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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

919 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Min, Anselm Kyongsuk

Titel/Untertitel:

The Solidarity of Others in a Divided World. A Postmodern Theology after Postmodernism.

Verlag:

London-New York: T & T Clark (Continuum) 2004. VIII, 245 S. gr.8°. Kart. £ 17,99. ISBN 0-567-02570-5.

Rezensent:

Matthias Zeindler

Nach der Moderne kam die Postmoderne. Spaßvögel haben gerne gerätselt, was nach der Postmoderne kommen würde. Die Post-Postmoderne? Und danach? Anselm Kyongsuk Min, Professor of Religion an der Claremont Graduate Unversity, legt mit seinem neusten Buch eine »postmoderne Theologie nach der Postmoderne« vor. Es geht ihm allerdings nicht darum, den Neuigkeitswert seiner Veröffentlichung zu steigern, indem er eine weitere Runde der Überbietung einläutet. Der Untertitel markiert ein klares Programm: M. will den Ansatz postmoderner Theologie ­ den Primat der Differenz ­ beibehalten, ihre Schwäche aber ­ die Verabsolutierung der Differenz ­ überwinden. Die Postmoderne muss also nicht verabschiedet, wohl aber weiterentwickelt werden. Der Titel gibt den Begriff an, mit dem die postmoderne Vereinseitigung des Partikularen revidiert werden soll: die Solidarität.

M. entfaltet seine These in einem kritischen ersten und einen konstruktiven zweiten Teil. Die Kritik an der philosophischen und theologische Postmoderne lautet: »it absolutizes and reifies difference when difference also contains an internal need to sublate itself into the solidarity of the different« (2). M. diagnostiziert postmoderner Theorie also einen inneren Widerspruch: Achtung von Differenzen setzt ein Minimum an Solidarität und sozialer Kooperation voraus, ist also stets auf ein Ganzes bezogen. Weiter wirft er ihr eine Vernachlässigung der historischen und ökonomischen Vermitteltheit individueller Existenz vor. Fatal, so M.s Urteil, zeigt sich dies besonders da, wo politische Analysen vorgetragen werden. Derrida etwa »reduces politics to the passive minimum of hoping, bending a little, and waiting« (40). Die radikale Rhetorik ist ohne reale Entsprechung.Die Differenz, so M.s Alternative, soll komplementiert werden durch die soziale Dimension, und zwar in der Form der »Solidarität von Anderen« (Solidarity of Others). Die Andersheit von Einzelnen und Gemeinschaften bedarf des unbedingten Respekts. Gerade dieser Respekt muss sich aber übersetzen in ein politisches und gesellschaftliches Handeln, durch welches die Bedingungen geschaffen und erhalten werden, in denen Menschsein in Differenzen lebbar ist. Dafür bedarf es einer »throughgoing reflection on the interdependence of human beings at many levels« (73). Partikularität und Totalität sind in ihrem dialektischen Zusammenhang zu erschließen.

Im zweiten Teil entwirft M. eine eigentliche Theologie der Solidarität von Anderen. Dabei setzt er ein bei der Pneumatologie, ist doch der Geist das theologische Prinzip der Vergemeinschaftung unter Wahrung von Individualität. M. legt dabei besonderen Wert darauf, dass Vergemeinschaftung nicht bloß ­ wie in der Tradition häufig ­ personal und ekklesial, sondern auch gesellschaftlich und ökonomisch verstanden wird. Es gehört zu den Stärken von M.s Entwurf, dass seine Pneumatologie stets trinitarisch rückgebunden bleibt: »The Spirit of divine sonship is also and always the Spirit of universal human solidarity as sisters and brothers in the one family of God the Father« (99).

Zur Pneumatologie gehört unverzichtbar die Ekklesiologie hinzu. »It is the Holy Spirit Š, who gives life by establishing the unity in diversity and solidarity of others in the manifold body of Christ« (149). Kirche ist gleichzeitig Zentrum und Modell der Solidarität von Anderen. Sie entspricht dabei der Einheit in Christus und der sozialen Bewegung des Geistes, indem sie nicht nur gegen innen, sondern auch gegen außen solidarische Achtung von Differenzen praktiziert.

Ein letzter Reflexionsgang widmet sich der religiösen Pluralität. Hier plädiert M. nachdrücklich dafür, religiöse Differenzen in ökonomischen und sozialen Differenzen zu verorten. Im Übrigen lehnt er eine Theologie der Religionen als verfrüht ab, um stattdessen für eine »interreligious cooperation in the praxis of liberation« zu optieren (161). Die einzelnen Religionen sollen bei ihren partikularen Überzeugungen bleiben, von ihren internen Prämissen aus aber Solidarität von Anderen entwickeln und fördern. Mit Panikkar hält M. deshalb Pluralismus nicht für ein System, sondern für eine Haltung: »the attitude of respect for diversity, acceptance of the other without understanding, and hope in the ultimate harmony of the difference« (180).

M.s Buch ist aus mehrfachen Gründen eine verdienstvolle Studie. Mit der Kritik an Abstraktion und Weltverlust postmoderner Philosophie (und Theologie) leistet M. eine lange fällige Weiterentwicklung. Aus einer befreiungstheologischen Perspektive denkend gelingt ihm dabei eine fruchtbare Verbindung seines Ansatzes mit kontinentalen Entwürfen. Nordamerikanischer und europäischer Theologie leistet er den Dienst, oftmals ausgeblendete gesellschaftliche und vor allem ökonomische Realitäten erneut in den Blick zu rücken. Dass seine Globalisierungskritik stellenweise etwas plakativ ausfällt, tut dieser Leistung keinen Abbruch.