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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

875 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Picker, Hanns-Christoph

Titel/Untertitel:

Pastor Doctus. Klerikerbild und karolingische Reformen bei Hrabanus Maurus.

Verlag:

Mainz: von Zabern 2001. VII, 268 S. gr.8° = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 186. Lw. Euro 39,90. ISBN 3-8053-2735-8.

Rezensent:

Günter R. Schmidt

Hrabanus Maurus wurde im Jahre 783 als Sohn einer Mainzer Adelsfamilie geboren und noch in kindlichem Alter als Oblat an das Kloster Fulda übergeben. Nach Studienaufenthalten in Aachen und Tours kehrte er nach Fulda zurück, wo er zum Klosterlehrer ernannt, 814 zum Priester geweiht und 822 zum Abt gewählt wurde. 842 verzichtete er auf sein Amt, um sich zu gelehrten Studien zurückzuziehen. 847 berief ihn Ludwig der Deutsche auf den erzbischöflichen Stuhl in Mainz, den er bis zu seinem Tode 856 innehatte.

P. interpretiert besonders das 819 abgefasste Werk De institutione clericorum. Hrabanus berief sich zwar auf Autoritäten, war aber kein bloßer Kompilator, sondern setzte seine eigenen Akzente, indem er Zitate kürzte und in neue Zusammenhänge stellte. Er war ein hervorragender Exponent der von Karl dem Großen eingeleiteten kulturellen Blüte (47). Sein Lehrer war Alkuin, »einer der wichtigsten kulturpolitischen Berater« Karls. Anforderungen an die Kleriker, wie sie sich in Karls Epistola de litteris colendis und seiner Admonitio generalis sowie Synodalbeschlüssen und Kapitularien finden, werden in De institutione clericorum kritisch systematisiert und ergänzt. Wie das bereits von Ludwig dem Frommen 816 erlassene Synodaldekret Formula institutionis canonicae will auch De institutione clericorum das Bildungsniveau der Kleriker heben, weicht jedoch inhaltlich beträchtlich davon ab. Hrabanus legt auf die theologische Durchdringung der kirchlichen Praxis Wert und orientiert sich dabei am »Ideal eines umfassend gebildeten Klerikers, der in den Methoden der Schriftauslegung und in den sieben freien Künsten geschult ist und über entsprechende Vermittlungsfähigkeiten verfügt« (61). P. versteht De institutione clericorum als Gesamtentwurf einer Pastoraltheologie und »Programmschrift zur Klerikerausbildung«. Das klerikale Leitbild des Hrabanus bringt er auf die Formel pastor doctus. Im ersten Buch behandelt Hrabanus die kirchlichen Ämter vom ostiarius bis zum Bischof, die Sakramente und die Messe, im zweiten die horae canonicae und andere kirchliche Bräuche, im dritten Schriftstudium, profane Disziplinen und Methoden der Unterweisung. Kircheneinheit versteht er hauptsächlich als liturgische Einheitlichkeit. Wie üblich unterscheidet er zwar die drei ordines der Laien, der Mönche und der Kleriker, unterläuft diese Unterscheidung jedoch dadurch, dass er das Mönchtum klerikalisieren will. Das geistliche Amt wird von Hrabanus eher pragmatisch-funktional verstanden als, wie beispielsweise bei Amalar, sakral. Auch die Unterscheidung zwischen Bischof und Priester begründet er hauptsächlich funktional von der Wahrung der Einheit her. Beide sind primär Sakramentenspender und garantieren »liturgische Korrektheit und Einheitlichkeit« (190). Im Vergleich zu Karl dem Großen und seinen Beratern legt er kaum Wert auf eine gediegene Katechisierung des Volkes. Auch die Predigt spielt bei ihm nur eine untergeordnete Rolle. Ort der praedicatio als Anleitung zum Verstehen ist für ihn eher der Schulunterricht als der Gottesdienst. Bildung hat zumindest, was die Kleriker anlangt, bei Hrabanus einen gewissen Eigenwert. Denn die im dritten Buch genannten Inhalte gehen weit über das hinaus, was zur Qualifizierung für die in den vorherigen Teilen des Werkes genannten Aufgaben der Kleriker nötig ist. Insofern beinhaltet seine Leitvorstellung vom pastor doctus etwas Neues. »Die programmatische Vorstellung, dass die Kleriker zugleich Liturgen und umfassend gebildete Gelehrte sein sollen, findet sich das erste Mal in De institutione clericorum.« (222) Zu rechtfertigen sucht Hrabanus sein umfassendes Bildungsprogramm durch den Hinweis auf die kirchliche utilitas und auf die Voraussetzungen eines sorgfältigen Bibelstudiums. Jegliches Wissen leitet sich von der fons sapientiae, Gott, her und führt zu ihr hin. Sapientia und caritas hängen im Tiefsten zusammen.

De institutione clericorum stellt nach P. einen »Markstein in der Geschichte der praktischen Theologie« dar und trägt »alle Merkmale eines geschlossenen kybernetischen Entwurfs« (247). P. selbst kommt das Verdienst zu, gut lesbar und kundig in das Werk eines bedeutenden Theologen des Frühmittelalters einzuführen. Die Lektüre seines Buches ist geeignet, den bildungshistorischen Horizont von Religionspädagogen und Pädagogen hinter die Reformationszeit zurück auszuweiten.