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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

905–907

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Deuser, Hermann

Titel/Untertitel:

Gottesinstinkt. Semiotische Religionstheorie und Pragmatismus.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XII, 352 S. gr.8° = Religion in Philosophy and Theology, 12. Kart. Euro 39,00. ISBN 3-16-148355-3.

Rezensent:

Daniel von Wachter

Hermann Deuser veröffentlicht in diesem Buch 17 zwischen 1994 und 2002 erschienene Aufsätze »neu bearbeitet und aufeinander abgestimmt«. Die meisten von ihnen handeln von Charles Sanders Peirces (1839­1914) Religionsphilosophie. D.s Ziel ist es »nachzuweisen, daß dem typisch neuzeitlichen Denkmuster der Philosophie- und Religionsauffassung Kants widersprochen werden kann« (VIII). Heute sei »eine Religionstheorie zu entwickeln, die dem Gottesbegriff und dem religiösen Glauben ihre respektable Selbständigkeit und Selbstverständlichkeit zurückgibt«. Dieses Ziel wird weniger durch direkte Verteidigung der These verfolgt als dadurch, dass die These besonders unter Rückgriff auf Peirce illustriert wird.

Das Buch wird eingeleitet durch eine Abhandlung mit der Überschrift »American Philosophy«, die vielleicht treffender die Überschrift »American Pragmatism« tragen könnte. Die folgenden Kapitel konzentrieren sich auf Peirce. »Kategoriale Semiotik und Pragmatismus« handelt von Kategorien, Zeichen und dem Pragmatismus. »Die phänomenologischen Grundlagen der Trinität« beschreibt, wie für Peirce die Zahl Drei von besonderer Bedeutung ist, und bringt dies mit der Trinität in Verbindung. Auch das nächste Kapitel, »Variationen über Nominalismus«, nimmt ein Thema von Peirce auf und bringt es mit Theologie in Zusammenhang: Peirces Ablehnung des Nominalismus wird auf die Ablehnung von Nietzsches »Gott ist tot« übertragen. Mehr Details über Peirces Theorie von Zeichen und Symbolen erfährt man in »Kategoriale Semiotik, Religion und die personale Symbolisierung im Christentum«. Es folgen vier Kapitel, in denen christliche Lehren umgedeutet und mit verschiedenen Autoren ins Gespräch gebracht werden: Lehren von der Trinität, vom Handeln Gottes und von der Inkarnation; außerdem wird Peirces »Gottesargument« erörtert. Ein ähnliches »pragmatistisches« Argument wird David Hume zugeschrieben, was durch eine recht detaillierte Besprechung von Humes Dialogen untermauert wird. Zwei Zeit- und teilweise auch Weggenossen von Peirce sind die Kapitel »Zum Religions- und Wahrheitsbegriff bei William James« und »Die Religion und die Funktion der Religiosität in John Deweys A Common Faith« gewidmet. Unter dem Motto der »pragmatistischen Religionsauffassung« steht ferner ein Aufsatz über »Ist Gemeinschaft ein metaphysischer Begriff?«, der Peirces Metaphysikbegriff verwendet. Unter das Motto »Perspektiven« stellt D. schließlich Aufsätze über den amerikanischen Theologen Robert Neville (Dean of Marsh Chapel, Boston University), »Robert Nevilles Schöpfungs-, Bundes- und Trinitätstheologie«, und über Ulrich Oeverman (Institut für Sozialisationsforschung und Sozialpsychologie, Universität Frankfurt), »Die strukturelle Wahrheit der Religiosität ­ Zu Ulrich Oevermanns Konstitutionslogik von Praxissituationen«, sowie ein Stück über die Beziehung zwischen Luther und Goethe und eine abschließende Erörterung »Über das Verhältnis von Theologie und Religionsphilosophie«.

Ohne Übertreibung kann man sagen, dass die Zahl Drei die wichtigste Zahl in Peirces Philosophie ist. Einige seiner Dreiergruppen, um nur drei zu nennen, sind 1. Möglichkeit, 2. Aktualität, 3. Notwendigkeit oder 1. Eigenschaft, 2. Tatsache, 3. Gewohnheit oder 1. Entität, 2. Relation, 3. Repräsentation. D. arbeitet insbesondere die zuletzt genannte Dreiheit heraus und entwickelt aus ihr »phänomenologische Grundlagen der Trinität«. Der mit Peirce nicht vertraute Leser wird sich wahrscheinlich eine eingängigere, klarere Darstellung von Peirces Gedanken wünschen, doch das liegt eher an Peirces Schriften, die nicht grundlos als schwer zugänglich gelten, als an diesem Buch. Ausgehend von Schleiermachers Einwänden gegen die traditionelle Trinitätslehre skizziert D. nun mit den bei Peirce beschriebenen Dreiheiten in der Welt (die dieser freilich nicht explizit auf Gott überträgt, zumindest zitiert D. keine solche Aussage) eine nicht-traditionelle Trinitätslehre. An die Stelle der Lehre, dass es drei göttliche Personen gibt, tritt die Aussage, dass die reale Welt in verschiedenen Hinsichten eine triadische Struktur aufweist und dass daher von Gott als dreifaltig zu sprechen sei. Zum Beispiel sagt D., dass von Gott als Schöpfer zu sprechen sei, »der in sich selbst das schon (kategorial dreifach gegliedert) repräsentiert, was dann in der Erfahrungswelt Š als sein Gegenüber (Himmel, Erde, Menschen) und in deren Prozessualität wiederum als Repräsentation dieses Ganzen von Welt und Zeit Gottes erlebt wird und zum Ausdruck gebracht werden muß« (53). Die Verbindung zur Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes scheint mir da nur eine sehr metaphorische zu sein, aber wer Schleiermachers Argumente überzeugend findet und trotzdem eine Art Trinität annehmen möchte, der wird in zwei Aufsätzen dieses Buches (Kapitel 2 und 5) reiche Anregungen dazu finden.

Als »Inbegriff des modernen Nominalismus«, den D. wie auch Peirce ablehnt, sieht D. das Diktum »Gott ist tot« an. Wäre Gott tot oder irrelevant, dann gelte dies »auch für alle nicht-empirischen, nicht-konkreten Verallgemeinerungen wie rationale Gründe, Gesetzmäßigkeiten oder reale Zusammenhänge« (55). Nominalismus und Gottesglaube sind also unvereinbar. Ich habe im Text keine Begründung für diese These gefunden. Der Nominalismus ist die Auffassung, dass es keine Universalien gibt, d. h. Gegenstände (etwa Eigenschaften oder Arten), die von mehreren Gegenständen instantiiert werden können; auch die Ablehnung der Existenz von Allgemeinbegriffen oder von Zahlen wird manchmal als Nominalismus bezeichnet. Es scheint konsistent zu behaupten, dass es keine Universalien gibt, aber einen Gott (ich selbst vertrete diese Auffassung). Übrigens scheint es auch konsistent zu behaupten, dass es sowohl Universalien als auch rationale Gründe, aber keinen Gott gibt (es sei denn, man folgt Plantingas »evolutionary argument against naturalism«). Nicht zuletzt der einflussreichste zeitgenössische Verteidiger des Universalienrealismus, David Armstrong, nimmt Universalien, aber keinen Gott an.

Unter der Annahme, dass Gott kein Universale und kein Begriff ist, schließen Nominalismus und Gottesglaube einander nicht aus. Tatsächlich erwägt D. aber an einer Stelle, dass »Gott wie ein Gattungsbegriff zu denken« (53) sei. Dagegen wäre Folgendes einzuwenden. Man kann annehmen, dass der Begriff »Gott« (zumindest in manchen Zusammenhängen) ein Gattungsbegriff (und nicht ein Eigenname) ist. Doch das, was ggf. unter den Begriff Gottes fällt, ist keinesfalls ein Begriff, zumal ja ein Begriff auch nicht Schöpfer sein könnte.

Wie das Buch die beiden im Vorwort genannten Ziele erreichen soll, einer neuzeitlichen und Kantianischen Religionsauffassung zu widersprechen und dem Gottesbegriff und dem religiösen Glauben ihre Selbstverständlichkeit zurückzugeben, ist mir nicht klar geworden. Denn D. macht die in der Nachfolge Kants entstandene Umdeutung christlicher Lehren wie der Trinität mit, und er verwendet, wie es für die neuzeitliche Kantianische Religionsauffassung typisch ist, einen umgedeuteten Gottesbegriff statt des traditionellen theistischen. Bezüglich des neuen Gottesbegriffes könnte man sagen, dass das Buch seine Selbstverständlichkeit verteidigt, indem es aufzeigt, dass das, was da »Gott« genannt wird, allgegenwärtig und Grundlage aller Erfahrung sei. Jedenfalls schlägt das Buch viele Brücken vom amerikanischen Pragmatismus zur Theologie.