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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

893–895

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Mager, Inge [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Frauenprofile des Luthertums. Lebensgeschichten im 20. Jahrhundert.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 639 S. m. Abb. gr.8° = Die Lutherische Kirche ­ Geschichte und Gestalten, 22. Geb. Euro 29,95. ISBN 3-579-05213-6.

Rezensent:

Sibylle Rolf

»Es gibt eine männliche und eine weibliche Sicht aller Dinge, oder eine männliche und weibliche Art, sie zu erfassen. Nur beide zusammen können die Vollendung bringen«, schreibt Selma Gräfin von der Gröben (1856­1938) Anfang der 30er Jahre des 20. Jh.s (59). Der von Inge Mager im Auftrag der Historischen Kommission des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes herausgegebene biographische Sammelband »Frauenprofile des Luthertums« ergänzt einen 1998 erschienenen Sammelband, der (mit einer Ausnahme) männliche »Profile des Luthertums« aus dem 20. Jh. vorstellt, und richtet auf diese Weise den Blick auf das weibliche Erleben von Geschichte. Die dargestellten Frauenprofile erzählen von Lebensleistungen und Existenzformen lutherisch geprägter Frauen vor allem im 20. Jh., beginnend aber schon in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s, weil »der grundlegende Wandlungsprozess in Bezug auf Selbstverständnis, Lebensgestaltung und Öffentlichkeitswirksamkeit von Frauen in der Neuzeit nur durch die Einbeziehung von Lebensgeschichten verdeutlicht werden konnte, die noch weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen« (11). So bietet der Band zugleich einen Abriss des gesellschaftlichen Wandels des Frauenbildes von den Anfängen der »Frauenfrage« und der Gründung evangelischer Frauenverbände über den nationalsozialistischen Muttermythos und die Wiedereinführung der Demokratie mit der empfundenen Notwendigkeit der Gleichberechtigung von Frauen und Männern etwa bei der Ordination auch von Frauen bis hin zur Zeit der Studentenproteste und der beginnenden feministischen Theologie.

Der Band enthält 36 Porträts von Frauen mit einer »bald mehr, bald weniger erkennbare[n] oder reflektierte[n] protestantische[n] Grundeinstellung« (16), in großer Diversität, aber mit einer allen vorgestellten Frauen gemeinsamen religiösen Grundhaltung, die theologisch oder karitativ auf besondere Weise in die Gesellschaft, besonders für andere Frauen hineinwirkte. Dabei reicht die Bandbreite zeitlich gesehen von Charlotte Luise Adelheid von Veltheim (1832­1911) bis Leonore Siegele-Wenschkewitz (1944­1999), in der theologischen und spirituellen Ausrichtung von Elly Heuss-Knapp, der Mitbegründerin des Müttergenesungswerks, über die Schriftstellerin Ricarda Huch bis zu Klara Schlink, der Mutter Basilea der Darmstädter Marienschwestern. Mit den Porträts entfaltet sich ein beeindruckendes Bild von Frauenschicksalen und Frauenleben im vergangenen Jh., das bei aller Pluriformiät seine Konstante in der Sorge der Frauen um andere Frauen hat.

Die früh in diesem Jh. aufgekommene, zuerst 1891 von Elisabeth Malo (1855­1930) an die von Männern dominierte Kirche und Theologie gerichtete »Frauenfrage« wird durch die Zeit hindurch unterschiedlich beantwortet, unter anderem in der Gründung des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes (D. E. F. B., seit 1969 Deutscher Evangelischer Frauenbund e. V., DEF), dem Paula Müller-Otfried (1865­1946), Adelheid von Bennigsen (1861­1938), Selma Gräfin von der Gröben (1856­1938) und Emilie Loose (1872­1933) angehörten, in der Zuwendung zu Armen und Kranken durch weibliche Diakonie bei Bertha Keyser (1868­1964), Renata Gräfin zu Stolberg-Wernigerode (1886­1946), Marie Meinzolt (1889­1962) und Auguste Luise Mohrmann (1891­1967), der Gründung des Müttergenesungswerks durch Elly Heuss-Knapp (1881­1952) oder in der wissenschaftlichen und unterrichtlichen Arbeit, zunächst vor allem für Frauen, nach 1945 auch geschlechterübergreifend, repräsentiert durch Elisabeth Neuse (1874­1956), Agnes von Zahn-Harnack (1884­1950), Elisabeth von Thadden (1890­1944), Maria Heinsius (1893­1979) und Maria Weigle (1893­1979). Eine gänzlich andere Antwort findet die »Frauenfrage« in der Gründung von Frauengemeinschaften durch Christel Schmid (Mater Felizitas, 1892­1970), die Gründerin des Casteller Rings, und Klara Schlink (1904­2001), die Gründerin der Marienschwestern, sowie bei den gleichwohl lutherisch-konfessionell geprägten, aber in der Ausrichtung ihres Werkes sehr unterschiedlichen Schriftstellerinnen Ricarda Huch (1864­1947) und Ina Seidel (1885­1974).

Politisch besteht bei den porträtierten Frauen in der schwierigen Zeit der ersten Hälfte des 20. Jh.s alles andere als Einigkeit ­ während das nationalsozialistische Regime von den einen durch Parteimitgliedschaft unterstützt wird (Agnes von Grone, 1889­1980, oder Auguste Luise Mohrmann), erleiden die anderen Repressalien durch die Nationalsozialisten (Hildegard Schaeder, 1902­1984) oder finden durch dieses Regime sogar den Tod (Elisabeth von Thadden). Nach 1945 zeigen sich Aufbrüche in der theologischen Arbeit für und mit Frauen bei den Theologinnen Sophie Benfey-Kunert (1896­1960), Antonie Nopitsch (1901­1975), Hanna Jursch (1902­1972), Lieselotte Richter (1906­1968), Margarete Daasch (1908­1993) und Lieselotte Nold (1912­1978). Auch hier nimmt die Pluriformität der Lebensgeschichten nicht ab, sondern bleibt nach dem Einschnitt des Zweiten Weltkrieges unverändert komplex. Dabei schließt sich erst spät der Kreis, als im letzten Drittel des Jh.s die von Elisabeth Malo gestellte Frauenfrage an Theologie und Kirche im Wirken von Ilse Margreth Kulow (1922­1998) und ihrer Ordination als eine der ersten Pfarrerinnen einer lutherischen Kirche beantwortet wird. Die Entwicklung einer feministischen Theologie, an der etwa Leonore Siegele-Wenschkewitz maßgeblich gearbeitet hat, ist dagegen bis in die Gegenwart nicht abgeschlossen.

Der Sammelband ist ein ermutigendes Buch für Frauen, die selbst ein Amt in Kirche, Wissenschaft und Gesellschaft innehaben, denn er ist ein eindrückliches Zeugnis über Frauengeschichte im 20. Jh., indem er die vor allem praktischen Lebensleistungen von Frauen dokumentiert, zugleich aber die Hoffnung deutlich macht, dass es ein »organisches, genderunabhängiges, allein von Begabung und Eignung bestimmtes Zusammenwirken beider Geschlechter in Gesellschaft und Kirche geben« kann (18). Die Wegbereiterinnen eines solchen Prozesses, in dem Männer und Frauen voneinander lernen, finden sich auf beeindruckende Weise versammelt. Besonders deutlich wird, wie es viele unterschiedliche Stimmen braucht, die eine Idee, einen Traum oder eine Vision in die Gesellschaft hinein versprachlichen, und wie diese Stimmen sich ­ auch durch ihre Vernetzung ­ zu einem pluriformen Chor vereinigen, um das Leben von vielen prägend zu gestalten. Diese prägende Gestaltung liegt zumindest auch daran, dass die porträtierten Frauen mit Ausnahme der beiden Schriftstellerinnen und derjenigen, die vor allem wissenschaftlich schreibend tätig waren, sich »konkreten Projekten in Verkündigung, Lehre und Seelsorge, im diakonischen, erzieherischen oder politischen Bereich zugewandt« (16) haben. Darin manifestiert sich nach Überzeugung der Herausgeberin weniger eine »den Frauen gern zugeordnete dienende Martha-Natur als vielmehr das Streben nach einem elementaren Theorie-Praxis-Bezug und das Bedürfnis nach einer Verleiblichung des Glaubens« (17). Exemplarisch wird diese Durchdringung von Theorie und Praxis in folgendem Zitat von Elisabeth Neuse: »Evang. Frömmigkeit kann ihrem innersten Wesen nach nur eine sein, man könnte den Glauben ihre Wurzel, die Liebe ihre Frucht nennen, nie aber darf eins ohne das andere sein.« (165)

Die Verknüpfung von Religion und Alltag, Spiritualität und Leben ist im gegenwärtigen weltanschaulichen Pluralismus aktueller denn je. Auch darum lohnt es sich, »Frauenprofile des Luthertums« wahrzunehmen und als beispielhafte Lebensbilder anzusehen. Denn darin liegt die ermutigende Kraft dieses Buches ­ nicht nur für Frauen.