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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

858–860

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Peterson, Erik

Titel/Untertitel:

Lukasevangelium und Synoptica. Aus dem Nachlass hrsg. v. R. von Bendemann.

Verlag:

Würzburg: Echter 2005. CVI, 445 S. gr.8° = Ausgewählte Schriften, 5. Geb. Euro 58,00. ISBN 3-429-02747-0.

Rezensent:

Eduard Lohse

Die Edition ausgewählter Schriften von Erik Peterson ist um einen weiteren, gehaltvollen Band vorangeschritten. Aus dem Nachlass werden Vorlesungstexte vorgelegt, die sich auf seine Lehrtätigkeit in Bonn im Wintersemester 1924/25 sowie im Sommersemester 1929 beziehen. In seinen Kollegs hat P. nicht das ganze Lukasevangelium, sondern nur die Kapitel 1­9 auslegen können. Doch wird die fortlaufende Erklärung durch einige kurze Abschnitte ergänzt, die P. bei anderen Gelegenheiten abgefasst hat, so dass ein Gesamtbild seines Verständnisses des Lukasevangeliums entsteht ­ soweit es der Nachlass irgend möglich werden lässt.

Der Herausgeber, der durch gewichtige eigene Publikationen zum Lukasevangelium auf das Beste ausgewiesen ist, hat die Bearbeitung des Textes mit vorbildlicher Sorgfalt gestaltet. Dem Band ist eine ausführliche Einleitung aus seiner Feder vorangestellt, die nicht nur in die Edition einführt, sondern auch eine neutestamentliche Würdigung der Vorlesung über das Lukasevangelium sowie der weiteren Synoptica P.s vornimmt. Darin wird aufgezeigt, wie sich seine Erklärung zu zeitgenössischer Kommentarliteratur verhält. Darüber hinaus wird mit Angabe einer Fülle neuerer Arbeiten dargelegt, wie die neuere Lukasforschung über den damaligen Stand der Diskussion hinausgegangen ist. Auf diese Weise wird der Leser in Stand gesetzt, P.s Kommentar in den Fortgang der neutestamentlichen Wissenschaft einzuordnen und sich sein Urteil bilden zu können.P. schickt seiner Erklärung keine Erörterung der sog. Einleitungsfragen voran, sondern setzt sofort mit Lk 1,1 ein. Im weiteren Verlauf seiner Kommentierung zeigt sich dann, wo er sich auf ihm damals vorliegende Literatur bezieht und wie er die grundsätzlichen Probleme beurteilt, die das Lukasevangelium betreffen. Als junger Professor, der er damals war, hat er von seinen Vorgängern gelernt, manche Ausführungen übernommen, aber auch zu wichtigen Stellen eigene Beiträge geboten. Vornehmlich benutzt werden die Kommentare von Klostermann, Lagrange, Zahn und auch Billerbeck. Die vorgelegten Übersetzungen stammen nahezu zur Hälfte wörtlich aus Klostermanns Kommentar. Zahn und Lagrange folgt P. weithin in der vorsichtigen Beurteilung historischer Einordnung. So sucht er die in Lk 2 erwähnte Steuerschätzung als historisches Ereignis darzustellen (58­62) und zeigt sich zurückhaltend, bisweilen auch überaus kritisch gegenüber religionsgeschichtlichen Erklärungen einzelner Begriffe und Vorstellungen (so z. B. im Rückblick auf die Exegese von Lk 1,5­2,52, 90).

Seinen Vorgängern gegenüber verhält sich P. an manchen Stellen auch kritisch. So kann er gelegentlich Zahns Deutung als »gekünstelt« bezeichnen (95) und sich von manchen Erklärungsversuchen scharf distanzieren, indem er z. B. von Theologen spricht, »die ungefähr die Psychologie von Friseurgehilfen haben« (80, Anm. 159). Doch fällt auf, dass P. weder der schon zu seiner Zeit weithin anerkannten Zwei-Quellen-Theorie zustimmt noch von formgeschichtlichen Untersuchungen Kenntnis nimmt, wie sie von M. Dibelius, R. Bultmann und anderen damals angestellt wurden. Insofern bleibt seine Auslegung deutlich hinter vergleichbaren Erklärungen seiner Zeit zurück.

Dieser gewisse Mangel wird jedoch bei weitem ausgeglichen durch die wertvollen Beiträge, die P. auf Grund eigener Überlegungen zur Interpretation des Lukasevangeliums beizusteuern weiß. Er vertritt eine konsequent eschatologische Auslegung des Textes und sucht dessen unvergleichlichen Charakter unter dieser Perspektive herauszuarbeiten. Die Wirksamkeit Jesu vollzieht sich vor dem Hintergrund eines Kampfes zwischen Christus und Antichristus. Nur wenn dieser eschatologische Hintergrund in den Blick gefasst wird, können die ethischen Weisungen Jesu, wie sie in der Feldrede bzw. Bergpredigt zusammengefasst sind, richtig verstanden werden. Denn Jesus verkündigt nicht eine Moral, die zu allgemeiner Anerkennung gebracht werden soll, sondern proklamiert den Anbruch des Reiches Gottes. Erst wenn diese eschatologische Grundlage gebührend beachtet wird, wird der unverwechselbare Charakter der Verkündigung Jesu angemessen interpretiert (vgl. z. B. den Exkurs »Zum eschatologischen Sinn der Feindesliebe im ðAusnahmezustandЫ, 238­242).

Das Reich Gottes ist einerseits »schon hereingebrochen«, doch andererseits »steht es noch aus, insofern Christus noch nicht gestorben und auferstanden ist« (320). Vor diesem spannungsvollen Hintergrund vollzieht sich Jesu Wirken und Handeln. Im Zeichen dieser eschatologischen Situation erhalten die Zwölf als Jünger Jesu ihre einzigartige »Autorität« und »Präsenz« (LIII). In ihnen bildet sich die werdende Kirche in ihren judenchristlichen Anfängen ab. Hier zeigt sich, wie P. in seinen exegetischen Studien von den beiden Fragen bewegt ist: »Was ist Theologie?« und: »Was ist Kirche?« (vgl. XXIX).

Dieser Sicht entspricht das Verständnis, das P. hinsichtlich des Verhältnisses von Schrift und Tradition entfaltet: »dass die Tradition der Bibel vorangeht« (257). Ein reformatorisches »sola scriptura« kann P. demnach nicht mehr vertreten. Doch legt er mit eindrucksvollem Ernst dar, was Nachfolge Jesu bedeutet: »Wir können das Kreuz des Herrn nicht lieben, wenn wir nicht auch den Weg zum Kreuz lieben, wir können den Weg zum Kreuz nicht lieben, wenn wir nicht auch den Weg zum Kreuz mitgehen.« (405) Das aber schließt ein: »Nachfolgen, das heißt heimatlos sein, und heimatlos sein, das heißt, für einen Verräter des Vaterlandes gelten, heißt Haus und Hof, Tisch und Stuhl, Straße und Nachbarn verlassen und dazu Weib und Kind, Vater und Mutter, Brüder und Schwestern.« (408) Das sind Worte, die nicht leicht zu sprechen sind, sich aber tief in das eigene Geschick eingraben.

Dem Herausgeber gebührt dankbare Anerkennung für die große Umsicht, mit der er den Text der Vorlesung ediert, vor allem aber behutsam und kenntnisreich kommentiert hat. Man möchte wünschen, auch von ihm eines Tages einen Kommentar zum Lukasevangelium zu bekommen.