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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

862–864

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zeigan, Holger

Titel/Untertitel:

Aposteltreffen in Jerusalem. Eine forschungsgeschichtliche Studie zu Galater 2,1­10 und den möglichen lukanischen Parallelen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. XVII, 568 S. m. Tab. gr.8° = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 18. Geb. Euro 84,00. ISBN 3-374-02315-0.

Rezensent:

Jürgen Wehnert

Die hier vorzustellende voluminöse Arbeit ist eine von Michael Bachmann (Siegen) angeregte Dissertation, mit der Z. 2003 an der Universität Siegen promovierte. Weil der von Paulus in Gal 2,1­10 geschilderte, wirkungsgeschichtlich kaum zu überschätzende Konflikt über die thorafreie Christusverkündigung unter den Heiden auch in der Apg reflektiert wird, existiert eine jahrhundertealte Debatte über das Verhältnis zwischen paulinischem und lukanischem Bericht und den historischen Wert beider Zeugnisse. Dieser Forschungsgeschichte bis in ihre feinen Verästelungen nachgespürt und damit ein einzigartiges Nachschlagewerk über die bisherigen Lösungsvorschläge geschaffen zu haben, ist ­ bei aller Kritik im Einzelnen ­ das bleibende Verdienst Z.s.

Seinen besonderen Charakter erhält das Werk dadurch, dass es mitsamt der Hauptthematik das Problem der Paulus-Chronologie in den Blick nimmt, das Z. laut Vorwort (V) zur Abfassung seiner Studie inspirierte. An den Anfang stellt Z. daher eine »Einführung in die Problemstellung« (1­15), die die Zielsetzung der Studie vor allem unter chronologischem Aspekt entfaltet: Gefragt werden solle nach der Datierung der zweiten Jerusalemreise des Paulus und den Quellen, die dafür zur Verfügung stehen. Zugleich werden hier Weichen für Z.s eigenen Lösungsansatz gestellt. So deutet der Duktus der Ausführungen über die, von Lukas und Paulus unterschiedlich angegebene, Zahl der Jerusalemreisen des Apostels an, dass Z. diesen Widerspruch als einen nur scheinbaren auszuräumen gedenkt (2­7).

Die Forschungsgeschichte, die den weitaus größten Teil des Buches umfasst (17­414), verfährt nicht chronologisch, sondern ordnet die Autoren verschiedenen Lösungsmodellen zu, je nachdem, welcher Acta-Text von ihnen als Parallele zu Gal 2,1­10 aufgefasst wird: a) Die am häufigsten vertretene »Korrelation« zwischen Gal 2,1­10 und Apg 15 wird in fünf Subabschnitten feinrubriziert ­ Z. unterscheidet eine »Radikale Destruktive Kritik« in der Nachfolge F. C. Baurs (23­101), eine »Destruktive Kritik«, deren Anfänge er bei Schleiermacher verortet (101­192), eine »Konservative Kritik« (A. Neander bis M. Hengel; 192­202), eine »Konservative Apologetik« (seit J. B. Lightfoot; 203­230) sowie eine »Konstruktive Kritik«, für die O. Holtzmann und F. Hahn Gewährsleute seien (230­236). b) Die zweite Beziehung ­ zwischen Gal 2,1­10 und Apg 18,22 ­ wird als »Spätdatierung« unter den Aspekten »aus konservativer Sicht« (seit K. Wieseler; 240­257) bzw. »aus kritischer Sicht« (seit G. Volkmar; 257­305) beschrieben. c) Der postulierte Zusammenhang zwischen Gal 2,1­10 und Apg 11 f. wird in den Abschnitten »Konventionelle Chronologien« (W. M. Ramsay bis A. S. Geyser; 312­344) und »Frühdatierung des Galaterbriefs« (V. Weber bis F. F. Bruce; 344­386) behandelt. d) Unter »Andere Korrelationsvarianten« geht Z. behaupteten Zusammenhängen zwischen Gal 2 und Apg 9,26­30; 20,4­21,26 nach (vor allem J. Weiß, C. Clemen; 388­396) sowie der These, die Apg übergehe die in Gal 2,1­10 geschilderte Jerusalemreise (u. a. K. Schrader; 397­414). Nach seinem eigenen Vorschlag zur Lösung des Problems (415­492; s. u.) beschließen das Buch ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie hilfreiche Stellen-, Namen- und Sachregister (499­568).

Die von Z. geleistete Aufarbeitung der verwickelten Forschungsgeschichte zu Gal 2,1­10 parr. verdient ob ihres stupenden Fleißes Hochachtung. Originell ist gewiss das Verfahren, die seit ca. 1830 vertretenen Positionen systematisch erfassen zu wollen und deren Hauptvertreter jeweils vorab in kurzen Biogrammen wissenschaftsgeschichtlich einzuordnen. Diese Systematik ist jedoch, ganz abgesehen von der Angemessenheit der einzelnen Zuschreibungen, auch ein Hauptproblem der Arbeit: Durch den Verzicht auf eine chronologische Darstellung wird ­ trotz allen Bemühens um eine Verzahnung der Einzelpositionen­ eine Gleichrangigkeit der Lösungsvorschläge suggeriert, der die Forschungsgeschichte selbst widerspricht: Jede neue Hypothese ist Frucht der Auseinandersetzung mit den früheren, so dass die hier nahe gelegte Vorstellung, man könne aus dem gesamten Lösungsangebot der letzten 200 Jahre heute frei wählen oder kombinieren, verfehlt wäre.

Diese grundsätzliche Skepsis verstärkt sich angesichts der Lösungsvorschläge Z.s, die er auf knappen 80 Seiten gleichsam als Fazit seines Forschungsberichts entfaltet. Auch hier stehen am Anfang recht verwickelte Überlegungen zur Paulus-Chronologie, deren Rekonstruktion dann den hermeneutischen Rahmen für Z.s Vergleich von Gal 2,1­10 mit der Apg schafft: Zwar sei die Apg gegenüber den Paulusbriefen eine Sekundärquelle, dennoch müsse »von den Konservativen« gelernt werden, »einen Versuch des Ausgleichs der vorhandenen Quellen zu unternehmen, ohne die eine nach der anderen zu korrigieren bzw. zu falsifizieren« (416). Dieser »Ausgleich« sieht in seinen wichtigsten Punkten so aus, dass sich die zweite Jerusalemreise des Paulus (Gal 2,1­10) in den Acta-Notizen 11,27­30; 12,25 widerspiegele und der antiochenische Zwischenfall (Gal 2,11 ff.) ­ aus chronologischen Gründen ­ in Apg 18,22 f. sowie in Apg 15,1­35 (wo die Lösung dieses Konflikts beschrieben werde).

Trotz aller argumentativen Bemühungen Z.s halte ich diesen neuen Harmonisierungsversuch und speziell seine Methodik für verfehlt. Basis dieser »Korrelationen« ist letztlich nur die simple Beobachtung, dass sowohl Gal 2,1­10 als auch Apg 11,27­30; 12,25 »die zweite Reise« des christlichen Paulus nach Jerusalem darstellen (481). Alles andere sind daraus abgeleitete Hypothesen zweiten und dritten Grades ­ speziell die inhaltliche Überfrachtung der nichts sagenden Jerusalemnotiz Apg 18,22.

Bedenklich ist ferner, dass diese »Korrelationen« zwischen Paulus und Apg nun völlig die Interpretation des Kerntextes Gal 2,1­10 bestimmen. Aus der Perspektive von Apg 11,27­30; 12,25 gelangt Z. zu einer ­ gewiss im Trend der Zeit liegenden ­ harmonischen (um nicht zu sagen: harmlosen) Deutung, die jede »Radikale Destruktive Kritik« weit hinter sich lässt: Das ca. 45 n. Chr. anlässlich der Übergabe einer Geldsammlung stattfindende Gespräch der antiochenischen und Jerusalemer Autoritäten über die Heidenmission habe eher spontan, jedenfalls aber in partnerschaftlicher Form stattgefunden. Paulus habe darin »seine Verkündigung in einer überzeugenden Argumentation« erläutert und seine »Zuhörer« zur Einsicht geführt, dass er der zweite Kephas, »der petros der Heidenmission«, sei (487. 442). Eine erbauliche Paraphrase von Gal 2,10­10, Z.s Fazit (452), evoziert die Vorstellung, dass man dazu eine Tasse Tee trank und vor gegenseitiger Wertschätzung überfloss.

Hätte Paulus in Gal 2 Z.s Lesart eingetragen statt jener Reminiszenzen an den ihn bis in die Gegenwart des Gal aufwühlenden Konflikts über sein Apostolat, der zur Trennung der Arbeitsgebiete führte, weil die Jerusalemer keinesfalls mit einer thorafreien Völkermission in Verbindung gebracht werden wollten, dann wäre der Paulusforschung gewiss vieles erspart geblieben. Da sich die paulinische Darstellung dieses zentralen Konflikts, der sich im antiochenischen Zwischenfall später in ähnlicher Schärfe fortsetzt, nur gewaltsam in den von Z. entworfenen historischen Zusammenhang zwängen lässt, müssen die lukanischen Parallelen (d. h. methodisch: die von Lukas nicht chronologisch verarbeiteten Acta-Traditionen) jedenfalls an anderer Stelle gesucht werden, vorzugsweise in Apg 15.

Resümee: Z.s Forschungsgeschichte wird bei der weiteren Beschäftigung mit dem Thema als Fundgrube gute Dienste leisten. Sein eigener Lösungsvorschlag hingegen wird, so scheint mir, vom weiteren Gang der Forschung schnell überholt werden.