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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

914 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Stenmark, Mikael

Titel/Untertitel:

How to Relate Science and Religion. AMultidimensional Model.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2004. XX, 287 S. gr.8°. Kart. US$ 28,00. ISBN 0-8028-2823-X.

Rezensent:

Hans-Dieter Mutschler

Mikael Stenmarks Untersuchung zum Verhältnis von Wissenschaft und Religion unterscheidet sich vom Rest der Literatur zu diesem Thema auf eine gravierende Art. Der Vf. wählt einen sozialwissenschaftlichen Ansatz, indem er die soziale Dimension beider Bereiche, die dabei intendierten Ziele, die investierten Epistemologien und erst dann die theoretische Dimension der Bereiche (ihre Ontologien und Methodologien) in den Blick nimmt, die ansonsten im Zentrum stehen.

Sein Standpunkt ist die Postmoderne (82 ff.). Die Vernunft als Grundsatzvernunft habe abgedankt. Vernunft sei kontextrelativ, »transversal«, personbezogen und nicht auf bestimmte Regeln, aber auch nicht auf Wahrheit angewiesen und sie erbringe daher auch nur interne Evidenzen. Rationalität bestehe im »intelligent use of our intelligence«. Großen Raum nehmen in dieser Untersuchung lebensweltliche Verhältnisse ein. Hier zeige sich der »nichtfundamentalistische« Gebrauch der Vernunft als Situationsvernunft. Von diesem Standpunkt aus erscheinen die in Wissenschaft und Religion eingelassenen Vernunftformen als nicht wirklich verschieden.

Im dem Kapitel über theoretische Inhalte der Wissenschaft wird aus dem weiten Spektrum nur die Evolutionstheorie und besonders das Finalitätsproblem behandelt (137 ff.). Weil die wissenschaftlichen Theorien auf Finalität verzichten, müsse man das vielleicht auch im Christentum tun, wodurch die Religion aber ohne weiteres gewinnen könne, da sie dann auf ihre Anthropozentrik verzichten würde (169).

Das Verhältnis zwischen beiden Bereichen wird rein extensional als disjunkte Teilmengen, als identische Mengen oder als teilweise überlappende Mengen gesehen (250). All diese Möglichkeiten könnten historisch eintreten, so z. B., dass die Religion die Wissenschaft gänzlich absorbiert oder umgekehrt (268). Weil eine Disjunktion nichts bringe, fordert er Überlappungen wie »theistic science«, »faith-informed-science« usw. (171 ff.). Man müsse die Idee einer »worldwide-neutral science« aufgeben (207). Wenn man dann eine »islamische Wissenschaft«, »feministische Wissenschaft« usw. fordert, solle das allerdings nicht so weit führen, dass man nur noch eine Wissenschaft akzeptiert, die ins eigene ideologische Schema passt (235).

Man mag im Zweifel sein, ob ein solcher Ansatz einen wesentlichen Beitrag zur Diskussion erbringen kann. Wenn Rationalität so tief gehängt wird, verschwinden natürlich die Differenzen zwischen den beiden Bereichen, aber um den Preis, dass sie ihre Konturen verlieren. Eliminiert man aus dem Christentum Finalität, dann eliminiert man auch Personalität. Es ist fraglich, ob dann von dieser Religion überhaupt noch etwas übrig bleibt. Lässt man zu, dass im Grenzfall Religion Wissenschaft gänzlich absorbiert, dann hebt man alle methodologischen Unterschiede auf, die empirische Wissenschaft von Philosophie und Theologie unterscheiden. Auch wird auf diese Art völlig unverständlich, weshalb auf der ganzen Welt dieselbe theoretische Physik gelehrt wird und nicht etwa in Indien eine indische und in Bayern eine bayrische.

Während die gängige science-and-religion-Diskussion methodologische Unterschiede scharf herausarbeitet und eine Verbindung der Extreme über philosophische Reflexionen fordert, verzichtet der Vf. auf beides. Namen wie ðWhiteheadÐ, ðPeirceÐ, ðKantÐ, oder ðHegelÐ usw. tauchen niemals auf, ja sogar die Wissenschaftstheorie wird nur am Rande erwähnt. 80 Jahre methodologischer Reflexion werden souverän übergangen.

Dass die europäische Tradition zu diesem Thema fehlt (Autoren wie Rahner, Pannenberg, Teilhard usw.), mag sich einem gewissen Anglozentrismus verdanken, den man auch sonst beklagen könnte, aber dass selbst angelsächsische einschlägige Autoren wie Jan Barbour oder Philip Clayton nur am Rande erwähnt werden, während John Polkinghorne gänzlich fehlt, ist doch sehr irritierend. Auch fragt man sich, weshalb physikalische Kosmologie, Kybernetik, Selbstorganisations- und Chaos- sowie Informationstheorie dem Vf. gänzlich unwichtig scheinen, so dass er sie noch nicht einmal erwähnt, wie übrigens auch die Gehirn-Geist- oder Leib-Seele-Debatte, die sonst in jedem Buch zu diesem Thema erwähnt wird und auch erwähnt werden muss.

Kann es sein, dass die Aufgabe traditioneller Grundsatzvernunft in die Beliebigkeit hineinführt, wo jeder alles machen kann, so dass wir im Zweifel sein müssen, welchen Beitrag eine solche Untersuchung zu einem Thema erbringt, das ansonsten auf hohem Niveau verhandelt wird?