Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

907–909

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Harris, Harriet A., and Christopher J. Insole [Eds.]

Titel/Untertitel:

Faith and Philosophical Analysis. The Impact of Analytical Philosophy on the Philosophy of Religion.

Verlag:

Aldershot: Ashgate 2005. 201 S. gr.8° = Heythrop Studies in Contemporary Philosophy, Religion and Theology. Kart. Euro 35,98. ISBN 0-7546-3144-3.

Rezensent:

Ulrich L. Lehner

Den Einfluss der analytischen Philosophie auf Religionsphilosophie und Theologie zu untersuchen, hat sich der vorliegende Band vorgenommen. In ihrer Einleitung geben die Herausgeber einen Überblick über die verschiedenen, über die analytische Philosophie verhängten Urteile. Diese variieren vom Vorwurf einer technisch brillanten Logik bei gleichzeitiger inhaltlicher Leere bis hin zum Lob ihrer klar aufgebauten Argumente, die einer demokratischen Wissenschaftsgesellschaft konformer sind als die idiosynkratischen Sprachspiele phänomenologischer oder hermeneutischer Philosophen (1­20). Den Ursprung der analytischen Religionsphilosophie sehen die Herausgeber in einer Reaktion auf den logischen Positivismus unter Fortführung empiristischer Gedanken Lockes (3). Als grundlegende Eigenschaften werden ihre streng logische und linguistische Analyse sowie das Desinteresse an kantischer bzw. idealistischer Philosophie und historischer Relativität genannt.

Der »Altvater« der analytischen Religionsphilosophie, Basil Mitchell, erläutert in seinem ersten Beitrag »Staking a Claim for Metaphysics« (21­32) mit autobiographischen Rückgriffen den Paradigmenwechsel der Oxforder Philosophie der 1950er Jahre, die sich von der »minute philosophy« wieder den großen metaphysischen Fragen zuwandte. Unverständnis bringt er der postmodernen und feministischen Kritik an der analytischen Vorgehensweise entgegen, da Unparteilichkeit zwar in ihrer reinen Form unerreichbar, aber deswegen noch nicht approximativ unmöglich ist (29), wobei Letzteres für ein Argument ausreicht. Den Ertrag der analytischen Religionsphilosophie für die Theologie sieht Mitchell vor allem in der Aufdeckung von nicht-untersuchten Voraussetzungen (z. B. in der Exegese) sowie in der Kritik von Annahmen zur Neuinterpretation des Dogmas. Daher meint Mitchell, dass analytische Philosophen »eine Nase für Nonsens« entwickelt hätten, derer sich die Theologie prophylaktisch bedienen sollte.

Außerordentlich luzide ist der Beitrag von Richard Swin- burne, »The Value and Christian Roots of Analytical Philosophy of Religion« (33­45), der auch die praktische Seite dieser philosophischen Schule ins Licht rückt. Denn für Swinburne kann die rigoros logische Vorgehensweise der analytischen Philosophie herauszufinden helfen, welche Religion wahr ist, und daher auch zur Orthopraxie führen. »Innerhalb der uns gegebenen Zeit, liegt es an uns, die Systeme, die sich anbieten, zu untersuchen und herauszufinden, welches von ihnen sicher oder wahrscheinlicherweise wahr ist« (34). Die philosophische Analyse, die Swinburne zu der Reflexion der Kirchenväter und der Scholastiker parallel setzt, kann dem Menschen helfen, die Wahrheit seiner Religion tiefer zu verstehen, um letztendlich selig zu werden, vor allem durch die von ihr entwickelten Standards klarer Begrifflichkeit, Unparteilichkeit und logischer Beweisführung (39).

Elizabeth Burns untersucht in »Transforming Metaphysics? Revisioning Christianity in the Light of Analytical Philosophy« (46­60), ob und welche Ströme der analytischen Philosophie mit einer transzendenten Reinterpretation der christlichen Tradition vereinbar sind. Die »Wittgensteinian Revolution« (61­71) ist Thema des Beitrags von Cyrill Barrett. Allerdings werden seine Untersuchungen durch das Postscript von Brian C. Clack (71­75) relativiert, der herausstellt, dass der inzwischen verstorbene Barrett den späten Wittgenstein »durch die Brille« des frühen interpretiert, was zu fatalen Fehleinschätzungen führt, etwa, dass für Wittgenstein religiöser Glaube »vernünftig« sei (74) und nicht nur eine »Lebensform« (75).

Bemerkenswert ist wiederum der Beitrag von Charles Taliaferro »The God¹s Eye Point of View. A Divine Ethic« (76­84), der auf wenigen Seiten überzeugend die Theorie des idealen Beobachters darlegt, ohne dabei die einschlägigen Einwände zu übergehen. Um diese zu entkräften, rekurriert Taliaferro auf einen »idealen, kusanischen Beobachter«, der die Subjektivität nicht bedroht (Sartre), sondern »integriert«: »Wenn es einen idealen Beobachter gibt, oder besser, wenn Gott dieser ideale Beobachter ist, der sich liebend unseren Lebenswegen zuwendet, dann gibt es einen Weg, auf dem eine Beziehung mit diesem Gott es ermöglicht, sich seiner weiteren, umfassenden und exakteren Perspektive anzunähern Š Gegen Sartre würde der Anblick des göttlichen Du unsere Freiheit daher nicht einschränken, sondern erst wahrhaft integrieren« (83). Pamela Sue Anderson weist hingegen in ihrem Aufsatz »What¹s Wrong with the God¹s Eye Point of View. A Constructive Feminist Critique of the Ideal Observer Theory« (85­99) darauf hin, dass Taliaferros Theorie die raumzeitlichen Rahmenbedingungen des beobachtenden Subjekts außer Acht lässt, womit sich ein Widerspruch in dessen Ansinnen, »alle relevanten Fakten« zu untersuchen, zeigt. Denn die affektiven Dimensionen des Subjekts gehen im Konzept des idealen Beobachters unter (86). Ein weiteres Problem stellt die mangelnde Kommunikabilität von Theorien dar, die aus diesem Blickwinkel entworfen werden. Anderson meint, dass so vor allem in ethischen Diskursen nie eine Einigung erzielt werden könne. Ihr feministischer Gegenentwurf hingegen versucht, ein »equilibrium« mit dem Diskussionspartner zu erzielen, das zu einem für beide Seiten akzeptablen Kompromiss führt (91).

Harriet Harris analysiert, inwieweit die klassische analytische Philosophie dem Religionsphilosophen »die Flügel stutzt« und inwiefern die Tradition der reformierten Epistemologie eine Reaktion auf die »minute philosophy« darstellt (100­118). Ausgangspunkt für ihre Überlegungen ist die Übermacht der rationalistischen Methode, die von Wolterstorff wie Plantinga kritisiert wurde, vor allem in ihrer evidentialistischen Ausprägung. Daher sieht sie die reformierte Epistemologie näher an den Lebensproblemen des Menschen sowie auch näher an den eigentlichen Problemen der Religionsphilosophie. So etwa zeige Wolterstorff Möglichkeiten auf, eine religiöse Epistemologie zu entwickeln, die auch die religiöse Praxis in den Blick nimmt, obwohl er (leider) selbst nicht weiterverfolgt hat, inwiefern spirituelle Praxis (Gebet und Kontemplation) das Subjekt zu kompetenterem Wissen religiöser Realitäten führt. Dies stellt trotz zahlreicher Untersuchungen über das religiöse Erleben in epistemologischer Hinsicht weiterhin ein bedauernswertes Desiderat dar (110). Auch der von Plantinga eingeführte sensus divinitatis berücksichtige nicht, »inwiefern wir den noetischen Wirkungen der Sünde entgegenwirken und tugendhaft funktionierende kognitive Fähigkeiten ausbilden, um religiöse Wahrheiten zu erkennen« (116). Der Einfluss von Gemeinschaft, Moral oder Spiritualität auf die genannten kognitiven Fähigkeiten bleibt daher unberücksichtigt.

G. W. Kimura präsentiert in »Analytical Thought and the Myth of Anglo-American Philosophy« (119­135) die These, dass die Bezeichnung der analytischen Philosophie als »anglo-amerikanische Philosophie« falsch sei, da die einzige traditionell anglo-amerikanische Strömung die romantisch-neopragmatische Philosophie darstelle und eben nicht die »defiziente analytische Genealogie« (119). Dabei geht es Kimura vor allem darum, die Eigenschaften der analytischen Philosophie (logische Schärfe, klare Begrifflichkeit etc.) in der kontinentalen Tradition zu verorten, um so die Abwendung von Putnam, Rorty und Quine von der analytischen Schule zu erklären. Die analytische Weise des Philosophierens sei von Fruchtlosigkeit geprägt. Erst die autobiographische Wende Rortys habe die Religiosität wieder zum Thema in der Philosophie gemacht. Rorty¹s »Pragmatismus als romantischer Polytheismus« (128) wird folglich dem Leser ­ so wenig überzeugend wie der ganze Beitrag ­ als neue und fruchtbare ancilla theologiae verkauft.

Dagegen versucht Ann Loades irenisch den Beziehungen von Religionsphilosophie und Theologie nachzugehen (136­147), indem sie dem Leser einen kurzen Überblick darbietet, der von Mitchell bis zum Projekt der »Radikalen Orthodoxie« reicht. Recht polemisch wirkt der Beitrag von Giles Fraser, »Modernism and the Minimal God. On the Empty Spirituality of the God of the Philosophers« (148­157). Er beschuldigt die analytische Religionsphilosophie, mit ihrer Reduzierung des Gottesbegriffs auf einen begrifflichen »Kern« eine Entleerung zu vollziehen, die keinen Platz für das Narrative mehr zulässt (150). Im Anschluss vergleicht er eine solche »inhaltsleere« Philosophie mit der Malerei Rothkos.

Christopher Insole bringt in seinem Beitrag »Political Liberalism, Analytical Philosophy of Religion and the Forgetting of History« (158­170) die politische Dimension analytischer Philosophie fair zum Ausdruck. Auch wenn diese den Ruf genießt, »logozentrisch zu sein«, sei sie gerade dadurch besonders »demokratisch«: »Es wird von jemandem geglaubt, dass er fähig ist, an einen analytischen Satz heranzugehen, wie auch immer sein Hintergrund oder seine Denkvoraussetzungen aussehen, um selbst einsehen zu können, ob das Argument steht oder fällt. Es gibt daher im [analytischen] Ideal Š einen Egalitarismus, einen demokratischen, undogmatischen und liberalen Geist« (170). Dass mit diesem notwendigerweise die geschichtliche Wirklichkeit marginalisiert wird, weil sie ja nur in Betracht gezogen wird, insoweit sie das Argument vorantreibt, liegt auf der Hand. Ebenso aber wird die Sozialität des Subjekts und seine Emotionalität ausgeblendet, was wohl zu den schlagkräftigsten Argumenten gegen die analytische Philosophie zählt. Bemerkenswert und einleuchtend ist der Vorschlag von Insole, die analytische Religionsphilosophie solle von der analytisch geprägten politischen Philosophie (Rawls u. a.) lernen, die sich der Geschichtsvergessenheit bereits bewusst geworden sei (168). Den Abschluss des Bandes bilden eine umfangreiche Bibliographie und ein Register.

»Faith and Philosophical Analysis« enthält eine Reihe von Beiträgen höchst unterschiedlicher Qualität. Daher fällt eine zusammenfassende Beurteilung schwer. Für eine vorläufige Orientierung über das Phänomen »analytische Religionsphilosophie« genügt das Werk vollauf. Aber der Rezensent hätte sich eine weniger auf den britischen Raum eingeschränkte Sichtweise gewünscht, welche die bedeutenden amerikanischen Analytiker (Plantinga, Wolterstorff, Craig etc.) und ihre Kritiker mit einbezieht. So ist der Sammelband leider nur Mittelmaß geblieben.