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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

933 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Weissenberg, Timo J.

Titel/Untertitel:

Die Friedenslehre des Augustinus. Theologische Grundlagen und ethische Entfaltung.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2005. 564 S. gr.8° = Theologie und Frieden, 28. Geb. Euro 53,00. ISBN 3-17-018744-9.

Rezensent:

Eva Harasta

Timo Weissenberg beabsichtigt in seiner Freiburger Dissertation eine Einordnung der »Friedenslehre« in den Gesamtzusammenhang der Theologie Augustins. Diesem Vorhaben widmet er sich in fünf Großkapiteln. Zuerst behandelt er die Grundlagen der Friedenslehre in der augustinischen Anthropologie und Soteriologie, dann geht er auf die moraltheologischen Bedingungen des Friedenshandelns ein. Im dritten Kapitel beschreibt er die Konsequenzen der augustinischen Unterscheidung zwischen dem irdischen und dem himmlischen Frieden. Im vierten Großkapitel wird die Geschichtsauffassung Augustins zusammengefasst, während das letzte Kapitel eine historische Situierung der augustinischen »Friedenslehre« im Zusammenhang der Auseinandersetzung Augustins mit den Donatisten unternimmt.

W. legt den Schwerpunkt auf eine systematisch-theologische Darstellung. Es geht ihm nicht darum, die Entwicklung des augustinischen Friedensdenkens aufzuzeigen. Man kann beides, das ist W. bewusst, in Bezug auf die augustinische Theologie nicht gegeneinander stellen, gerade angesichts der Wirkungsgeschichte der augustinischen Gedanken. Die vergegenwärtigende Wirkung der Rezeptionsgeschichte verstellt sonst den Blick auf die kontextuelle Prägung dieser Theologie (oder vice versa). W. betont also die »Situativität der Einzelaussagen«, sein erklärtes Ziel liegt jedoch darin, »[v]ermeintliche Paradoxa« durch den »Blick auf das augustinische Gesamtwerk« aufzulösen (518). Er systematisiert die augustinischen Friedensgedanken, indem er zum Teil zeitlich weit auseinander liegende, kurze Passagen zum jeweiligen Einzelaspekt sammelt und nebeneinander stellt. Die Aneinanderreihung von Belegstellen kann den Eindruck erwecken, dass die »Friedenslehre« Augustins von seinen Frühdialogen bis in De civitate Dei und auch in die Predigten und Briefe hinein praktisch unverändert geblieben ist ­ etwa werden in einem Absatz civ. XIX,14, doctr. chr. I,29, ord. II,25 und serm. 344,2 nebeneinander gestellt (224). W. setzt sich so aber auch dem Einwand aus, die augustinischen Friedensreflexionen in ein bereits bestehendes, an die Texte herangetragenes System einzupassen.

W. entzieht sich diesem Einwand, indem er ihm unumwunden Recht gibt. Nicht Beurteilung und Kritik der augustinischen Aussagen im Austausch mit Augustin bilden seine Intention, sondern Aneignung und Anverwandlung: Er nennt als sein Ziel, dass der Friedensbegriff Augustins »vom Standpunkt einer weiter gefaßten, herauszuarbeitenden allgemein-theologischen Friedenslehre her betrachtet, durchdrungen und ausgelegt werden« soll (29). Der Akzent liegt dabei auf der »Auslegung« im Sinn einer Übersetzung. Konkret zeigt sich der genannte (bei W. implizit vorausgesetzte) Standpunkt in einer katholisch-moraltheologischen Perspektive auf die »Friedenslehre« Augustins.

So erfolgt am Ende jeden Kapitels einerseits die Frage nach den ethisch-normativen Implikationen der dargestellten Gedanken und andererseits die Frage nach dazu passenden augustinischen Zeugnissen für das praktische Handeln in Bezug auf den jeweiligen Themenaspekt. Beispielsweise schlägt W. im zweiten Großkapitel über den Zusammenhang von Gottes- und Nächstenliebe eine Stichwortliste »politische[n] Vokabular[s]« (251) vor, in die er Begriffe wie »eine gerechte Politik«, »große Hilfs- und Opferbereitschaft«, »Unterlassung fadenscheiniger Legitimationsversuche«, »Ablehnung von Geheimdiplomatie« und die »Förderung von gemeinnützigen Vereinen« einordnet (251). Hier deutet sich eine konstruktive Weiterentwicklung augustinischer Gedanken an, die jedoch sogleich in der Sammlung augustinischer Belege zur Handlungsorientierung wieder zurückgenommen wird.

Im Rahmen der systematisch-theologischen Position W.s fällt einerseits in Bezug auf die Einordnung der »Friedenslehre« in die augustinische Theologie insgesamt das katholische Profil der Interpretation der augustinischen Gnadenlehre auf, andererseits in besonderem Bezug auf die »Friedenslehre« Augustins als solche die Unterscheidung zweier »ordines« innerhalb der augustinischen Vorstellung des »ordo«. Die augustinische Gnadenlehre deutet W. als ein Zusammenwirken von menschlicher Freiheit und göttlicher Gnade: Der »menschliche Wille schwingt sich durch das Geschenk des Heiligen Geistes als menschlicher Wille der jeweiligen Person in den göttlichen Liebeswillen ein« (201, Hervorhebung getilgt). Daraus ergibt sich eine Tendenz zur Identifikation der Kirche mit der civitas Dei. Den Glaubenden ist die Verwirklichung der civitas Dei auf Erden aufgetragen, und das geschieht besonders in der Feier der Eucharistie als der Verwirklichung des Leibes Christi (522). Hier deutet sich eine selektive Wahrnehmung der unterschiedlichen augustinischen Aussagen über das Verhältnis zwischen der sichtbaren Kirche und der Gemeinschaft der Erlösten an (zur ausdrücklichen Skepsis Augustins gegenüber einer Identifizierung der civitas Dei mit der Abendmahlsgemeinschaft sei hier nur auf civ. XXI,25 verwiesen).

Hinsichtlich der für den Friedensbegriff von Augustin zentralen ordo-Vorstellung ­ in der »Friedenstafel« von civ. XIX,13 wird der Friede zusammenfassend als »tranquillitas ordinis« (»Ruhe der Ordnung«) definiert ­ geht W. von einer Unterscheidung zwischen einem »natürlichen« und einem »übernatürlichen« ordo aus (517). Der Staat und der irdische Friede gehören zum natürlichen ordo; die civitas Dei (in ihrer pilgernden Gestalt als Kirche, so W.) und der himmlische Friede gehören dagegen in den übernatürlichen ordo. Die Implikationen dieser Unterscheidung innerhalb des einen ordo für die beiden civitates und ihren Frieden erörtert W. nicht weiter. Eine solche Untersuchung hätte sich im Rahmen seiner Argumentation aber durchaus gelohnt: Wie kann eine grundsätzliche Trennung der Schöpfungsordnung in zwei Sphären ohne das Herausfallen der civitas terrena aus der Schöpfung gedacht werden? Trifft die Trennung in zwei ordines zu, dann ergibt sich die Frage nach einem beharrlich untergründigen manichäischen Einfluss in der Theologie Augustins, mit dem sich der Bezugsrahmen der augustinischen Friedenstheologie insgesamt verändern würde.

W. legt eine klar konfessionell positionierte Darstellung der augustinischen Friedenstheologie vor, die sich im durchgängigen Austausch mit der patristischen Forschungsliteratur zu Augustin befindet und ausdrücklich intendiert, aus den Auffassungen Augustins normative Schlüsse für gegenwärtiges Friedenshandeln zu ziehen. Das normative Interesse wird allerdings vornehmlich nicht als Kritik an Augustin formuliert, sondern fließt schon in die Wahrnehmung der augustinischen Gedanken ein. Die systematisch-theologische Orientierung W.s kann aber in einer moraltheologischen Untersuchung nicht überraschen. Sie bildet vielmehr das charakteristische Profil dieser seit 1926 siebten ausführlichen Monographie zum augustinischen Friedensverständnis und lädt zu einer konstruktiven systematisch-theologischen Aufnahme und Weiterentwicklung der augustinischen Positionen ein.