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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

866–868

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Predel, Gregor

Titel/Untertitel:

Vom Presbyter zum Sacerdos. Historische und theologische Aspekte der Entwicklung der Leitungsverantwortung und Sacerdotalisierung des Presbyterates im spätantiken Gallien.

Verlag:

Münster: LIT 2005. 294 S. gr.8° = Dogma und Geschichte, 4. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-8258-8226-8.

Rezensent:

Georg Schöllgen

Die Freiburger Habilitationsschrift im Fach Dogmatik und Dogmengeschichte verfolgt ein doppeltes Anliegen: zum einen ein historisches, nämlich die detaillierte Rekonstruktion der Geschichte der kirchlichen Leitungsämter, besonders des Presbyterats, im antiken Gallien, zum andern ein systematisches, das Folgerungen aus dieser geschichtlichen Entwicklung für die Katholische Kirche der Gegenwart zieht.

Obwohl der systematischen Fragestellung erstaunlich wenig Platz zugestanden wird, steht sie ganz offensichtlich im Zentrum des Interesses und bestimmt den Duktus und das Argumentationsziel der Untersuchung: So wie die gallische Kirche die Funktionen ihrer Ämter, besonders des Presbyterats, entsprechend den grundlegenden Veränderungen von Gesellschaft und Kirche in der Spätantike und den sich infolgedessen wandelnden pastoralen Bedürfnissen verändert und ihre Ekklesiologie weiterentwickelt hat, so soll die Katholische Kirche auch heute ihre Krise, wie sie sich besonders im Presbytermangel zeigt, dadurch überwinden, dass sie die Funktionen ihrer Ämter neu bestimmt und an die gewandelten pastoralen Bedürfnisse anpasst. Die Rekonstruktion der gallischen Amtsgeschichte hat legitimatorische Funktion für die angestrebten Veränderungen in der Gegenwart.Die Arbeit ist weitgehend aus den literarischen Quellen des spätantiken Gallien geschrieben, die intensiv und umfassend aufgearbeitet werden. Nach einem kurzen Problemaufriss und einer Übersicht über die Quellen im 1. Kapitel (13­24) behandelt das 2. Kapitel (25­68) zunächst die »städtisch geprägte Kirche Galliens vom 2. bis 5. Jahrhundert« und ihre Amtsträger, um dann die »Umwälzungen der spätantiken Gesellschaft Galliens« vor Augen zu führen und schließlich zur eigentlichen Ursache der amtsgeschichtlichen Veränderungen zu kommen, den »Anfängen der Christianisierung auf dem Land«, ein Thema, das lange Zeit vernachlässigt in den letzten Jahren wieder in den Blickwinkel der Forschung tritt. Von diesem Aufbruch hat P. allerdings nur wenig mitbekommen, ein Umstand der wohl der Begrenztheit seiner Perspektive zuzuschreiben ist: Zum einen konzentriert er sich nahezu ausschließlich auf die literarischen Quellen und vernachlässigt die für die Christianisierung des Landes sehr wichtigen archäologischen Untersuchungen, die gerade für Gallien in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung genommen haben; zum anderen lässt er seinen Blick nur selten über die Grenzen Galliens schweifen, die gallischen Entwicklungen bleiben isoliert und werden nicht in den Kontext der Reichskirche eingebunden. Es bleibt jedoch sein Verdienst, die literarischen Quellen für Gallien umfassend ausgewertet zu haben. Er kann dabei plausibel machen, dass die Christianisierung des Landes die Stellung des Presbyters deutlich verändert und ihn zum primären Seelsorger seiner Pfarrei macht, der in zunehmendem Maße Kompetenzen erhält, die bislang dem Bischof vorbehalten waren.

Die zunehmende Erweiterung der Kompetenzen des Presbyters sind Gegenstand des sehr ausführlichen 3. Kapitels (69­163). Die Entwicklung wird zunächst in ihren verschiedenen Stufen anhand der Quellen sorgfältig nachgezeichnet. Sie erreicht ihren Höhepunkt Anfang des 6. Jh.s mit dem, was P. »eine Neudefinition des Presbyterates« auf der Synode von Agde (504) nennt, die den Presbyter theologisch nahe an die Bischöfe heranrückt und gegenüber dem Diakonat klar abgrenzt. Im Detail werden dann die neuen Funktionen des Presbyters durchgegangen, wie die Feier der Eucharistie, die Spendung der Krankensalbung und das Taufrecht. Besonders aufschlussreich ist die Dokumentation des Streits um den öffentlichen Segen durch Presbyter und das sich nur langsam durchsetzende Predigtrecht, das den Presbytern zunächst strikt verweigert worden war. Trotz einzelner Schwächen im Detail wie etwa der extensiven Benutzung von argumenta e silentio ist der Nachweis gelungen, dass der Presbyterat im spätantiken Gallien eine grundlegende Funktionsveränderung erfahren hat, die in erster Linie als eine Anpassung an die gewandelte pastorale Situation im Zuge der Christianisierung der Landbevölkerung zu verstehen ist. Man würde sich allerdings wünschen, dass die Entwicklungen des spätantiken Galliens in den breiteren Kontext der Reichskirche gestellt würden. P. wagt gelegentlich einen Blick nach Rom, aber der übrige Westen, etwa die gut dokumentierten afrikanischen Provinzen, und der gesamte Osten bleiben unberücksichtigt. Die Frage, ob es sich bei der Neudefinition des Presbyterates als Antwort auf die wachsende Zahl von Christen auf dem Lande um eine binnengallische oder eine reichskirchenweite Entwicklung handelt, ist für das systematische bzw. kirchenpolitische Anliegen P.s nicht ohne Bedeutung.

Die Begrenzung der Perspektive auf Gallien ist auch für das Thema des 4. Kapitels (164­213) misslich. Hier geht es um die »Beziehung von Bischof und Presbyter«. P. will nachweisen, dass die Erweiterung der Kompetenzen des Presbyters theologisch durch eine Sacerdotalisierung des Presbyterates verarbeitet wird. Er kann belegen, dass der Bischof seit der 2. Hälfte des 6. Jh.s immer seltener als sacerdos bezeichnet wird und dieser Titel zunehmend auf den Presbyter übertragen wird. Welche Funktionen des Bischofs bzw. Presbyters als sacerdotal angesehen werden, wird leider nicht im Detail analysiert. Die These, dass diese Bezeichnung christologisch im Sinne eines Anteils an der Priester- bzw. Hohepriesterschaft Christi verstanden wird, der Presbyter also Christus als caput ecclesiae repräsentiert, kann nicht zureichend belegt werden. Die nahe liegende Vermutung, dass hier insbesondere die Rezeption alttestamentlicher Vorstellungen von Kultpriesterschaft eine Rolle spielt, kommt nicht zureichend in den Blick. Hinderlich ist hier wiederum die Beschränkung auf Gallien und die diesbezügliche Literatur. Grundlegende Sekundärliteratur zur spätantiken Amtsgeschichte und speziell zur Priesterterminologie, die den Blick geweitet hätte, wird nicht zur Kenntnis genommen (z. B. J. Waldram, Van presbyter tot priester. De betekenisverschuiving van het woord ðsacerdosÐ van de derde tot de achtste eeuw: Proef en toets [1977] 144/65; weitere Literatur im Art. Hoherpriester: RAC 16 [1994], 44 f.).

Nachdem P. im 5. Kapitel (214­241) die Grundzüge der Ekklesiologie der spätantiken gallischen Autoren vorgestellt hat, kommt er im abschließenden, erstaunlich kurzen 6. Kapitel (242­258) zum systematischen Ertrag seiner Untersuchung für die Gegenwart. Von einer systematisch-theologischen Untersuchung erwartet man nicht nur, dass der Verfasser deutlich macht, welche Veränderungen er analog zur spätantiken Entwicklung in der Ämterordnung der Gegenwart für notwendig hält, sondern auch, dass er eine Kriteriologie legitimer Übertragungen historischer Entwicklungen auf die Gegenwart entwickelt. Unter welchen Voraussetzungen kann der Theologe auf eine Entwicklung der Amtsgeschichte zurückgreifen, um eine Veränderung der Ämterstruktur in der Gegenwart zu legitimieren?

Die Antwort P.s auf beide Fragestellungen hat den Rezensenten enttäuscht. P. verrät weder, was er an der Funktion und Theologie der bestehenden Ämter konkret verändern will, welche Ämter die erheblichen pastoralen Lücken, die der Presbytermangel reißt, ausfüllen sollen und welche Lehren man dafür aus dem Prozess der von ihm Sacerdotalisierung genannten funktionalen und theologischen Neubestimmung des Presbyterstandes im spätantiken Gallien ziehen kann. Noch bietet er die erhoffte theologische Kriteriologie: Warum die amtstheologischen Umwälzungen in einer der vielen Regionen des zerfallenden römischen Reiches nicht einfach ein ­ sicher hochinteressantes ­ Kapitel der vielfältigen Erfahrungsgeschichte der Kirche sind, zu dem es in mancher Hinsicht aktuelle Parallelen geben mag, sondern normative Relevanz für die Kirche der Gegenwart haben sollen, das kann P. nicht plausibel machen.

Damit sollen die Verdienste der Arbeit aber nicht geschmälert werden: Sie bietet eine solide, wissenschaftlich weiterführende Aufarbeitung der literarischen Quellen zu einem interessanten Kapitel der spätantiken Amtsgeschichte.