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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

876–878

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Rupert von Deutz

Titel/Untertitel:

Commentaria in Canticum Canticorum. Kommentar zum Hohenlied.

Verlag:

Übers. u. eingel. v. H. (Ý) u. I. Deutz. 2 Teilbde. Turnhout: Brepols 2005. 1. Teilbd.: 341 S.; 2. Teilbd.: II, S. 343­653. 8° = Fontes Christiani, 70/1 u. 70/2. Kart. Euro 35,42 u. Euro 32,63. ISBN 2-503-52144-4 u. 2-503-52146-0.

Rezensent:

Gert Haendler

Helmut und Ilse Deutz hatten 1999 und 2000 in Band 33/1­4 der Reihe Fontes Christiani Ruperts Werk über den Gottesdienst ­ Liber de divinis officiis ­ vorgelegt (ThLZ 125 [2000], 1212­1214, u. 127 [2002], 118 f.). In Fontes Christiani 33/1 war einleitend R.s Leben dargestellt worden. Zu seiner Biographie werden jetzt Ergänzungen gebracht. R. war gefragt worden, wieso Gott ihm die Fähigkeit geschenkt habe, in so überreichem Maß und in ebenso wirksamer wie nützlicher Weise im Schreiben produktiv zu sein. In seiner Antwort berichtet R. von seelischen Belastungen in seinem Lütticher Heimatkloster, von denen er durch mehrere mystische Erlebnisse befreit worden sei (I, 14­19).

Primär erörtert die Einleitung in Fontes Christiani 70/1 einige Probleme um das Hohelied. Der Name »Das Hohelied« geht auf Luther zurück. Unklar ist die Entstehung des Buches und seine Aufnahme in die Lesungen des jüdischen Gottesdienstes. Seit der Septuaginta-Übersetzung gehört es zum Kanon der hebräischen Schriften. Eine allegorische Auslegung hatte das Buch als ein Abbild für den Liebesbund Jahwes mit seinem Volk Israel verstanden. Christliche Exegeten folgten dieser Linie. Seit Origenes wurde der Text auf das Verhältnis zwischen Christus und der Kirche gedeutet. Dazu kam später die Deutung der Braut auf die Einzelseele. Bei Ambrosius findet sich als Ausnahme eine Deutung auf Maria. Beda ordnete einzelne Verse bestimmten Personen zu. Aber das frühe Mittelalter brachte keine neue selbständige Auslegung des Hohenliedes hervor.

Heute ist man darin einig, dass das Hohelied ursprünglich eine Sammlung weltlicher Liebeslieder war (10). Daneben besteht aber Interesse für andere Auslegungen. R.s Arbeit begann um 1120 und kam 1125/26 zum Abschluss. Seine Bedeutung unterstreicht die Teilüberschrift »Der Bruch mit der Tradition« (19). In den Auslegungen von Papst Gregor I. um 600 und von Beda nach 700 gab es keine Bezüge zu Maria. Bei R. erscheinen nach 1100 »die marianischen Interpretationen als etwas Fertiges«. Einzelne Verse waren zwar schon auf Maria gedeutet worden, zumal in der Liturgie der Marienfeste. Aber R.s marianische Deutung des Hohenliedes beruht nicht auf diesen Anregungen. »Rupert wählte einen anderen theologischen Weg zur marianischen Deutung« (19). Er folgte frühchristlichen Gedanken über eine Parallele zwischen Maria und der Kirche. Konsequent setzte er »in seinem Kommentar Maria an die Stelle der Kirche und interpretierte jetzt das gesamte Hohelied als in sich geschlossenes Textgefüge mit innerer Konsequenz auf Maria hin, da sich für ihn in ihr der Ursprung und die Zukunft der Kirche spiegelte« (20).

Zu dieser neuen Auslegung heißt es in der Einleitung: Sie war eine Neuerung, ein »Bruch mit der Tradition«. Aber im Verständnis R.s sollte die Neuerung kein Widerspruch zu den Auffassungen der früheren Lehrer der Kirche sein. R. wollte die Deutungen der altkirchlichen Lehrer ergänzen und das alte ekklesiologische Verständnis durch das marianische überhöhen. »Die durchgehende marianische Interpretation sollte durch die Gleichsetzung Marias mit der Braut des Hohenliedes zum tieferen Eindringen in das Geheimnis der Menschwerdung Christi als dem Hauptthema des Werkes führen und damit die Wege der Heilsgeschichte erschließen helfen. Gerade das Thema der Inkarnation konnte Rupert den Blick öffnen für die Fülle der Aspekte seiner Darlegungen, mit denen er den Rang Marias als Braut sowohl Christi als des Vaters und als Tempel des Heiligen Geistes vergegenwärtigen wollte Š« (21).

R. hatte nicht die Absicht, »bereits vorliegende Deutungen zu wiederholen und deren Tradition fortzusetzen oder lediglich ausgewählte, in liturgischen Feiern verwendete Verse rühmend auszulegen« (23). Er untersuchte jeden einzelnen Vers, um so »alle Verse in das Ganze des Textgefüges einbeziehen und damit dem eigentlichen Thema seiner Auslegung, der Menschwerdung des Herrn, zuordnen zu können« (I, 24). Im Prolog zu Buch I spricht er Maria an: »Daher, o Herrin, Gottesgebärerin [sc. Maria], wahre und unversehrte Mutter des Wortes des ewigen Gottes und des Menschen Jesus Christus, nicht durch meine, sondern durch deine Verdienste gewappnet, wünsche ich mit jenem Mann, nämlich dem Wort Gottes, im Ringkampf zu kämpfen, um dem Lied der Lieder ein Werk zu entreißen, das nicht unwürdig heißen soll ðÜber die Menschwerdung des HerrnÐ zum Lob und zum Ruhm desselben Herrn, zum Lob und zur Ehre deiner Seligkeit« (I, 85).

R. erinnert an eine Verheißung im Traum und fährt fort: »Denn ich sprach mit dir, und ich führte mit dir ein süßes Gespräch über die selige Dreifaltigkeit, wußte aber nicht, daß du selbst es warst. Doch als ich jene Antwort von dir erhalten hatte und dann wissen wollte, wer die so heilige Frau war, und sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes innig anflehte [, sc. es mir zu sagen], hast du mit sternenglänzenden Augen voll Freude zu erkennen gegeben, du seiest es selbst, die ðMutter der BarmherzigkeitЫ (I, 87/89).

R. stellt Verse des Hohenliedes mit Episoden aus dem Leben der Maria zusammen: In den Büchern I­III sind es die Verkündigung des Engels, der Besuch bei Elisabeth, die Suche nach dem zwölfjährigen Jesus, Worte Jesu an seine Mutter. Buch IV wird (im Anschluss an ältere Arbeiten) als die »Symmetrieachse« des Werkes bezeichnet (I, 27). Ein Beispiel sei gebracht: Vers 4,12 des Hohenliedes erwähnt einen »verschlossenen Garten«. R. deutet: »Warum wirst du zweimal ein ðverschlossener GartenÐ genannt? Nämlich wegen der Empfängnis und wegen der Geburt, weil beides ein wunderbares und den Herzen der Gläubigen liebenswertes Wunder ist, da du weder durch die Empfängnis versehrt noch durch die Geburt verletzt bist; und deine Freunde wie alle unsere Jungfrauen freuen sich darüber und bekennen beides gerne« (II, 349).

Die Ausgabe folgt dem lateinischen Text von H. Haacke im Corpus Christianorum, Continuatio medievalis 26 (1974). Nur an wenigen Stellen wurde der Text verändert (73). Eine »Editorische Notiz« ist kurz. Zu Handschriften, älteren Editionen und Übersetzungen wird nichts gesagt. Drei Vulgata-Texte werden genannt (II, 630), es fehlt jedoch ein Hinweis auf die begonnene Hohelied-Übersetzung in der Vetus Latina und das in diesem Zusammenhang in Beuron von Eva Schulz-Flügel erarbeitete Werk des Gregorius Eliberitanus »Epithalamium sive explanatio in Canticis Canticorum« (1994). Das Literaturverzeichnis bringt die Werke R.s und vieler Autoren in ihren neuesten Editionen (II, 628 ff.). Die Übersetzung hält sich eng an den lateinischen Text, Vergleiche mit den lateinischen Worten werden dadurch erleichtert. Eine fortlaufende Lektüre des deutschen Textes ist dafür mitunter mühsam. Insgesamt bietet die Parallelausgabe von Text und Übersetzung einen Zugang zu Gedanken des Mittelalters in reicher Fülle auch für breitere Kreise. Die am Canticum speziell interessierten Forscher werden an diesem Werk kaum vorübergehen können.