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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

868–871

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Uhrig, Christian

Titel/Untertitel:

»Und das Wort ist Fleisch geworden«. Zur Rezeption von Joh 1,14a und zur Theologie der Fleischwerdung in der griechischen vornizänischen Patristik.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2004. 598 S. gr. 8° = Münsterische Beiträge zur Theologie, 63. Kart. Euro 72,00. ISBN 3-402-03968-0.

Rezensent:

Rolf Noormann

Die von Winfrid Cramer betreute, im Sommersemester 2003 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommene Untersuchung widmet sich einem »weißen Fleck in der patristischen Forschungslandschaft«, der »patristischen Rezeption und Auslegung von Joh 1,14 und der Inkarnationstheologie der Väter«, zu der eine »Spezialuntersuchung« bislang fehlt (11). Der Vf. untersucht nicht nur die Rezeptionsgeschichte von Joh 1, 14a, sondern auch die Geschichte der hier zum Ausdruck kommenden christologischen Konzeption, die er mit Hilfe einer »trennscharfe[n] Begrifflichkeit« abzugrenzen sucht: Im Anschluss an Adolf von Harnack unterscheidet er »die johanneische Traditionslinie eines ginesthai sarx des Logos« von anderen christologischen Typen wie phanerusthai en sarkai oder assumptio carnis (13). Nur in diesem präzisen johanneischen Sinne möchte er auch den Begriff der Inkarnation im Rahmen seiner Untersuchung ­ und darüber hinaus! ­ verstanden wissen (15).

Die Arbeit ist übersichtlich aufgebaut: Nach der Einleitung (11­17) werden zunächst in einem exegetischen Kapitel »Grundlinien des Verständnisses von Joh 1,14a« erarbeitet (18­32), bevor dann in 14 Kapiteln in chronologischer Reihenfolge die relevanten Textabschnitte derjenigen Autoren bzw. Schriften analysiert werden, bei denen eine Rezeption von Joh 1,14a bzw. der Inkarnationstheologie festzustellen bzw. in der Forschung angenommen worden ist (33­508). Die einzelnen Kapitel thematisieren zunächst Einleitungsfragen und bisherige Forschungspositionen, analysieren dann die fraglichen Stellen ­ in umfangreicheren Kapiteln in systematischer Anordnung des Materials ­ und schließen jeweils mit einer ausführlichen Zusammenfassung. Der Vf. argumentiert sachlich und behutsam, analysiert umstrittene oder problematische Stellen eingehend und nimmt zu wichtigeren Themen in großem Umfang auf die neuere Forschungsliteratur Bezug. Das Schlusskapitel resümiert die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit und markiert ausblickend Fragestellungen für die heutige Theologie (509­536). Eine ausführliche Bibliographie (537­598!) schließt die Arbeit ab; ein Stellenverzeichnis, das nicht zuletzt wegen der thematischen Anordnung des Materials in den größeren Kapiteln wünschenswert wäre, fehlt leider.

Im ersten Kapitel präsentiert der Vf. in Kürze sein im Gespräch mit der gegenwärtigen Forschungsliteratur gewonnenes Verständnis von Joh 1,14a, »um die Rezeption [sc. des Textes] inhaltlich und formal am johanneischen Original messen zu können« (17). Hier geht es um die erwähnte Trennschärfe: »Fleisch werden ist Š weder deckungsgleich mit Fleisch annehmen noch mit im Fleisch erscheinen, in Fleisch gehüllt bzw. gekleidet oder im Fleisch gekommen Š«. sarx egeneto besagt vielmehr, »dass mit dem Logos etwas geschieht«, allerdings nicht, »dass der Logos zu Fleisch wird, so als würde er verwandelt«, sondern »dass der Logos der Gott-Logos bleibt und zusätzlich etwas wird, was er vorher nicht war: Fleisch« (28). Dieses Verständnis von Joh 1,14a setzt der Vf. im Folgenden voraus, wenn er danach fragt, ob in ähnlich klingenden Formulierungen eine Bezugnahme auf Joh 1,14a vorliegt bzw. ob bei eindeutiger Bezugnahme auf diesen Text auch die entsprechende »Inkarnationstheologie« rezipiert wird. Der Vf. gewinnt so in der Tat einen klaren Maßstab für die nachfolgenden Untersuchungen, trägt damit aber weder der (relativen) Offenheit von Rezeptionsvorgängen, wie sie in der jüngeren rezeptions- und auslegungsgeschichtlichen Forschung wiederholt diskutiert worden ist, noch der Relativität der eigenen bzw. heutigen Auslegung, die selbst Teil der Rezeptionsgeschichte ist, Rechnung. Das Interesse der Arbeit konzentriert sich demgemäß auf die frühchristliche Geschichte eines bestimmten inkarnationstheologischen Konzepts.

Finden sich bei Ignatius, wie der Vf. überzeugend nachweist, weder Bezugnahmen auf Joh 1,14a noch die Vorstellung einer »Fleischwerdung« (33­49, Zitat 46), so begegnet im Zweiten Klemensbrief zwar die Formulierung sarx egeneto (2Clem 9,5), allerdings bezogen auf den Geist, so dass die Frage einer Bezugnahme auf den Johannesprolog »nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden« kann (50­59, Zitat 59). Deutliche Anklänge an Joh 1,14a finden sich in der Epistula Apostolorum (60­71), doch gibt es zum einen Unsicherheiten bezüglich des ursprünglichen griechischen Wortlauts und zum anderen große sachliche Diskrepanzen, »so dass die Frage nach der Nutzung des Logions in der Epistula letztlich offen bleiben muss« (71). Das bei Justin (72­100) wiederholt begegnende Verbum sarkopoieisthai ist nicht als Anspielung auf Joh 1,14a zu deuten, sondern bezeichnet das ­ gegenüber der Menschwerdung bzw. dem Geburtsgeschehen vorzeitige ­ »zu Fleisch gemacht werden bei der Empfängnis« (79). Entsprechendes gilt für Melito (101­113): Die für ihn »typische Formel en partheno sarkotheis ist laut dem Vf. keineswegs von Joh 1,14a her zu verstehen (111 f.), vielmehr betont das Verbum sarkusthaibei ihm »den Vorgang des Heranreifens der Menschheit Jesu Christi im Mutterschoß« (112 f.). Bei beiden ist hier demnach »ein Stadium auf dem Weg zur vollen und wahren Menschwerdung Jesu Christi« gemeint (512), nicht jedoch die Fleischwerdung des Logos im johanneischen Sinn. Ebenso versteht der Vf. das Verbum sarkusthai, das er mit »fleischig gemacht werden« übersetzt, auch bei späteren Autoren wie Hippolyt von Rom (284­303) und Methodius von Olympos (481­489) sowie im Nizänum (517­519). Verben wie sarkopoieisthai und sarkusthai dürfen demgemäß nicht vorschnell als Inkarnationsaussagen gedeutet werden ­ ein wichtiges Ergebnis der Studie.

Der erste christliche Autor, der laut Vf. tatsächlich ­ und dann gleich in großem Umfang ­ auf Joh 1,14a zurückgreift, ist Irenäus von Lyon (114­203). Der Vf. analysiert die zahlreichen Bezugnahmen auf Joh 1,14a unter thematischen Gesichtspunkten, wobei der Schwerpunkt auf dem Zusammenhang zwischen »Fleischwerdung und Anakephalaiosis« (128­148) und der antihäretischen Verwendung des johanneischen Logions (148­180) liegt; der für Irenäus ebenfalls wichtige Zusammenhang zwischen Fleischwerdung des Gottessohnes und Vergöttlichung des fleischlichen Menschen tritt dagegen kaum in den Blick. Zur gnostischen Rezeption von Joh 1,14a äußert sich der Vf. kurz auf S. 148­152 zu Adv. haer. I,8,5 sowie auf S. 304­324 zur Nag Hammadi-Bibliothek; er betont, eine Fleischwerdung des Erlösers sei »für gnostische Denker ein undenkbarer Gedanke« (324).

Obwohl er nur selten auf Joh 1,14a Bezug nimmt, ist auch Klemens von Alexandrien ein umfangreiches Kapitel gewidmet (204­283). Der Vf. nimmt bei ihm eine dem johanneischen Logion sachlich entsprechende offenbarungstheologische Deutung der Fleischwerdung des göttlichen Logos wahr, die nur deswegen so selten thematisiert werde, weil Klemens die Fleischwerdung des Logos der höchsten Stufe der Erkenntnis vorbehalte.

Der zweite vornizänische Autor, der Joh 1,14a sehr häufig rezipiert, ist Origenes; mit ihm befasst sich das längste Kapitel der Untersuchung (325­466). Kennzeichnend für Origenes ist dem Vf. zufolge eine »Mehrdimensionalität der Fleischwerdung« (345­378), die zwischen der »Fleischwerdung als Ereignis« und der »Tiefendimension der Fleischwerdung« unterscheiden lässt. Dem korrespondiert ein gestufter Erkenntnisprozess (378­417): Die Erkenntnis Christi im Fleisch ist für Origenes zwar wichtig, bildet aber lediglich die unterste Stufe der Erkenntnis. Ziel ist es, Christus nach dem Geist zu erkennen, und das heißt: ihn nicht mehr nach dem Fleisch zu kennen (404­417). Im abschließenden Resümee betont der Vf., Origenes halte zwar »eine Fleischwerdung im wörtlichen Sinn für undenkbar und sogar naturwidrig« (463) ­ eine Verbindung zwischen dem göttlichen Logos und dem menschlichen Fleisch ist nur dank der zwischen beiden vermittelnden Seele Christi möglich (350­355) ­, messe aber der Aussage von Joh 1,14a dennoch großes Gewicht bei und werde so zum ersten Theologen, »der nicht nur auf die Fleischwerdung rekurriert, sondern sie zu denken und theologisch zu durchdringen versucht« (465).

Der spezifische methodische Ansatz der Untersuchung kommt in dem Kapitel zu Eusebius von Caesarea (490­508) noch einmal deutlich zum Ausdruck. Nach einer Analyse der wenigen fraglichen Belege, in denen der Vf. kein klares Indiz für eine Rezeption der spezifisch johanneischen Fleischwerdungstheologie erkennen kann (493­501), wendet er sich gegen die These Holger Strutwolfs (Die Trinitätstheologie und Christologie des Euseb von Caesarea, Göttingen 1999), die Inkarnation nehme eine »fundamentale und zentrale Rolle Š im Gesamtentwurf der eusebianischen Theologie« ein (zitiert 503). Entscheidend ist auch hier der Inkarnationsbegriff: Verstehe man Inkarnation »als von Joh 1,14a her geprägten Begriff« (503 f.), dann zeige sich, dass auch Euseb eine Fleischwerdung letztlich nicht denken könne (504 f.). Die »sehr sparsame Nutzung des johanneischen Fleischwerdungslogions« und das Fehlen einer »explizite[n] inkarnationstheologische[n] Akzentsetzung« (505 f.) bestätigten dies.

Am Ende seiner ebenso umsichtigen wie umfassenden Untersuchung kommt der Vf. somit zu einem deutlich skeptischeren Ergebnis als weithin die bisherige Forschung. Der These Alois Grillmeiers, die »Fleischwerdung des Logos« nach Joh 1,14 sei »zu einem Zentralpunkt der Deutung der Person Jesu« geworden (zitiert 11), vermag er »nur eingeschränkt zuzustimmen« (532). Die Rezeptionsgeschichte zeige, »dass bei weitem nicht alle Väter auf das johanneische Logion zurückgegriffen haben und somit inkarnationstheologisch argumentieren« (532). Außer bei Irenäus findet der Vf. einen bewussten theologischen Rückgriff auf Joh 1,14a verbunden mit einer »Theologie der Fleischwerdung« im Wesentlichen allein bei Klemens von Alexandrien und Origenes (511­515). Dieses zurückhaltende Ergebnis ist freilich auch eine Folge der Konzentration der Rezeptionsgeschichte von Joh 1,14a auf ein bestimmtes inkarnationstheologisches Konzept, das zwar zu wichtigen Erkenntnissen, etwa in Bezug auf die Bedeutung von Verben wie sarkusthai und sarkopoieisthai, führt, aber gegenüber Quellen, die unterschiedliche biblische und nachbiblische Formulierungen nicht selten synonym verwenden, doch auch etwas Künstliches hat. Ist die Lehre einer Fleischwerdung für die Väter tatsächlich so präzise von verwandten oder benachbarten Vorstellungen abgrenzbar, wie der Vf. nahe legt? Die Warnung, nicht vorschnell von einer Inkarnationschristologie zu reden, ist freilich berechtigt. So schließt die vorgelegte Untersuchung nicht nur eine Forschungslücke, sie trägt auch zu einer genaueren Wahrnehmung der Christologie der Väter bei. Wer immer sich über die vornizänische Rezeption von Joh 1,14a informieren will, wird sie mit großem Gewinn lesen.