Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/1998

Spalte:

409–414

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Mittelstraß, Jürgen [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, 1-4.

Verlag:

Stuttgart-Weimar: Metzler 1995/96. 835 S., 1105 S., 866 S., 872 S. gr.8°. Pp. DM je 198,­. ISBN 3-476-01350-2, 3-476-01351-0, 3-476-01352-9, 3-476-01353-7.

Rezensent:

Ernstpeter Maurer

Das vierbändige Werk dokumentiert den Versuch der "Erlanger und Konstanzer Schule", nämlich der "konstruktiven" Philosophie und Wissenschaftstheorie, das philosophische Wissen historisch und systematisch, vor allem aber begrifflich konsistent zu bearbeiten. Bemerkenswert ist das breite Spektrum von Stichwörtern: Es finden sich sowohl Sach- als auch Personenartikel, Beiträge zur buddhistischen, islamischen, indischen und japanischen Philosophie und nicht zuletzt viele Stichwörter aus Wissenschaftstheorie, Mathematik und Physik. Die "konstruktive Schule" hat sich seit ihren Anfängen bei Wilhelm Kamlah und Paul Lorenzen auf die Konvergenz von Philosophie und Wissenschaftstheorie konzentriert und versucht, "die Philosophie unter dem Gesichtspunkt begrifflicher Klarheit und methodischer Strenge wieder wissenschaftlicher und die Wissenschaften unter dem Gesichtspunkt einer methodologischen und teleologischen Aufklärung über sich selbst ... wieder philosophischer zu machen" (I,6). Diesem Projekt soll auch die von Jürgen Mittelstraß herausgegebene Enzyklopädie dienen.

Weitgehend unproblematisch sind die historischen Informationen. Es finden sich viele vorzügliche Personenartikel und prägnante philosophiegeschichtliche Darstellungen innerhalb der Sachartikel. Zu nennen ist etwa die differenzierte Behandlung des Anselmschen Arguments: "Der Übergang vom Denken Gottes zur Annahme seiner Existenz läßt sich ... verstehen als der in der Sprache der Vernunft dargestellte Verzicht auf den Autonomieanspruch der Vernunft" (I,123). Die Probleme des "Beweises" werden hier nicht nur logisch analysiert, sondern gewissermaßen existenzial interpretiert. Eine didaktische Meisterleistung sind die Ausführungen zu Kant. Hier wird in vorbildlicher Weise der philosophiegeschichtliche Hintergrund für die systematisch-problemorientierte Darstellung fruchtbar gemacht.

Auch an den Skizzen zu Fichte, Hegel und Schelling fällt positiv auf, daß die verwickelten Gedanken des Deutschen Idealismus als ernstzunehmende Antwort auf systematische philosophische Probleme nachgezeichnet werden. Anders verhält es sich mit dem viel zu kurz geratenen Schleiermacher-Artikel (der Eintrag zu Popper hat die siebenfache Länge). Vor allem die Dialektik wird so knapp abgehandelt, daß die Grundgedanken nicht deutlich hervortreten. Das ist bedauerlich, weil die von Schleiermacher skizzierte Konstruktion der wissenschaftlichen Disziplinen aus dem unhintergehbaren, dialogisch verfaßten unmittelbaren Selbstbewußtsein eine gewisse Nähe zur Erlanger Schule erkennen läßt. Ausgezeichnet und lehrreich sind hingegen die Artikel zu Hegel und zur Hegelschen Logik. Hier bleiben einige Rückfragen im Detail: Ob die Phänomenologie den "stufenweisen Selbstsetzungsgang des Geistes" (II,49) behandelt, ist umstritten ­ weder setzt sich der Geist selbst, noch kann einfach von Stufen die Rede sein. In der Rechtsphilosophie verschränken sich "dialektisch-logische Momente besonders stark mit Momenten faktisch-historischer Kontingenz, die sich ihrerseits gegen eine dialektisch-logische Ableitung sperren" (II,50). Könnte aber nicht Hegels Dialektik von der Phänomenologie her aufgefaßt werden als Methode, die Philosophie für das kontingent Faktische und Unableitbare zu sensibilisieren und präzise davon zu reden? Die skeptischen Schlußbemerkungen zu Hegels Bedeutung in der neueren Naturphilosophie (II,51) sind zu relativieren: Die unhintergehbare Verschränkung von Begriff und Wirklichkeit kann im Rahmen der analytischen Wissenschaftsphilosophie durchaus sinnvoll zur Geltung gebracht werden.

Einige Artikel sind zu knapp und bleiben daher an der Oberfläche. Das gilt leider auch für Wittgenstein, auf dessen Spätwerk die konstruktive Philosophie sich beruft. Um so mehr fällt auf, daß einer ausführlichen Analyse des "Tractatus" eine eher summarische Zusammenfassung der "Philosophischen Untersuchungen" folgt. Dabei kommt die irreduzible Pluralität möglicher Sprachspiele und entsprechender Lebensformen nicht deutlich zum Vorschein: Wittgensteins Überlegungen zum Aspektwechsel laufen darauf hinaus, daß selbst die impliziten Regeln eines Sprachspiels in bestimmten Fällen mehrdeutig werden können, so daß sich der Wortgebrauch "verzweigt". Dieser Grundgedanke wäre eine ersthafte Anfrage an das Erlanger Eindeutigkeitspostulat.



Die Vielzahl der Stichwörter führt dazu, daß komplexe Zusammenhänge zur Unverständlichkeit verdichtet werden. Viele wissenschaftstheoretisch relevante Artikel zu mathematischen und physikalischen Sachverhalten sind ungenießbar. Das gilt etwa für "Algorithmentheorie", "Quantentheorie", "Relativitätstheorie, allgemeine" bzw. "spezielle". Wer sich hier nicht bereits auskennt, wird die Artikel nicht verstehen, und wer sich auskennt, braucht sie nicht zu lesen. Es kommt überdies zu Wiederholungen derart dichter Ausführungen, die das Verständnis natürlich nicht vertiefen. So wird das physikalische Grundlagenproblem der Zeitmessung in den Artikeln "Chronometrie", "Protophysik" und "Zeit" skizziert, bleibt aber jeweils im Detail unklar. Ähnliches gilt für die meisten Beiträge zu Logik und Mathematik. Hier bleiben Wolfgang Stegmüllers "Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie" nach wie vor unerreicht.

Die Erlanger bzw. Konstanzer Schule tritt freilich mit dem Anspruch auf, eine Alternative zur Analytischen Philosophie zu bieten. Konstruktive Wissenschaftstheorie zielt auf die "(Re-) Konstruktion komplexer Wissenschaftssprachen, ausgehend von lebensweltlichen praktischen Fundamenten" (IV,746). Hier fließen sehr unterschiedliche Strömungen der Philosophie unseres Jahrhunderts zusammen: die Phänomenologie Husserls, Einsichten von Dilthey und Heidegger, aber auch die sprachphilosophischen Ideen von Peirce und Wittgenstein sowie die mathematische Grundlagenforschung. Entscheidend ist der Gedanke einer Unhintergehbarkeit des Lebens, die bis in die sprachlichen Vollzüge hineinreicht. Es geht um Lebensformen (im Sinne Wittgensteins) als mögliche Anfänge; "immer schon Gekonntes" wird zur Fundierung komplexeren (wissenschaftlichen) Handelns herangezogen. "Lebensweltliches Handeln ist durch relativen, lokalen Erfolg praktisch bewährt. Nur als solches ist es unter der Bedingung der dem dialogischen Prinzip unterworfenen Rekonstruktion seines Erwerbs möglicher An-fang methodischer Fundierungsbemühungen" (IV,749). Dabei müssen Störungen bewältigt und Kontinuitäten auf Dauer gestellt werden. Die Problemlösungspotentiale werden maximiert, sofern es gelingt, "die Problembeschreibungen ihrer kontextualen Merkmale zu entkleiden" (ebd.), welches Verfahren auf eine hochstilisierte, vor allem situationsinvariante Praxis zielt. Das Verfahren muß lückenlos und zirkelfrei sein. Im Unterschied zu Wittgenstein kommen damit zwei "konstruktive" Grundforderungen zum Zuge: der Wille zur Eindeutigkeit und das "Prinzip der pragmatischen Ordnung", "in wissenschaftlichen Handlungszusammenhängen ... nur von solchen Mitteln Gebrauch zu machen, die bereits konstruktiv zur Verfügung stehen" (III,344). Dabei zeichnen sich zwei Frontstellungen ab: Zum einen soll das wissenschaftstheoretisch fundamentale Problem der "theoriegeladenen Fakten" neu analysiert bzw. eliminiert werden (1). Zum andern erzwingt das Prinzip der pragmatischen Ordnung den konstruktiven Aufbau der Logik (2).

(1) Verschiedene "Proto-"Disziplinen, vor allem die Protophysik, konzentrieren sich auf die Beschreibung elementarer Meßgeräte und -vollzüge, ohne schon bestimmte physikalische Theorien vorauszusetzen. So wird etwa die Längenmessung auf die Herstellung wechselseitig "passender" geometrischer Formen wie Kerbe und Keil zurückgeführt, die Zeitmessung auf die Herstellung relativ wiederholbarer Vorgänge an Geräten. Daraus ergibt sich zunächst eine Vorordnung der Formbegriffe gegenüber den Maßbegriffen. Die wissenschaftliche Praxis des Messens kann sodann als "Hochstilisierung" der lebensweltlichen Praxis begriffen werden. Daraus ergibt sich schließlich ein wichtiger Einwand gegen die von Thomas Kuhn gegebene Beschreibung der Theoriendynamik und das u. a. von Wolfgang Stegmüller ausgearbeitete strukturalistische Theorienkonzept. In beiden Ansätzen gelten Messungen und Experimente nicht als neutrale Instanzen gegenüber der Theorie. Daher kann nach Kuhn eine Theorie nicht durch "Fakten" widerlegt werden, denn die Theorie bestimmt, welche Fakten relevant sind. In der "strukturalistischen" Rekonstruktion bewährt sich eine Theorie darin, daß sie eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungsbereiche untereinander verklammert, die sich in der Perspektive der Theorie als Modelle einer theoretischen Struktur erweisen. Die konstruktive Wissenschaftstheorie hält dagegen an einer doppelten Kontinuität fest: Einerseits führt die Theoriendynamik nicht zu inkommensurablen Theorien. Theorien bleiben nämlich grundsätzlich kommensurabel, wenn "die Rekonstruktion von derselben lebensweltlich-operativen Basis ... aus erfolgt" (III,558). Zum andern bleibt die Meßpraxis durch den Zusammenhang mit der Lebenswelt eine der Theorie gegenüber eigenständige Instanz.

Der Gegensatz zum strukturalistischen Konzept wird überzeichnet, denn auch in konstruktiver Sicht kann "eine Theorie im Einzelfall ... als ihre eigene Beobachtungstheorie in Erscheinung treten" (IV,274). Es ist umgekehrt möglich, die Verklammerung von Anwendungen einer Theorie ­ dabei werden immer differenziertere Messungen möglich, die einander korrigieren ­ ganz im Sinne der konstruktiven Philosophie als Hochstilisierung experimenteller Praxis zu beschreiben. Etwas problematischer ist das Beharren auf einer unhintergehbaren protophysikalischen Fundierung. Es wäre gerade von Wittgensteins Sprachspielen her zu fragen, ob eine protophysikalisch rekonstruierte Praxis nicht durchaus zwei untereinander inkommensurable Theorien erschließen kann. Nach Kuhn ist eben die Frage, ob ein und dasselbe Experiment in zwei verschiedenen Theorien wirklich ein und dasselbe Experiment bleibt. Das Grundprinzip der Eindeutigkeit wäre dann allerdings zu relativieren.

(2) Das Prinzip der pragmatischen Ordnung führt zu einer konstruktiven Begründung von Logik und Mathematik, welche die berüchtigten Antinomien der Mengenlehre vermeidet. Dabei werden Logik und Mathematik auf die lebensweltlich eingeübte Fähigkeit zurückgeführt, Figuren zu zeichnen. So ergibt sich eine starke Einengung der zulässigen mathematischen Möglichkeiten: Erlaubt ist nur, was schrittweise konstruiert werden kann. Es wird dann niemals zu zirkulären oder gar widersprüchlichen Gebilden kommen (vgl. die Artikel "Algorithmentheorie", "Arithmetik, konstruktive", "Konstruktivismus", "Logik, konstruktive" bzw. "operative", "Protologik"). Nun vertritt die Erlanger Schule auch eine ebenfalls auf elementare Lehr- und Lernsituationen zurückgeführte dialogische Begründung der Logik. Hier werden aus der lebensweltlichen diskursiven Praxis kontext- und parteieninvariante Regeln ausgegrenzt (III,377). Dabei ergibt sich allerdings wieder eine Kalkülisierung von Diskursen, in die eine konstruktive, an der Möglichkeit schematischer Ableitungen orientierte Logik einzubetten ist (vgl. "Logik, dialogische").

Es bricht nun die folgende Frage auf: Wie verhält sich die Fundierung der Logik in Dialogsituationen zur Ent-Subjektivierung von Diskursen als Ziel einer konstruktiven Begründung der Mathematik? Oder: Wie verhält sich die Kalkülisierung von Diskursen zu einem Berechenbarkeitsideal, das an Maschinen orientiert ist? Wenn es einen wirklichen Unterschied geben soll, so stellt sich eine andere und schärfere Frage: Ist das Prinzip der pragmatischen Ordnung der Weisheit letzter Schluß? Der entsprechende Artikel verweist darauf, daß Verstöße gegen das Prinzip "nur" auf der sprachlichen Ebene entstehen können, da sie "mit materiellen Objekten nicht durchführbar sind" (III, 344). Inwiefern verrät sich hier eine metaphysische Vorordnung materieller Objekte, mehr noch: von Artefakten? Kann nicht das Besondere der Dialogsituationen darin bestehen, daß hier nichtberechenbare Intuitionen formuliert werden, die widersprüchlich bleiben und darin die gelegentlich beschworene Transsubjektivität einer vernehmenden Vernunft (IV,520) aufleuchten lassen? Die mathematischen Probleme der Antinomien und der Überabzählbarkeit hängen mit imprädikativen Begriffsbildungen zusammen. Es gibt demnach produktive Verstöße gegen das Prinzip der pragmatischen Ordnung. Immer wenn das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, könnte es entscheidend sein, gegen das Verbot der imprädikativen Begriffsbildung zu verstoßen und auf die Gesamtheit vorzugreifen, um deren Elemente zu beschreiben (vgl. II,217).

Es gibt Artikel, wo die konstruktiv-philosophische Stellungnahme bezeichnenderweise fehlt. Besonders auffällig ist das beim Stichwort "Geist". Der Artikel "philosophy of mind" stellt die neueren Entwicklungen differenziert dar, gelangt dann aber zu folgender Formulierung: "Die Regeln der Verarbeitung sind nicht explizit im System repräsentiert; ein neuronales Netz enthält kein ausdrücklich im System codiertes Programm. Gleichwohl können alle Prozesse in neuronalen Netzen als regelgeleitet beschrieben und auf von-Neumann-Computern nachgebildet werden" (III,223). Hinter dieser harmlosen Formulierung verbirgt sich ein Abgrund, denn die Struktur der neuronalen Netze macht den Konstruktivismus in gewisser Weise fragwürdig, entlarvt ihn als Simplifikation. Daß es nachträglich möglich ist, derartige Prozesse in rekursiver Form darzustellen, bedeutet wenig. Auffälligerweise werden Fraktale nicht zum Thema. Auch in anderen anthropologisch relevanten Artikeln zeigt sich die Spur der rekursiven Reduktion, wenn etwa personale Identität daran hängt, daß die Ziele eines Subjekts nicht miteinander kollidieren (III,90). Warum kann personale Identität nicht gerade darin ihre Kontur finden, daß in der personalen Begegnung Unvereinbares zusammengehalten wird?

Pointiert könnte man sagen: Der Gedanke der Unhintergehbarkeit wird in der konstruktiven Philosophie verdrängt von einer pragmatischen, auf "Herstellbarkeit" und "Kontinuität" konzentrierten Fundierung. Daß die Unhintergehbarkeit sich immer wieder neu im Vollzug der wissenschaftlichen Arbeit zeigen könnte, ist nicht vorgesehen. Das gilt trotz der Überlegungen zum "Widerfahrnischarakter des Gelingens oder Mißlingens von Handlungen" (IV,750). Könnte es nicht lebensweltlich fundierte Antinomien (ich nenne nur Ironie und Witz, vgl. den Artikel "subthiel/Subthielität") geben, kann nicht auch Langeweile eine Störung sein, die es zu beheben gilt mittels einer hochstilisierten Kultur nichtberechenbarer Denkfiguren? Es käme dann darauf an, die Widersprüche gezielt zu erforschen. Die Enzyklopädie enthält dazu nur gelegentlich einen zaghaften Ansatz (vgl. den vorzüglichen Artikel "Dialektik" ­ vor allem I,467 ­, in Grenzen auch die Stichwörter "Ästhetik" sowie "parakonsistent/Parakonsistenz").

Es ist auf diesem Hintergrund keine Überraschung, daß die theologischen Artikel zumeist wenig befriedigen. Schon die Auswahl ist erstaunlich: Es gibt einen Artikel zu Bultmann (aber weder zu Tillich noch zu Barth), einen Artikel zu Melanchthon (aber weder zu Luther noch zu Calvin). Origenes und Augustinus sind zu oberflächlich behandelt. Das Stichwort "Freiheit" geht auf die Kontroverse zwischen Luther und Erasmus nicht ein. Noch schlimmer sind die mehrfach oberflächlichen und falschen Informationen: Die christliche Philosophie kann nicht undogmatisch sein, weil "ihr die wesentlichen Aussagen über G[ott] von der Offenbarung vorgegeben sind" und daher "nur zum Teil als genuin philosophisch" gelten können (I,796). Nun erzwingen Vorgaben nur dann eine dogmatische Methode, wenn sie als Aussagen verstanden werden. Das ist ein verengter Offenbarungsbegriff (vgl. auch IV, 251). Genuin philosophische Gedanken müßten sich auf die Lebensweltverankerung richten ­ warum sollen dem Offenbarungsereignis keine Lebensformen entspringen? Wenn in Konstanz schon von der Unhintergehbarkeit von Lebensformen gesprochen wird ­ müssen diese Formen allgemeingültig sein, dürfen hier keine Vorgaben zur Geltung kommen, die sich faktisch, wenn auch nicht global als unverzichtbar erwiesen haben? Zur Unsterblichkeit nimmt man überrascht zur Kenntnis: "Die evangelische Theologie (M. Luther, J. Calvin, vor allem U. Zwingli) vertritt noch die Platonische U[nsterblichkeit]sidee" (IV, 426). Melanchthon übernimmt humanistische und calvinistische [!] Elemente in den Protestantismus.

"Der Geist der Gründlichkeit soll beschworen werden, nicht der Geist philosophischer Schwärmerei, des Tiefsinns und der Epigonalität" (I,9) ­ so schreibt Jürgen Mittelstraß im Vorwort. Nicht nur aus theologischer Perspektive wäre zu fragen: Lassen sich Schwärmerei und Tiefsinn nur um den Preis der Pedanterie vermeiden, gehört zur Gründlichkeit nicht auch das präzise Reden an der Grenze des Unergründlichen?