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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

901 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

B>Keller, Rudolf, u. Michael Roth [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Mit dem Menschen verhandeln über den Sachgehalt des Evangeliums. Die Bedeutung der Theologie Werner Elerts für die Gegenwart.

Verlag:

Erlangen: Martin-Luther-Verlag 2004. 175 S. 8°. Kart. Euro 18,00. ISBN 3-87513-147-9.

Rezensent:

Christian Neddens

Werner Elert ist einer der meistzitierten Systematiker des Luthertums ­ von den einen verehrt, von anderen scharf attackiert. Zu seinem 50. Todestag ist 2004 eine Aufsatzsammlung mit dem viel versprechenden Untertitel »Die Bedeutung der Theologie Werner Elerts für die Gegenwart« erschienen.

Zwei dieser Aufsätze lassen noch etwas von der Verehrung erahnen, die Elert innerhalb des Milieus genoss, in dem er sich bewegte. Rudolf Keller zeichnet die Gestalt Elerts im Spiegel der Nachrufe bei seinem Begräbnis nach. Und Gerhard Müller, der Elerts Frühschrift »Der Kampf um das Christentum« darstellt, bringt zum Ausdruck, was viele von Elert erwartet haben mögen: eine trotzige »Gegen«-Theologie, die sich nicht nur gegen Kulturprotestantismus und Barthsche Dialektik, sondern auch gegen die Religionskritik der Wissenschaften zu behaupten versprach.

Sigurjón Árni Eyjólfsson und Hartmut Günther fragen nach einem Kernproblem in Elerts Anthropologie: nach der Kohärenz der menschlichen Person, die simul iustus et peccator unter Elerts eigenwilliger Dialektik von Gesetz und Evangelium zu verschwinden droht. Dabei zeigt sich, dass Elert in seinem Spätwerk »Das christliche Ethos« (1949) zwar die dialektische Struktur seiner Dogmatik weiterführt, zugleich aber versucht, Einseitigkeiten seines früheren Ansatzes zu korrigieren. Eyjólfsson liest Elerts späte Anthropologie konsequent von einem für Elert ungewöhnlichen christologischen Ansatz her, bei dem das »Bild des gekreuzigten Christus (imago Christi) Š das wahre Gesicht des Menschen zeigt« (70). Auch Günther fragt nach der »Einheit der Persönlichkeit« (75) des unter Gottes zweifachem Urteil scheinbar hoffnungslos gespaltenen Menschen, findet sie aber etwas anders als Eyjólfsson bei Elert nicht in der imago Christi, sondern im »unsichtbaren Streit« des neuen Menschen mit dem alten.

Ein erhellendes Bild zeichnet Volker Keding von den späten dogmengeschichtlichen Arbeiten Elerts. Im Mittelpunkt steht dabei die These, dass Elerts späte theopaschitische Christologie nicht nur die durch die Kriegskatastrophe unvermeidlich gewordene Frage nach der Leidensfähigkeit Gottes aufgreift, sondern ihrerseits die kreuzestheologischen Überlegungen bei Pannenberg, Jüngel, Moltmann u. a. maßgeblich beeinflusst habe. Auch hier scheint es, als habe Elert am Ende seines Schaffens noch einmal einen neuen Zugang zur Theologie gefunden.

Die Erkenntnis Gottes durch das »biblische Christusbild«, insbesondere die Erkenntnis des Leidens Gottes im Leiden und Sterben Jesu Christi sind geeignet, die unsägliche Spaltung zwischen dem zornigen und dem inkarnierten Gott zu überbrücken, unter der Elerts Werk der 20er bis 40er Jahre litt. Leider ist es Elert verwehrt geblieben, diese Zusammenhänge noch einmal grundlegend zu durchdenken. Gleichwohl bleibt die intensive Analyse der theopaschitischen Christologie des späten Elert gerade in ihrer systematischen Reichweite ­ auch hinsichtlich einer Korrektur der »klassischen« Elertschen Systematik ­ ein Forschungsdesiderat.

Tobias Claudy und Michael Roth schließlich befassen sich mit der anthropologischen Anknüpfung in Elerts dogmatischen Hauptschriften, um seine Gegenwartsbedeutung zu erhellen. Claudy ist der Ansicht, dass es bei dieser Anknüpfung allerdings nicht um ein unvoreingenommenes Verstehenwollen der menschlichen Selbstdeutung (33), sondern um eine tendenziöse, moralisch verfärbte Existenzbeschreibung zur Plausibilisierung der nachfolgenden dogmatischen Position gehe. Demgegenüber hält Claudy nur eine »induktiv-empathische« Annäherung an das menschliche Selbstverständnis für legitim. Auch Roth fragt nach der Möglichkeit, den Menschen der Gegenwart theologisch in den Blick zu nehmen, und würdigt Elert als Impulsgeber für eine »Hermeneutik der Gegenwart« (173). Freilich muss Roth zugestehen, dass Elerts Theologie in dieser Hinsicht aporetisch bleibt: Elerts Glaubens- und Gesetzesbegriff zielen nämlich gerade darauf ab ­ so Roth ­, den Glauben gegenüber dem Anspruch einer Bewährung im Diskurs zu immunisieren. Dann stellt sich umso dringlicher die Frage, auf welche »Lebenswirklichkeit« und welche »Konkreta unserer menschlichen Existenz« Elert eigentlich Bezug nimmt.

Schlüsselfragen der Elert-Interpretation bleiben weiterhin offen: Welche Funktion sollte diese systematische Theologie eigentlich erfüllen? Wie sind die politischen und weltanschaulichen Züge, die Elerts Werk von Anbeginn durchziehen, im Zusammenhang seiner Theologie zu interpretieren? Und implizieren diese weltanschaulichen Züge ihrerseits nicht eine Transformation der Erlanger konfessionellen Theologie in eine moderne »Weltanschauung«?