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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

873–875

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kuhn, Lambrecht

Titel/Untertitel:

Das Bistum Lebus. Das kirchliche Leben im Bistum Lebus in den letzten zwei Jahrhunderten (1385­1555) seines Bestehens unter besonderer Berücksichtigung des Johanniterordens.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. 403 S. m. Abb. gr.8° = Herbergen der Christenheit, Sonderband 8. Kart. Euro 48,00. ISBN 3-374-02189-1.

Rezensent:

Gerhard Graf

Wenn der Bereich des so genannten Niederkirchenwesens in der allgemeinen Kirchengeschichtsschreibung nicht immer genügend Interesse findet, dann hat das seine Erklärung auch darin, dass dafür oft nicht genügend publiziertes Quellenmaterial zur Verfügung steht. Diese Situation zu verbessern, hat sich die 2002 von der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder angenommene Dissertation zur Aufgabe gemacht, indem sie jetzt in einer geringfügig erweiterten Fassung eine Studie zum hauptsächlich spätmittelalterlichen kirchlichen Leben in dem kleinen, häufig kaum beachteten Bistum Lebus beiderseits der Oder vorlegt.

In üblicher Weise werden zu Anfang der Untersuchungsgegenstand, die bisher vorhandene Forschung und die Methodik erörtert (11­19). Dabei scheint es auf den ersten Blick einleuchtend, wenn als Kontrast zu den lebusischen Verhältnissen zwei weitere Bistümer, Ratzeburg und Naumburg, zum Vergleich herangezogen werden. Dieser Rückgriff durchzieht fast die ganze Untersuchung, wirft aber auch Fragen auf, denn die jeweils summarischen Gegenüberstellungen am Ende einzelner Abschnitte vereinfachen, auch weil eine genügende Auseinandersetzung mit einschlägiger Literatur fehlt, öfter die Sachverhalte, und sie stellen, wie dem Rezensenten für das Bistum Naumburg bemerkbar, diese daher nicht immer zutreffend dar. Dass die Wahl auf Naumburg fiel, hat übrigens auch einen praktischen Grund, da hierzu jüngst Teilbände der Germania Sacra erschienen. Mitunter wirken die angestellten Vergleiche recht gewollt.

Nicht zuletzt entsteht diese Kritik wohl auch deshalb, weil ansonsten der Vf. bei der Bearbeitung seines Themas in akribischer Arbeit eine Dichte von Informationen bereitstellt, die, wie im Vorwort angekündigt, tatsächlich dazu angetan ist, den garstigen Graben zu überwinden, der uns von einst abgelaufenem Geschehen trennt.

Eingesetzt wird mit einem geschichtlichen Überblick (21­60), der die Entwicklung des 1123/24 gegründeten Bistums beschreibt, das ca. 200 Dörfer und 20 unterschiedlich große Städte, darunter Fürstenwalde, Frankfurt und Küstrin, umfasst. Als Suffragan hat Lebus, gelegen an der Nahtstelle von deutschem und polnischem Einfluss, zwischen Gnesen und Magdeburg gewechselt und endet nach einem längeren Prozess der Reformation schließlich 1555 bzw. 1598. Angefügt, und zugleich ein Stück Ordensgeschichte, ist die besondere Rolle der Johanniter, die zum Teil die Templer beerben, sich nicht die politische Aktivität des Deutschen Ordens zu Eigen machen und zunehmend unter landesherrliche Kontrolle geraten. Bereits hier sollte man sich, um ein angemessenes Bild zu gewinnen, an den im Anhang beigefügten Karten und Verzeichnissen (251­384) orientieren, die u. a. neben den Johanniterniederlassungen die acht Sedesbezirke und außerdem in einem eigenen Verzeichnis zu jedem Ort des Bistums das zusammentragen, was sich an Nachrichten oder Gegenständen aus dem behandelten Zeitraum erhalten hat. Auf diese Weise entsteht eine Topographia sacra, die im Detail wie im Ganzen auf Grund ihrer Mitteilungen zu Landeskunde, geschichtlichen Eckdaten, kirchlichen Gebäuden und deren Ausstattung sich nicht nur ein territoriales Verdienst erwirbt, sondern daneben auch exemplarische Anregungen für verwandte Vorhaben an die Hand gibt.

Natürlich ist die Voraussetzung für eine solche Information die profunde Kenntnis der vielgestaltigen Quellenbasis. Ihre Erschließung führt der Vf. vor allem in seinem zweiten und zugleich umfangreichsten Teil der Untersuchung vor (61­197), die unter der etwas verkürzt wirkenden Überschrift »Kultus und Heiligenverehrung« die ganze Breite des damaligen religiösen Lebens zur Sprache zu bringen versucht. Hier können die dazu erfassten und untereinander korrespondierenden Themen und Bereiche lediglich aufgezählt werden: die Bistumsheiligen Adalbert und Hedwig, die auf östlichen Kontakt verweisen; liturgische Literatur, darunter der Heiligenkalender des Bistums und seine Konkordanz mit den benachbarten Diözesankalendern (nochmals mustergültig im Anhang präsentiert); kultische Vollzüge (u. a. Prozessionen, Messstiftungen, liturgische Gewänder, Fastenpraxis); Diözesansynoden; Visitationen; Kirchenmusik (u. a. Geschichte der Orgel); die Ausstattung der Orte mit Kirchen (dazu im Anhang die Karte zum Bestand der älteren Feldstein-, bzw. der jüngeren Backsteinkirchen); Glocken; Kirchenausstattung; Altäre und Patrozinien; die Geistlichen, ihre Amtsführung, Epitaphe und Siegel (mit Biogrammen zu den Bischöfen); Bruderschaften; Ablasswesen, Aberglaube; Wallfahrten; die Juden als außerchristliche Religionsgemeinschaft. Die Befunde zu den einzelnen Themenbereichen erweisen sich nicht gleichmäßig ergiebig, verdienen aber fast in jedem Fall zusätzliche Aufmerksamkeit, weil ihre Erfassung oft bis in das Ende des 16. Jh.s reicht und so veranschaulicht, dass die Reformation vielfach weniger den Traditionsbruch darstellte, den man gemeinhin annimmt.

Die gesonderte Behandlung der Johanniter (199­233) durch den Vf. ergibt sich daraus, dass sie als Territorialherren innerhalb des Bistums, überwiegend östlich der Oder, 51 Ortschaften und 30 Kirchen und Kapellen besaßen. Gegenüber dem Bischof waren sie exemt. Typisches zu ihrem Auftreten im Bistum lässt sich im Verhältnis eher selten ermitteln. Deshalb ergänzt der Vf. seine Ausführungen ­ Ordensgeistliche und ihr Pastorat, Liturgie und Kultus, Kirchen und ihre Ausstattung sowie karitative Tätigkeit betreffend ­ auf der Folie der Gesamterscheinung des Ordens oder bezieht zur Beschreibung vergleichsweise auch den Deutschen Orden mit ein. Hervorgehoben wird die seelsorgerliche Dimension der Johanniter, die bestrebt waren, möglichst jedes ihrer Dörfer mit einer eigenen Kirche zu versehen.

Die am Schluss sich einstellende Frage, inwieweit die Untersuchung real auch die Volksfrömmigkeit beschreibt, wird vom Vf. dahin gehend beantwortet, dass bis in das 17. Jh. hinein nicht von einer unterschiedlichen Frömmigkeit bei Bevölkerung und Klerus ­ ihm verdanken wir die meisten der direkten Zeugnisse ­ auszugehen ist (61). Unabhängig davon legt die Untersuchung aber ohnehin keineswegs nur eine frömmigkeitsgeschichtliche Studie vor. Sie ist, was zuletzt nochmals die Zusammenfassung (235­249) mit einem Resümee auch in polnischer Sprache unterstreicht, gleichfalls von Belang für einzelne Forschungsgebiete, wie das der Landeskunde, Siedlungsgeschichte, Bauarchäologie, Patrozinienkunde, und äußert sich zu vielerlei Sachthemen, die voranstehend ausdrücklich benannt wurden. Einige kleine Irritationen am Rande fallen für die Darstellung nicht weiter ins Gewicht. Der Ertrag liegt, abgesehen von der territorialen Bedeutung, in den zahlreichen Impulsen, die künftiger Arbeit zugute kommen können. Beigefügt sind dem Band acht Tafeln mit 15, zum Teil farbigen Abbildungen.