaube kann die psychologisch-faktische Voraussetzung eines Autors sein, muß aber deswegen noch nicht in seine Argumentation eingehen". Ob ersteres auf NvK zutreffe, wisse er zwar nicht, er wolle aber auch "keinen Gedanken darauf ... verschwenden", "dies zu bestreiten. Ich sage aber: Selbst in den schon angeführten Sermones [I-XI] ist der christliche Glaube nicht durchgehend die argumentative Prämisse" (53). "Die Frage aber ist, ob Cusanus argumentativ - nicht psychologisch - die Bibel oder die Kirchenautorität als Voraussetzung genommen hat. Um hier schon meine Antwort auf diese Frage zu geben und sie später an den Texten zu modifizieren: Cusanus suchte, den christlichen Glauben psychologisch-faktisch voraussetzend, eine von dieser Tatsache unabhängig argumentierende Philosophie der Trinität und der Inkarnation, die im Prinzip allen Menschen einsichtig sein sollte. Er wollte nicht den vorhandenen Glauben plausibel machen, sondern seinen wahren, nämlich seinen intelligiblen Gehalt als vernunftnotwendig beweisen" (53 f.). Und: "Worauf es Cusanus ankam, das möchte ich, weitere Analysen vorwegnehmend, zusammenfassen: Er wollte die wahre theologia argumentierend dahin entwickeln, daß sie sich nicht auf die Autorität - sei’s der Bibel, sei’s Kirche - stützt, sondern daß sie sich zu dem Einen denkend erhebt, von dem her jede Tradition und jeder Text und jede Kirche als Mutmaßung, coniectura, der einen Wahrheit einsichtig wird, und zwar so, daß der Widerspruch verschwindet, in dem diese, wenn man sie wörtlich, nicht als coniectura nimmt, zu allen anderen Gestalten der Wahrheit steht" (54).

Diese Grundaussage bald zu Beginn des Buches wird mannigfach wiederholt: Die "Trinitätsphilosophie" des Cusanus "tritt nicht auf, als wolle sie den christlichen Glauben an die Dreieinigkeit verständlich oder plausibel machen. Sie versteht sich als Beweis, der aller Logik und aller Wissenschaft, aber auch jeder anderen geistigen Tätigkeit immanent ist" (317; dazu bes. 552 f., 637). Oder im Zusammenhang mit De aequal.: "Cusanus führt ein Muster vor, wie er die Bibel und seine bibelbezogenen Sermones ausgelegt sehen will. Die Grundlage bietet die Philosophie; das Neue Testament stärkt, appliziert und schmückt aus" (506; dazu bes. 565, 595).

F. bezieht sich also sehr oft auf das christliche Glaubensgut von Trinität und Inkarnation. Weil er die Denkentwicklung des NvK auf das Philosophische verkürzt (9, 13, 158, 376, 541 f., 549, 569, 605, 648-652 u. ö.), verkennt er das spezifisch cusanische Ineinander von Theologie und Philosophie (seine Vorannahme; gegen den theologisierten NvK [53, 56, 166 u. ö.]). Das herausgearbeitet zu haben, gehört zu den wichtigsten Erträgen der Cusanus-Forschung etwa seit Mitte des Jahrhunderts. Dieses Ineinander von Philosophie und Theologie läßt im cusanischen Denken durchaus philosophische Reflexionen zu, die auf selbständigen Beinen stehen. Es fehlt übrigens eine ausdrückliche Thematisierung des cusanischen Philosophiebegriffs. Ich lasse die nicht zu unterschätzende Einseitigkeit in der Gesamtanlage von F.s Buch beiseite und konzentriere mich auf drei Punkte:

1. Gehört nicht zu den auch von F. angenommenen Konstanten in der cusanischen Denkentwicklung (z. B. Einheit u. Einfachheit des ersten Prinzips, 450 f., 605; sein Stehen vor allen Gegensätzen 570, 608; regula doctae ign. 611 u. a.) die Lehre, daß wir erst nach Empfang des Glaubensgeheimnisses über Trinität und Inkarnation philosophieren können? Belege für diese Konstante sind: 1430: Sermo I (h XVI, N. 7,1-5): "Durch die oben genannten Gründe ergreift der menschliche Intellekt den festen und unbezweifelten Glauben (fidem) an diese unermeßliche, unaussprechbare und unbegreifbare göttliche Trinität und stützt sich auf die Autoritäten derer, die in göttlichem Geist gesprochen haben". - 1438: Sermo XIX (h XVI, N. 6, 13-22): "Heute jedoch, nachdem wir den Glauben an die Trinität besitzen, wäre es nach diesem Glauben nicht schwierig, Gründe (rationes) für die Trinität zu finden, wie Richard von St. Viktor sagt ...; auch andere haben Gründe gesucht, zu denen sie jedoch aus rein natürlichen [Kräften] (ex puris naturalibus) nicht gekommen wären, wenn sie nicht den Glauben gehabt hätten ...". Haubst verweist zu dieser Stelle im Apparat eigens auf sein Buch "Das Bild ..." von 1952, S. 15-41. 301-30. F. kommt auf diese Stelle zu sprechen (96), will aber offenbar die Vernunftgründe vom Glauben abkoppeln. "Sie haben [dann] ihr eigenes intellektuelles Gewicht". - 1444: Sermo XXXVIII (h XVII, N. 7, 1-15): Die zwei Flügel der bei Jes. 6,2 f. genannten Seraphim, mit denen diese fliegen, sind Intellekt und Affekt. "Will daher erstlich der Intellekt fliegen, um ,heilig’ rufen zu können, so muß er durch den allerheiligsten Glauben voraussetzen (praesupponere), daß es die ,Dreieinigkeit in der Einheit’ gibt ..." (Vgl. auch N. 8,1-8 + Apparat dazu). - Für 1446: Sermo LXI (demnächst h XVII, N. 13, 1-14,2; 16,1-3.6 f.), für 1456: Sermo CCXXXIII (V2 155vb). - 1460: De poss. (h XI/2, N. 46,14-15): Der erste Ursprung ist dreieinig vor jeder Zahl. Das ist deshalb nicht zu begreifen, weil unser Intellekt nichts ohne Zahl begreift. Id tamen, quod concipere nequit, videt supra conceptum negari non posse et credit. - 1460/61: Crib. Alk. (h VIII, N. 103, 2 f.): "Damit die, die den Verstand gebrauchen, sehen, daß wir, die wir an die Dreieinigkeit glauben (credimus), dies aus rationalen Gründen (rationabiliter) tun, wollen wir mit einem anderen Beispiel zum selben Ziel voranschreiten" (s. NN. 104-06). - 1461/62: De non aliud (h XIII, S. 12,11-13, 21, bes. 13,1): Trinitatis secretum, Dei utique dono fide receptum. F. nennt die Stelle (566), reduziert dieses Glaubensgeschenk aber in seiner Bedeutung auf den Anfang unserer "individuellen Entwicklung". - Ähnliches wäre zur Inkarnation des NvK zu sagen.

2. Ist der Glaube (fides qua) für NvK nicht doch etwas qualitativ anderes als sensus, imaginatio, ratio, intellectus und auch als intellectibilitas? Es fällt auf, daß, trotz unvermeidbarer Berührung der Glaubensproblematik durch F. (53-55, 121, 316 f., 358, 370 f., 440, 485, 496 u. ö.), dieser schon beim ersten Treffen auf den Glauben, nämlich bei Behandlung der Weihnachtspredigt von 1440 (Sermo XXII), zum Text h XVI, N. 7,1-6: Deus non attingitur ratione nec imaginatione nec sensu ... et fide attingitur ... Credimus igitur ipsum deum esse unum et trinum, bemerkt (124): "Dies klingt, als kenne unser Prediger vier Erkenntnisstufen: Sinne, Vorstellungskraft, Verstand, Glauben. Als wolle er sagen, die ersten drei ,natürlichen’ Vermögen versagten und nur der ,übernatürliche’ Glaube sei imstande, Gott zu ,berühren’". Die anschließende Erklärung von F. (ebd.) geht in der angedeuteten Richtung weiter, so daß der Glaube an den dreieinen Gott (um diesen geht es) nicht als unabdingbare Voraussetzung für ein versuchsweises Verstehen des dreieinen Gottes gilt. Aber was Cusanus unter Glauben versteht, und wie wenig F. dem gerecht wird, zeigt etwa der Sermo CCLXVIII von 1457. Anläßlich des Wortes vom Wettkampf des Christen (1 Kor 9,24 ff.) beschreibt Cusanus den Glauben des Christen an die Unsterblichkeit so: fides rationem vincit - Abraham credidit id, quod ratio impossibile iudicavit - moriatur ipsa ratio - posse ... credere ... excedit ... virtutem intellectivam - spiritus ... per fidem ... dominatur intellectui - intellectus facile capit fidem, quam non intelligit - cum (voluntas) non possit medio intellectus attingere desideratum quasi ex propriis viribus, credit verbo Dei, et non credit hoc verbum dei esse, quia intelligit, sed intelligit quia credit - u. a. mehr (V2, 222ra-rb).

3. Das führt zu einer dritten und letzten Frage: F. hat seinen Begriff "Beweis" im Zusammenhang mit Trinität und Inkarnation trotz unzähligen Gebrauchs nirgendwo präzisiert. Er denkt wohl an eine logisch in sich schlüssige, von der Vernunft allein bewerkstelligte und von ihr absolut notwendig zu vollziehende Einsicht, also wohl an eine demonstratio. Cusanus arbeitet aber z. B. bei der Frage nach einer natürlichen Erkennbarkeit der Unsterblichkeit der Seele, die er bejaht, lediglich mit Begriffen wie ostendere, experimur, persuaderi potest, signa manuductoria (vgl. MFCG 23, 1996, 21-70). F. gibt das ostendere des NvK in Crib. Alk. Prol., N. 4,9 (= h VIII), mit "beweisen" wieder (544). Schon allein dieses eine ostendere und die von F. 552 aus De poss. N. 31,8 (= h XI/2) angeführte Stelle von der Welt als ostensio Gottes mahnen zur Vorsicht im Umgang mit dem Begriff "Beweis" bei Cusanus; vgl zu ostendere ... in vestigio auch den von F. behandelten Sermo XXII, N. 19, 25 f. (= h XVI).

Noch ein Wort zu den rationes necessariae! Gerade darauf stützt sich F. für seine These vom philosophischen Beweis des bloß vermeintlich christlichen Sondergutes (121, 226) von Trinität und Inkarnation. Ich will und kann aus dem eingangs genannten Grund nur ein Beispiel bringen.

Der auch für F. so wichtige Sermo XXII will anhand bereits der Tradition bekannter innerweltlicher Trinitäten, wie z. B. esse- posse - operari eines Dinges, uns zur Kenntnis der Dreieinigkeit führen (N. 18). Jede intelligentia rationalis ist nun in ihrem Erfassen an multitudo und magnitudo gebunden. Sie sieht aber folgendes: Das erste Prinzip muß notwendigerweise ganz einfach und notwendigerweise auch eines sein. Da nun die magnitudo nicht ohne Dreiheit ist- der Körper z. B. ist lang, breit und tief, und Prinzip der polygonalen Figuren ist das Dreieck -, "entdeckt die ratio notwendigerweise (necessario), daß das erste Prinzip von allem unzusammengesetzt eines und dreifach (trinum) sein muß, aber ganz einfach, damit es Grund, Maß (metrum) und Messung (mensura) von allem sei" (19,8-20). D. h. doch wohl: Daß das erste Prinzip ganz einfach und eines sein muß, erfaßt die ratio schon durch sich selbst, wie in der Philosophiegeschichte gezeigt wurde (mag man ergänzen). Nun wird diesem ersten Prinzip auch Größe zugeschrieben. Es ist ja das maximum. Platon (Tim. 53c ff.) und Boethius (De institut. math.) haben ihrerseits gezeigt, daß das Dreieck Prinzip aller polygonalen Figuren ist. Nimmt man die in h XII zu N. 76,16 ff. aufgeführten Parallelstellen hinzu, ergibt sich: 1. Unter der Voraussetzung, daß jede intelligentia rationalis nichts außerhalb von Größe zu erfassen vermag, weil unser Begriff von Größe anhand der in der Erfahrung gegebenen, kontrahierten körperlichen Größe gebildet wurde, und wenn 2. das als ganz einfach zu denkende Prinzip aller polygonalen Figuren das Dreieck ist, müssen wir Größe überhaupt als dreifach (trina) denken. Mit anderen Worten: Da Größe nicht ohne Dreiheit sein kann, muß dies auch für die Größe Gottes zutreffen. Nichts ist aber damit darüber gesagt, ob wir auch ohne die in der Offenbarung gegebene Trinität zur sogar notwendigen Erkenntnis des dreieinigen Gottes gekommen wären. J enes und dieses sind zwei Paar Schuhe.

Zum Schluß noch ein paar andere Dinge: De staticis experimentis ist bereits im Straßburger Druck von 1488 enthalten, nicht 1543 erstmals gedruckt, Coniectura de ultimis ... erstmalig 1471 und nicht schon 1461 (44); De corr. Kalendarii stammt aus dem Jahre 1436, vermutlich im Sommer (Ausg. Stegemann XXXIX u. LXXIV Anm. 69 mit Verweis auf Marx, N. 219), und nicht aus 1434/35 (92). - Die Inkorporierung des NvK ins Basler Konzil erfolgte am 29.02.1432 (AC I, N. 102), nicht am 22. Febr. (72).

Am Ende hinterläßt das Buch F.s im Fachmann ein höchst zwiespältiges Gefühl. Die schon erwähnten Leistungen können nicht über höchst empfindsame Schwächen hinwegtäuschen. Und haben wir nun, zwei Jahre vor dem Ende des 20. Jhs., den eigentlichen NvK vor uns, nachdem die zwar verdienstvollen, aber doch spätestens seit Mitte des Jhs. als einseitig erkannten Cusanus-Studien etwa neukantianischer Prägung durch eine ganzheitlichere Betrachtung des cusanischen Werkes korrigiert worden waren? F. hat NvK zuviel Gewalt angetan. NvK ist noch nuancenreicher, als F. es gesehen hat.

Fussnoten:

* Ich verwende folgende Abkürzungen: h = Heidelberger Standardausgabe der Werke des NvK; V2 = Vatikanhandschrift 1245 mit den Sermones des NvK; ich bringe diese nach der krit. Zählung von R. Haubst in h XVI 0, p. XLVII ff.; dort auch die ältere von Koch datierende Zählung; p = Pariser Druck von 1514.