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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

880–882

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Zollner, Hans

Titel/Untertitel:

Trost ­ Zunahme an Hoffnung, Glaube und Liebe. Zum theologischen Ferment der ignatianischen »Unterscheidung der Geister«.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 2004. 341 S. gr.8° = Innsbrucker theologische Studien, 68. Kart. Euro 34,00. ISBN 3-7022-2607-9.

Rezensent:

Franz-Josef Steinmetz

Leben heißt auch, sich für etwas, für eine Arbeit, einen Beruf oder einen Weg zu entscheiden. Kriterien für gute Entscheidungen wurden unter anderem von Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, erarbeitet. Er hat seine Einsichten in den »Geistlichen Übungen«, seinem zentralen Werk, methodisch aufbereitet und zusammengefasst.

Hans Zollners Dissertation, eingereicht bei Lothar Lies in Innsbruck, reflektiert vor allem die Theologie dieser Exerzitien, die im deutschen Sprachraum bisher nur wenig beachtet wurde. Allerdings gibt der Vf. zu, dass es nicht einfach sei, die ignatianischen Exerzitien theologisch fruchtbar zu machen, einmal wegen des geschichtlichen Abstandes zu unserer heutigen Zeit und mehr noch, weil sie aus einer mystischen Erfahrung, nämlich aus einer letztlich unbeschreibbaren Begegnung mit dem dreifaltigen Gott entstanden seien. Im Untertitel seiner Untersuchung spricht der Vf. daher auch nur bescheiden von einem »theologischen Ferment«, um anzudeuten, dass aus dem Satz »geistliche Tröstung ist Š alle Zunahme an Hoffnung, Glaube und Liebe« (Exerzitienbuch = EB 316) zwar keine Theologie der Exerzitien entwickelt werden kann, dass eine solche Festlegung aber weit reichende, wenn auch oft implizite theologische Konsequenzen hat (18). Eine theologische Biographie von Ignatius ist nicht beabsichtigt.

In ihrem ersten Teil stellt die Dissertation die Entstehungsgeschichte, das Ziel und die Dynamik der »Geistlichen Übungen« vor. Prägend für ihre Eigenart war die Begegnung des Ignatius mit einem Gott, der sich in jedem Augenblick für die Menschen abmüht, sich für sie hingibt und in seiner Majestät gegenwärtig ist. Die Konzeption seiner Exerzitien wird unverkennbar durch diese Erfahrung bestimmt (31). Im Laufe seiner inneren und äußeren Suchbewegung entdeckte er, dass Trost auch verführerisch sein und Misstrost niederdrücken kann. Diese schwere Krise gab ihm schließlich den wichtigen Hinweis auf ein klares, letztes Kriterium für die »Unterscheidung der Geister«: Nur was im Einklang mit Glaube, Hoffnung und Liebe steht, kann von Gott, dem Gott der Verheißung und der Liebe, stammen (33). Diese Grunderfahrung will Ignatius weitergeben und möglichst vielen zu ähnlichen Erfahrungen verhelfen (38). Gott aber begegnet jedem Menschen in ganz persönlicher Weise, woraufhin dieser seine Form der Nachfolge Jesu in großherziger Weise finden und leben kann (53). Ein lineares Aufstiegsschema (eine Stufenleiter zur Vollkommenheit) kennen die Exerzitien nicht. Der Prozess der »Geistlichen Übungen« erscheint vielmehr wie eine Spirale, die ­ im günstigen Fall ­ »mehr« zu Gott führt, aber nie einfach abschließend zu Ende kommt (61).

Der zweite Teil der Untersuchung behandelt die geschichtlichen Wurzeln der »Unterscheidung der Geister« in Bibel und Tradition und fußt wegen der Fülle des Materials großenteils auf Forschungen anderer Autoren. Gezeigt wird, dass die verschiedenen Traditionselemente (aus eigener Erfahrung oder aus dem Studium der alten Meister) bei Ignatius Eingang in eine praktische und zugleich theologische Systematik finden (102). Er rückte die Suche nach dem Willen Gottes für das Leben des Einzelnen ins Zentrum des Inhalts und der Methode seiner Regeln, während vorher oft der einfache Gehorsam gegenüber kirchlichen Autoritäten als Prüfstein im Mittelpunkt stand (118).

Die zahlreichen ignatianischen Schriften (etwa 6815 Briefe, das Exerzitienbuch, der Pilgerbericht, das geistliche Tagebuch, die Satzungen der Gesellschaft Jesu, die Direktorien usw.) werden im dritten Hauptteil der Arbeit detailliert untersucht. Auf diese Weise kann der Vf. seine These vom Trostkriterium überzeugend beweisen. Den »Regeln« des Ignatius (EB 313­336) liegt die Überzeugung zu Grunde, dass Gott durch Gefühle und Gedanken mit den Menschen kommuniziert (120). Auch die so genannten »Geister« machen sich in den unterschiedlichen »mociones« (»Regungen« bzw. »Bewegungen« der Seele) bemerkbar. Das spanische Wort meint ganz allgemein Gedanken sowie Gefühle und Stimmungen (etwa Freude, Traurigkeit, Bitterkeit, Hoffnung, Trockenheit, Überschwang usw.). Aber nicht auf die vordergründige Qualität der Stimmungen kommt es an, sondern auf ihre Ausrichtung. Entscheidend für eine geistliche Tröstung ist, dass sie zu einer »Zunahme« der theologischen Tugenden (Glaube, Hoffnung und Liebe) führt, wohingegen sie nicht immer von angenehmen Gefühlen begleitet wird (141). Herzstück der Unterscheidung der Geister ist die persönliche Verbundenheit mit Gott (151). Sie darf nicht als eine Art Seelenarithmetik missverstanden werden und schließt Ungereimtheiten und Brüche mit ein (153). Insgesamt entsteht ein höchst vielfältiges Bild davon, wie Glaube, Hoffnung und Liebe als Kriterien des Trostes zu deuten sind (246). Immer ist ein Gespür dafür nötig, ob dieses oder jenes Verhalten zum Vorbild Jesu passt oder nicht.

Die systematische Zusammenfassung der Ergebnisse (IV. Hauptteil) erinnert schließlich noch einmal an die theologischen Kriterien für »den, der die Übungen gibt«. Ignatius kennt keine Brautmystik, keine in sich ruhende »mystische Vermählung«, wie sie bei anderen Mystikern erscheinen mag (252). Ein durch die göttlichen Tugenden ausgewiesener Trost spornt vielmehr zu einem mit der Kirche verbundenen Handeln an, das die missionarische Heilssendung Christi fortführt (262). Der Exerzitand soll in den vierwöchigen Übungen mit allen Facetten des Lebens Jesu vertraut werden, denn Er ist als Gekreuzigter und Auferstandener Mittler und Vorbild für das rechte Verständnis von Glaube, Hoffnung und Liebe (275). Vom Heiligen Geist ist zwar auffällig selten die Rede, aber Ignatius sah ihn durchgängig und selbstverständlich am Werk (siehe die Erklärungsversuche: 276, Anm. 936), denn eben dieser Geist verbindet den Einzelnen mit Christus und mit der Kirche, was zweifellos für die Exerzitienbegleitung in der heutigen Zeit eine besondere Herausforderung bedeutet. Exerzitien sind nämlich immer einzubetten in kirchliche, gemeinschaftliche und politische Dimensionen, weil sich in ihnen die apostolische Sendung fortsetzt und realisiert, die letztlich aus der Inkarnation des Sohnes Gottes entspringt (297). Eine heute oft propagierte oberflächliche »Selbstverwirklichung« scheint mit der Theologie des Ignatius schwerlich zu vereinbaren. Bei ihm treten vielmehr der Gedanke des »Dienstes« und das »Ja zum Kreuz« in den Vordergrund (299). Nicht ein »Entweder ­ Oder« bestimmt sein Exerzitienbuch, sondern eine dynamische Einheit: in actione contemplativus (301).

Die Dissertation ist überaus sorgfältig erarbeitet. Sie recherchiert eine umfangreiche, meist fremdsprachige Literatur, die im deutschen Sprachraum kaum zugänglich war. Exerzitienbegleiter und alle, die an spiritueller Theologie interessiert sind, werden das Werk dankbar studieren, auch wenn es infolge seines wissenschaftlichen Nominal-Stils nicht leicht zu lesen ist. Eine mehr verbale Sprache würde die Lektüre wesentlich erleichtern. Auch die Gedankenführung erscheint zuweilen wie eine Spirale, so dass Wiederholungen zu spüren sind. Inzwischen hat der Vf. in der Zeitschrift »Geist und Leben« (Heft 4/2005) unter dem Titel »Zunahme an geistlicher Tröstung (EB 316)« etliche Beispiele seiner Arbeit veröffentlicht, die ich als Einstieg empfehlen möchte.