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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

918 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hermanni, Friedrich, u. Peter Koslowski [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der freie und der unfreie Wille. Philosophische und theologische Perspektiven.

Verlag:

München: Fink 2004. VIII, 235 S. gr.8°. Kart. Euro 22,90. ISBN 3-7705-4055-7.

Rezensent:

Knut Berner

Das Problem der Willensfreiheit gehört zu den besonders strittigen Themen im philosophisch-theologischen Diskurs. Ausgelöst durch neue Erkenntnisse der Neurowissenschaften hat sich der Streit um die Frage, ob und wie ein freies und verantwortliches Subjekt in einer vernetzten Welt denkbar ist, verschärft und neue Brisanz erhalten, was sich an einer Flut von Publikationen und an den Debatten in den Feuilletons der Tageszeitungen ablesen lässt. Wer sich über Beziehungen zwischen Willens- und Handlungsfreiheit, ihre Zuordnungen zu (in-)deterministisch orientierten Weltbildern sowie über Verhältnisbestimmungen zwischen menschlicher Freiheit und göttlicher Wirksamkeit informieren möchte, erhält gute Anregungen aus dem vorliegenden Band, der Vorträge einer Tagung in der Evangelischen Akademie Iserlohn enthält.

In welchem Sinn hat der Mensch einen freien Willen? fragt Ulrich Steinvorth und erkennt auf Grund der immer durch Motive oder Gründe bestimmten Willensfreiheit ihre Vereinbarkeit mit einem schwachen Determinismus, der nicht davon ausgeht, dass alles in der Welt vorherbestimmt ist. Alternativ zu Kants Verständnis des freien Willens als ðeines spontanen Vermögens, Begebenheiten ganz von selbst anzufangenÐ, wird das scholastische Modell einer durch Wollensbedingungen bestimmten »Options-, Urteils- und Verneinungsfreiheit« (13) stark gemacht.

Die prinzipielle Vereinbarkeit der (intuitiven) Annahme menschlicher Willensfreiheit mit einem Determinismus, der zwar biographische Prägungen und individuelle Präferenzen beim Handlungssubjekt voraussetzt, aber nicht kausalgesetzlich jegliches Weltgeschehen von vornherein festlegt, wird in den Beiträgen von Thomas Buchheim und Michael Pauen facettenreich dargelegt. Im Grundsatz ähnlich orientiert, macht Ulrich Pothast noch auf einen weiteren Gesichtspunkt aufmerksam: »Wenn man gesehen hat, dass man Freiheit so bescheiden bestimmen kann, dass kein Konflikt mehr mit einer möglichen Determination besteht, hat man noch gar nichts gesagt über konkrete Gestalt, moralisches Recht, intendierten Zweck und empirisch erforschbare Zweckmäßigkeit der positiven oder negativen Š Sanktionen, die im Namen solcher Verantwortlichkeit verhängt werden« (128). Dieser Gesichtspunkt wird im Beitrag von Ansgar Beckermann, Schließt biologische Determination Freiheit aus? zu unkritisch behandelt. Er argumentiert naturalistisch gegen die seit Descartes verbreitete Annahme eines immateriellen Selbst und postuliert Freiheit nur für Handlungen, die aus rationalen Überlegungen und Wünschen resultieren, diese wiederum werden als Ergebnisse neuronaler Prozesse gewertet. Verantwortlich wird der Mensch, indem er sich handlungssteuernde Mechanismen zu Eigen macht, wobei die moralische Erziehung mit verhängten Sanktionen hilft, deren Berechtigung für den Autor feststeht (vgl. 31).

Peter Koslowski und Armin Kreiner gehen den Zusammenhängen von Willensfreiheit mit dem Ursprung des Bösen bzw. des Leides nach. Gäbe es keine Willensfreiheit, so wäre Leidzufügung nur naturgesetzlich zu verstehen und es könnte Kreiner zufolge niemand für »ðsittlicheÐ Katastrophen« (162) verantwortlich gemacht werden. Koslowski postuliert einen doppelten Sündenfall und eine doppelte Versuchung des Willens zur (freien) Selbstüberhöhung des Menschen bzw. zum (unfreien) Verbleib unter seinen Möglichkeiten, zwischen beiden gilt es in der Mitte der Persönlichkeit einen Ausgleich zu schaffen (vgl. 142 ff.). Hier wird das Paradox eines gefangenen freien Willens im empirischen Selbst verortet und von diesem auflösbar, während es protestantischer Theologie zufolge auf einer dialektischen Sicht des Menschen beruht, die sich der Offenbarungserkenntnis verdankt.

Friedrich Hermannis glänzender Aufsatz Luther oder Erasmus? erläutert die Begründungen für Luthers Behauptung, »der menschliche Wille sei seiner selbst nicht mächtig, weil er in Bezug auf die Grundrichtung seines Wollens willenlos ist« (172), und entfaltet konzise seine Aktualität angesichts gegenwärtiger Determinismusdebatten. Eberhard Mechels zeichnet Das Problem der Freiheit im Calvinismus vor allem auf Grund einer Exegese einschlägiger Texte aus der Institutio nach, während sich Eilert Herms mit dem Verhältnis von Wahrheit und Freiheit beschäftigt, dabei zu Gunsten von Evidenzbehauptungen auf die Auseinandersetzung mit Wahrheitstheorien weitgehend verzichtet und Gewissheitserfahrungen an die Stelle zu erhebender Kriterien setzt. Den markierten Bezügen zwischen Sachwahrheit und Verstehenswahrheit hätte eine Berücksichtigung etwa konstruktivistischer Anfragen gut getan, statt dessen setzt Herms allein auf die Adäquationstheorie und ein Vertrauen in die erkenntnisleitende Kraft der Gegebenheiten, was ihn zu der These führt, dass biblisch-christologisch markierte Zusammenhänge von Wahrheit und Freiheit »einfache Beschreibung dessen [sind], was im menschlichen Leben passiert« (216).

Schade ist, dass die vielfältigen Anregungen des Bandes an keiner Stelle medientheoretische Perspektiven auf die Willensproblematik berücksichtigen.