Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

888–890

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Beier, Peter

Titel/Untertitel:

Kirchwerdung« im Zeichen der deutschen Teilung. Die Verfassungsreformen von EKD und BEK als Anfrage an ihre »besondere Gemeinschaft«.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 554 S. gr.8° = Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte. Reihe B: Darstellungen, 37. Geb. Euro 84,00. ISBN 3-525-55737-X.

Rezensent:

Martin Richter

»Strukturreform« ist im deutschen Protestantismus derzeit ein Zauberwort. An vielen Stellen sind Aktivitäten zur Vereinfachung der Verfassungsstruktur der evangelischen Kirchen und ihrer Zusammenschlüsse zu beobachten. Die bekannteste Maßnahme ist die Teilintegration der Union Evangelischer Kirchen und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands in die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), eine Reform, die lang gehegte, heute aber nicht mehr vertretbare Doppelstrukturen beseitigt. Diese Einigungsbemühungen haben eine lange Vorgeschichte. Peter Beier nimmt sich einen wichtigen Ausschnitt dieser Geschichte vor.

Nach der Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) im Jahr 1969 kam es in beiden deutschen Staaten zu Bestrebungen, den jeweiligen konfessionsübergreifenden gliedkirchlichen Zusammenschluss zu stärken und mit mehr ekklesiologischer Qualität zu versehen. Beide Versuche scheiterten. B. stellt den Verlauf beider Reformvorhaben dar. Hierbei fragt er insbesondere, welche Bedeutung dem Festhalten an der »besonderen Gemeinschaft« zwischen ost- und westdeutschen Kirchen jeweils beigemessen wurde und wie sich das Bemühen um die Kirchwerdung auf beiden Seiten gestaltete.

Nach einer sehr kurzen Einführung wird in einem ersten Hauptteil der Prozess der Bemühungen um die Kirchwerdung der EKD in der Bundesrepublik dargestellt. Verglichen mit der Schilderung des Versuchs der Bildung einer Vereinigten Evangelischen Kirche in der DDR (VEK) auf immerhin fast 300 Seiten ist die Darstellung der gescheiterten EKD-Reform mit 110 Seiten eher knapp. B. begründet dies damit, dass die EKD-Reform bereits breit dokumentiert ist und dass die »besondere Gemeinschaft« bei den Strukturdebatten im Westen eine weit geringere Rolle spielte. B. zeichnet die Entwicklung in der (Rest-)EKD nach: von der EKD-Synode in Stuttgart 1970 über die Entwürfe einer neuen Grundordnung, die Verabschiedung einer neuen Grundordnung in der EKD-Synode 1974 bis hin zum Scheitern wegen der fehlenden Zustimmung mehrerer Landeskirchen. B. geht im Wesentlichen chronologisch vor und fasst die Debatten in den jeweiligen Gremien zusammen, ohne thematische Schwerpunkte zu bilden.

Der gesamte Reformprozess gestaltete sich mühsam. Zwar verabschiedete die EKD-Synode 1974 das Vorhaben ohne Gegenstimmen. Dies lag nach B.s Einschätzung aber weniger an der Qualität des Reformwerks als an der Hoffnung vieler Synodaler, notwendige Korrekturen würden sich bei der Einholung der notwendigen Zustimmung aller Landeskirchen ergeben. 1976 verweigerte die Synode der Württembergischen Landeskirche ihre Zustimmung. Die Zustimmung von Bayern und Schaumburg-Lippe stand zu diesem Zeitpunkt noch aus. Es kam zu langen Nachverhandlungen, an deren Abschluss auch die Bayerische Landeskirche 1980 gegen das Vorhaben votierte. Damit war es gescheitert. In den Folgejahren kam es aber zu einer kleinen Reform, in der insbesondere Ergebnisse der Leuenberger Konkordie in den Text der Grundordnung umgesetzt wurden.

Die Ausgangslage des ostdeutschen Reformvorhabens war eine andere. Der BEK war von Anfang an auf die Vertiefung der Gemeinschaft der Gliedkirchen angelegt. Anfang der 70er Jahre hatten Lehrgespräche zwischen der Evangelischen Kirche der Union (EKU) ­ Region Ost ­ und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in der DDR (VELK) stattgefunden. Hierbei konnte eine weitgehende Übereinstimmung in wesentlichen Lehrfragen festgestellt werden. Anders als in der Bundesrepublik waren die Lutheraner die treibende Kraft des Prozesses, während die Ost-EKU ­ nicht zuletzt auf Grund enger Kontakte zur Westregion ­ wesentlich zurückhaltender war.

Startschuss für die Überlegungen innerhalb des BEK war die Bundessynode 1976 in Züssow, die unter dem Thema »Kirchengemeinschaft ­ Einheit und Vielfalt« stand. Hier wurde hervorgehoben, dass der Bund zur Vertiefung der Gemeinschaft des kirchlichen Lebens verpflichtet sei. 1977 beschloss die Bundessynode in der Verfolgung dieses Ziels die Einsetzung einer Delegiertenkonferenz, die paritätisch mit Vertretern aus BEK, EKU und VELK besetzt war. Die Arbeitsergebnisse lagen Anfang 1979 vor. Es wurde vorgeschlagen, die kirchlichen Zusammenschlüsse schrittweise zu einem neuen Zusammenschluss, der »Vereinigten Evangelischen Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik«, zu vereinigen.

Das Echo aus den Landeskirchen und den gliedkirchlichen Zusammenschlüssen war geteilt. Insbesondere die EKU stand dem Vorhaben skeptisch gegenüber. Ein kleinerer Ausschuss aus Vertretern aller drei Zusammenschlüsse sollte das Vorhaben zur Konsens- und Beschlussreife bringen. Dieser Ausschuss legte eine »Gemeinsame Entschließung zur schrittweisen Verwirklichung einer verbindlichen föderativen Gemeinschaft« und ein Kirchengesetz zur Änderung der Ordnung des BEK vor. Beide Entwürfe wurden von den Leitungsgremien der drei Zusammenschlüsse im Herbst 1981 verabschiedet, das Kirchengesetz zur Änderung der Ordnung auch von der Bundessynode. Nun mussten die Gliedkirchen zustimmen, damit der Prozess auf der Grundlage der »Gemeinsamen Entschließung« vorangetrieben werden und das Kirchengesetz zur Änderung der Ordnung in Kraft treten konnte.

In den meisten Synoden wurde das Reformwerk mit großer Mehrheit verabschiedet. Es scheiterte jedoch am Widerstand der Berlin-Brandenburgischen Landessynode, die sich im November 1981 erstmals damit befasste. Es wurde hier geltend gemacht, die theologischen Grundlagen des Zusammenschlusses seien unklar. Außerdem sei nicht deutlich, ob die in der EKU bestehende Gemeinschaft, insbesondere der Zusammenhalt zwischen östlichen und westlichen EKU-Kirchen, fortgeführt werden könne. Schließlich kritisierten die Berlin-Brandenburger Synodalen, die großen EKU-Kirchen seien in der VEK-Synode zu schwach vertreten. Es kam zu Nachverhandlungen, in denen die wesentlichen Dissenspunkte aber nicht ausgeräumt werden konnten. 1984 versagte die Synode der EKiBB dem Papier abermals und endgültig die Zustimmung ­ die Reform war damit »in der Mark versandet«.

Nach jedem Verfahrensschritt verlässt die Darstellung des VEK-Prozesses die innerkirchliche Perspektive und beleuchtet die staatliche Sicht der Dinge. Diese war eine der großen Unbekannten für die kirchlichen Akteure, war es doch ein bekanntes Ziel des Staates, mit den Landeskirchen als Gegenüber zu verhandeln und übergreifende Organisationen nicht anzuerkennen. Auf der anderen Seite bedeutete eine Kirchenbildung entlang der staatlichen Grenzen eine Anerkennung der DDR und eine Lockerung der Beziehungen zur EKD im Westen. Diese beiden Seiten der Medaille führten dazu, dass Staat und Partei indifferent agierten, wenn es zum Ende auch eine Phase erklärten Widerstandes gegen das Vorhaben gab.

Das Buch wird dann durch einen sehr kurzen Schlussteil ­ B. begnügt sich mit sechs Seiten, um seine Ergebnisse in Thesen zusammenzufassen ­ und eine umfangreiche Dokumentation wesentlicher Papiere beider Prozesse abgerundet. Es ist eigenartig, wie wenig Mühe B. dabei auf die Beantwortung seiner eigenen eingangs gestellten Leitfragen verwendet. Schon der Eingangsteil verzichtet völlig auf Begriffs- und Strukturklärungen. Der kurze Schlussteil fasst zwar die Ergebnisse prägnant zusammen; diese werden aber weder erklärt noch in einen Zusammenhang gestellt. So könnte man z. B. fragen, warum es gerade die Berlin-Brandenburgische Landeskirche war, an der die VEK-Pläne scheiterten, oder warum die »besondere Gemeinschaft« zwischen Ost und West bei der EKD-Reform im Westen eine geringere Rolle spielte. So ist das große Verdienst des Buches nicht die Analyse, sondern die sorgfältige Dokumentation und Erschließung einer riesigen Materialfülle. Hierbei lässt sich auch die Entdeckung machen, dass die meisten Elemente der aktuellen EKD-Reform schon einmal vorgedacht worden sind. Hoffen wir, dass dieser Reform weder märkischer noch anderer Sand ins Getriebe gerät.