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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

848–853

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Janssen, Claudia

Titel/Untertitel:

Anders ist die Schönheit der Körper.Paulus und die Auferstehung in 1Kor 15.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 358 S. 8°. Kart. Euro 34,95. ISBN 3-579-05210-1.

Rezensent:

Andreas Lindemann

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Schneider, Sebastian: Auferstehen Eine neue Deutung von 1Kor 15. Würzburg: Echter 2005. 251 S. gr.8° = Forschung zur Bibel, 105. Kart. Euro 25,00. ISBN 3-429-02696-2.

Die Ausführungen des Paulus in 1Kor 15 sind trotz ungezählter Studien und Kommentare noch keineswegs ausgeschöpft. Diskutiert wird vor allem, was die in 15,12 zitierten Korinther mit ihrer Aussage gemeint haben und inwiefern das von Paulus Gesagte darauf eine Antwort ist. Meist wird angenommen, es gehe Paulus jedenfalls um die Ansage der endzeitlichen Auferstehung, 1Kor 15 sei also eschatologisch-apokalyptisch zu verstehen. Demgegenüber kommen die beiden hier zu besprechenden Habilitationsschriften zu dem Ergebnis, dass es in 1Kor 15 primär um die Gegenwart geht ­ um das »Aufstehen Toter« (so Schneider) bzw. um »die Auferstehung der erniedrigten Körper« (so Janssen).

Mit seiner bereits 2001 abgeschlossenen und deshalb hier vorangestellten Studie knüpft Sebastian Schneider an seine Dissertation an (Vollendung des Auferstehens. Eine exegetische Untersuchung von 1Kor 15,51­52 und 1Thess 4,13­18, Würzburg 2000; dazu G. Haufe, ThLZ 126 [2001], 1159­1161); er will die dort zu 15,51.52 gewonnenen Ergebnisse in eine Exegese des Gesamtkapitels einordnen. Der knappe Forschungsüberblick (11­22) kommt zu dem Ergebnis, die bisherige Auslegung von 15,12 sei unzureichend; daher sei eine neue »Denkmöglichkeit« zu erwägen: Nicht die zukünftige Auferstehung am Jüngsten Tage sei den korinthischen Christen zweifelhaft gewesen, sondern sie hätten bezweifelt, »daß dieses Auferstehungsleben bereits jetzt wirksam ist«, und daher wolle Paulus ihnen »die gegenwärtige Auferstehung« nahe bringen (21.22). Im Hintergrund stehe eine dualistische Weisheit, in der Worte wie anastasis und egeirein keineswegs nur im Blick auf das Herausgeführtwerden aus dem leiblichen Tod gebraucht würden (43). Paulus meine, dass sich in Bekehrung und Taufe der Schritt vom Tod zum Leben vollzieht und damit eine Entwicklung beginnt, »in der der Glaubende sich immer mehr von Gottes Auferstehungsleben erfassen lassen soll, und die erst beim irdischen Tod, bzw. am Jüngsten Tag vollendet werden wird«. Sch. bezeichnet dies als ein »gegenwärtig-entwicklungshaftes Auferstehungsverständnis« (56), das er nun durchweg in allen Abschnitten von 1Kor 15 findet.

Sch. legt freilich nicht 1Kor 15 in der vorliegenden Textfolge aus; vielmehr setzt er mit V. 58 ein, »denn hier müßte das, was Paulus zuvor ausgeführt hat, noch einmal gerafft zum Ausdruck kommen« (57). Schon der Gebrauch des Präsens in V. 58c zeige, dass Paulus zuvor nicht nur von der künftigen Auferstehung gesprochen haben könne (68 f.). Anschließend wendet sich Sch. V. 35 zu, dem »Gegenpol« zu V. 58. Die Frage in V. 35b (pos egeirontai Š) beziehe sich nicht auf das Wie?, sondern auf das Warum? der Auferstehung; V. 35c sei als Ergänzung aufzufassen und so zu übersetzen: »Und mit was für einem Leib (= mit welcher körperlich-seelischen Verfassung) kommen sie (kommt man als Auferweckter aus dem Tod heraus)?« (79). Die Antwort »Narr« in V. 36 meine nicht jemanden in Korinth, sondern wolle die Korinther gerade von dem fiktiven Fragesteller von V. 35 unterscheiden. In V. 42­44a gehe es um das »gegenwärtig-entwicklungshafte Auferstehungsverständnis«, wie das durchweg gebrauchte Präsens zeige (100); die von Paulus gebrauchten Beispiele stammten »aus dem Alltag der Korinther« (102). In V. 44b sei nicht von einem Gegenüber zweier somata die Rede, sondern davon, dass der Leib gleichermaßen psychisch und geistlich ist (das Komma sei nach soma zu setzen, 103). Freilich betone Paulus, »daß vor einer Auferstehung ein Tod stehen muß« (107). Zu V. 49b wiederholt Sch. seine These, hier sei nicht das Futur phoresomen zu lesen, sondern das tatsächlich sehr viel besser bezeugte phoresomen: Vor der Taufe haben wir die Gestalt des Irdischen getragen, nun »laßt uns auch (seitdem und weiterhin) tragen die Gestalt des Himmlischen« (111).

Auch zu V. 50­57 vertritt Sch., unter Verweis auf seine Dissertation, ungewöhnliche textkritische und syntaktische Entscheidungen. Inhalt des Geheimnisses in V. 51 sei: »Alle werden wir (= die Menschheit) nicht-schlafen (= unschlafen, wach) gemacht werden« (die Verbform koimethesometha sei als transitives Passiv zu verstehen), mit der dann folgenden Gegenaussage »aber nicht alle werden wir verwandelt werden« (so sei der Text zu lesen). In V. 54a seien die Eingangsworte (to phtharton tuto enclysetal aphtharsian kai) mit P46 u. a. zu streichen; Paulus habe ab V. 54 »nur noch die Glaubenden im Blick, deren positive Vollendung er im folgenden schildert« (115, vgl. die Übersetzung 116).

Erst jetzt folgt die Exegese von 15,1­11.12­19. In V. 3­4 nenne Paulus »die Auferweckung Jesu als Begründung seines Evangeliums«; in V. 5­7 führe er die Zeugen an, »die diese Begründung stützen, weil ihnen der Auferstandene erschienen ist und sie so an seinem (Auferstehungs)Leben Teil hatten«; ophthe deute den Zusammenhang mit dem Auferstehungsthema an, und im Übrigen sei »auch hier wieder [!] das gegenwärtig-entwicklungshafte Auferstehungsverständnis Grundlage des Sprechens« (132). Im Zusammenhang mit V. 35­58 werde nun klar: »Die Korinther hatten Angst vor den täglichen Todeserfahrungen und wollten Auferstehung ohne diese davorliegende Schattenseite erfahren«; diese Ängste seien »vielleicht auch der Grund gewesen«, warum sie zu der Aussage von V. 12 kamen (142 f.). Denn das Präsens und das Fehlen des Artikels in V. 12 zeige, dass nicht von »der Auferstehung der Toten« die Rede sei, »sondern ganz unbestimmt von Auferstehung Toter« (151). Später (232) meint Sch., der Satz in V. 12 sei »wohl aus Verzweiflung und spontan gefallen«, Paulus dagegen habe ihn bewusst als allgemeine Aussage aufgefasst; wäre es den Korinthern um die endzeitliche Auferstehung gegangen, hätte Paulus in 1Kor 15 »viel öfter das Futur verwenden müssen« (222), und hätte es sich um eine »Häresie« gehandelt, so hätte das »ein viel schärferes Vorgehen erfordert« (227).

Die Rede von Christus als dem »Erstling der Entschlafenen« (V. 20) besage, dass er »Anfang aller Formen von Auferstehung geworden sei« (165); dann sei aber das Futur in V. 22 (in ihm werden »alle lebendig gemacht werden«) nicht zeitlich, sondern logisch zu verstehen: »alle müssen (einmal, wann auch immer) lebendiggemacht werden« (172). Etwas überraschend heißt es zu V. 24­28, es sei »nicht ganz unproblematisch, einen Text von hinten her zu bestimmen, denn man kann so leicht Auskünfte in den Anfang hineintragen, die der Leser noch gar nicht kennen kann« (190) ­ eine Aussage, die offenbar nicht selbstkritisch gemeint ist.

V. 29 will Sch. von der Annahme her deuten, dass baptizesthai nicht »taufen« heißt, sondern wie in Lk 12,50; Mk 10, 38 f. »sterben«; gesprochen werde von den Verkündigern, »die sich dem Tod von Mühe und Gefahr unterziehen«, und dann seien mit für die Toten natürlich nicht Verstorbene gemeint, sondern »diejenigen, die im Tod des Unglaubens leben« (211; in V. 29b gehe es aber wieder um »alle Todesstufen«). Schon »der Paulus der Hauptbriefe« habe also die Meinung vertreten, dass Auferstehung »ein sich entwickelndes Geschehen ist«; in Eph und Kol werde nichts anderes vertreten als in 1Kor 15. Mit der Zukünftigkeit der Auferstehung hätten die Korinther »die wenigsten Probleme« gehabt; Paulus habe die Notwendigkeit gesehen, »ihnen die Gegenwart dieser Wirklichkeit in aller Deutlichkeit« nahe zu bringen (228).

Eine in der inhaltlichen Tendenz ähnliche, in der Argumentation freilich völlig andere Position vertritt Claudia Janssen in ihrer 2004 abgeschlossenen Arbeit. Auch sie sieht in V. 35 die entscheidenden Fragen: Der Blick richte sich »auf die Lebensbedingungen der Menschen, denen Paulus diese Fragen zuschreibt, und den gesellschaftlichen Kontext, in dem seine Antwort steht«; dabei gehe es um die Frage, »welche Bedeutung der Glaube an die leibliche Auferstehung für das konkrete Leben der Menschen hat, an die sich Paulus richtet« (14). J. betont, dass sie sich auf »die neue Perspektive der Paulusforschung«, auf sozialgeschichtliche, befreiungstheologische und feministische Exegese bezieht sowie auf »Arbeiten, die im Zusammenhang des christlich-jüdischen Gesprächs entstanden sind« (14). Dazu gehört offenbar auch die regelmäßig verwendete Terminologie »Erstes Testament« und »ersttestamentlich-jüdisch«, wozu dann freilich der Begriff »nachbiblisch-jüdisch« nicht recht passen will (einmal ist von der Sprache »alttestamentlicher Psalmen« die Rede, 182). Nach einleitenden Ausführungen zum Verständnis von soma und sarx in der Forschungsgeschichte (Kapitel 1: »Körpergeschichte als Thema der Theologie«, 17­82), ausgehend von der Debatte zwischen Barth und Bultmann über 1Kor 15, kommt J. zu dem Ergebnis, »dass Paulus die körperliche Existenz von Menschen nie isoliert, sondern immer in Relation zu Gott, Mitmenschen und Schöpfung betrachtet«, eine dualistische Trennung von Körper und Geist bzw. Seele gebe es bei ihm nicht (82).

In Kapitel 2, das im Zentrum des Buches steht, bietet J. eine Auslegung von 1Kor 15 (»Aufstehen ins Leben Gottes«, 83­278); ähnlich wie bei Sch. kommt auch hier der Eingangsteil V. 1­34 kaum zur Sprache (87­93), während V. 35­58 sehr detailliert interpretiert werden (93­278). Zu Recht stellt J. fest, Paulus habe es nicht mit Gegnern zu tun, sondern mit einem »Geschwisterstreit« (99); zu beachten sei aber, dass es von V. 35 an gar nicht mehr um das in V. 12 angesprochene Thema gehe, sondern um die Frage »nach dem Wie bzw. nach der Leiblichkeit der Auferstehung«. Paulus wende sich vor allem an die, »die seinen Glauben an die Auferstehung der Toten teilen«; aber er möchte auch die überzeugen, die das nicht tun (102.103). Das Stichwort »Narr« in V. 36 (s. o.) meine ein Unverständnis, »das sich auf Gott und speziell sein schöpferisches Handeln bezieht«­ die Antwort sei »allzu offensichtlich«, denn »sie lautet (mit anderen Worten): Du siehst es doch tagtäglich!« (106; später meint J., mit dieser Anrede kritisiere Paulus »eine Verzagtheit, die Gottes [neu-]schöpfendem Handeln nicht genug zutraut«, 268 f.).

Die Aussagen in V. 36­38 weisen nach J. dieselbe Tendenz auf wie Röm 6: Tod und Leben meinen »nicht ausschließlich das physiologische [!] Leben bzw. dessen Ende«, sondern Paulus richte seinen Blick »vor allem auf die Todesstrukturen des gegenwärtigen Lebens, die die Menschen und ihre Körper zerstören« (127.128). Er gebe das »eschatologische Versprechen« (M. C. de Boer), dass »der Lebensraum, in den die Glaubenden eintreten, Š auch durch den physiologischen Tod nicht begrenzt« ist (129). Eine Analogie zur paulinischen Argumentation finde sich in 2Makk 7,20 ff. (138­142).

In V. 39­41 stehe ein Lob der Schöpfung: »In umgekehrter Reihenfolge erzählt er [Paulus] den Schöpfungsbericht (Gen 1) nach: Menschen ­ Tiere ­ Gestirne« (146). Es komme ihm darauf an, die Schönheit der Schöpfung und der Geschöpfe zu preisen; deshalb sei in V. 39 sarx nicht mit »Fleisch« zu übersetzen, denn es gehe nicht um die Beschaffenheit, sondern um die Geschöpflichkeit. Folglich stehe sarx »nicht nur für den Aspekt des Körpers, der Gewalterfahrung, Verwundbarkeit, Zerstörung und das Eingebundensein in die Strukturen der Hamartia ausdrückt (so etwa in Röm 7 f.), sondern auch für den materiellen Aspekt des Körpers, der durchlässig wird für die Schönheit der Schöpfung« (176). In V. 42­44 sieht J. ganz ähnlich wie Sch. Gegenwartsaussagen: Die Präsensform egeiretai beziehe sich zwar auf die noch ausstehende Auferstehungswirklichkeit, aber letztlich verbinde Paulus Gegenwart und Zukunft miteinander: »Der Glauben an die Auferstehung der Toten erwächst aus gegenwärtigen Auferstehungserfahrungen und zugleich leben diese aus der Gewissheit der zukünftigen noch ausstehenden Auferstehung der Toten« (191). Wenn Paulus sage »gesät en phthora«, so meine er ähnlich wie in 1Kor 3,16 f., »dass Zerstörung, Gewalterfahrungen, persönliche Erniedrigung ­ das Erleiden von phthora ­ zum Alltag der Menschen gehören« (192), und dem stehe eine Sphäre gegenüber, »die von der göttlichen aphtharsia bestimmt ist« (194). Dasselbe Gegenüber zeige sich bei »gesät en atimia ­ aufgeweckt en doxe« (195 f.), wie der Vergleich mit 1Kor 4,10 ff. zeige.

Hier gewinnt man freilich den Eindruck, dass die Argumentation die Textbasis verlässt. Nach J. beschreibt Paulus in 1Kor 4,10 ff., »was es bedeutet, atimos zu sein«: »Die ðVerachtetenÐ sind gesellschaftlicher Missachtung und Misshandlungen ausgesetzt«; Paulus stelle »die ðTörichtenÐ, zu denen er sich selbst zählt, den ðVerständigenÐ gegenüber, ðunsere SchwächeÐ (hemeis astheneis) ðeurer StärkeÐ (hymeis ischyroi), ðunsere VerachtungÐ (hemeis atimoi) ðeurem RuhmÐ (hymeis endoxoi). Es wird deutlich, dass er hier den Blick von außen beschreibt, die Bewertung der Armen und Marginalisierten in Korinth durch die Mächtigen in der Gesellschaft, die ihnen Rechte versagt, sie misshandelt, ausbeutet und sie wie Abschaum behandelt« (195); Paulus stelle in 4,8 ff. »an die ðStarkenÐ in Korinth die Frage, welcher Herrschaft sie sich zuordnen wollen«, während er selbst sich zu den »Schwachen« zähle, »die von den Mächtigen verachtet werden« (197). Nun steht dies alles nicht in 1Kor 4,8­13; vielmehr stellt Paulus dort sich selbst (»wir«) der korinthischen Gemeinde (»ihr«) gegenüber, die nach ihrem eigenen Selbstverständnis über all das verfügt, was Paulus »fehlt«. Von den »Mächtigen« in der korinthischen Gesellschaft ist ebenso wenig die Rede wie davon, dass die »Marginalisierten« in der Gemeinde ausgebeutet werden. Gerade für eine »sozialgeschichtliche Exegese« ist es problematisch, wenn von allgemeinen Vermutungen über gesellschaftliche Verhältnisse ausgegangen wird und diese zur Basis von Textauslegungen gemacht werden, ohne dass die Texte entsprechende Indizien aufweisen.

Ähnliches gilt für J.s Auslegung von 15,44: Wenn Paulus vom soma rede, so wisse er »um die Missbrauchbarkeit des Körpers und der gegebenen Fähigkeiten, um das Eingebundensein in strukturelle Unrechtszusammenhänge«; die Zusage, als soma pneumatikon leben zu können, meine »kein idealistisches, lebensfernes Streben nach Ganzheit und Vollkommenheit«, denn Paulus verarbeite hier Erfahrungen von Menschen, die sich selbst »als geschundene und gequälte Körper« erleben: »Diesen geschundenen, verachteten, gequälten Körpern spricht er zu, dass sie wertvoll sind, Tempel der heiligen Geistkraft sind.« Nur wenn man diesen Zusammenhang sehe, »können die Aussagen in 1Kor 15 in ihrer gesellschaftskritischen Sprengkraft und als Einspruch dagegen wahrgenommen werden, dass Menschen gequält, erniedrigt und getötet werden« (207, ebenso 271). Sind diese Aussagen wirklich aus 1Kor 15 gewonnen worden?

Paulus wolle zeigen, »wie Auferstehung das gegenwärtige Leben verändert« (208); dementsprechend meint auch J., in V.49 sei der Konj. Aor. phoresomen zu lesen: Paulus fordere zum Tragen des Bildes Christi in der Gegenwart auf. Sie fügt hinzu, ab dem 2. Jh. würden futurische Aussagen bevorzugt, doch zeige die altkirchliche Auslegungsgeschichte, dass die präsentische Lesart (Konj. statt Futur) weit weniger strittig war, als die gegenwärtige Diskussion vermuten lasse. Die Textüberlieferung zeigt aber gerade die Bevorzugung der Lesart, die eine Forderung ausspricht, und dies passt natürlich zur ethisierenden Tendenz der Theologie der Zeit.

Auf die soziale Wirklichkeit verweise auch V. 50. Mit u dynatai konstatiere Paulus die Unfähigkeit, »gemäß der Basileia Gottes zu leben, d. h. nach der Tora zu handeln«; Paulus meine aber nicht alle Menschen, sondern die, »die nicht an den Messias Jesus glauben, nicht en Christo leben, die ei Kon des Himmlischen nicht tragen« (232.233). In V. 51 gehe es um die Zukunft; aber pantes u koimethesometha meine, »wir alle werden nicht entschlafen«, während pantes de allagesometha zu übersetzen sei: »Aber wir alle werden verändert werden«, d. h. das Geheimnis, von dem Paulus spricht, bezieht sich nicht auf eine zeitlich ferne Zukunft, sondern auf eine andere Wirklichkeit, »ein Leben ohne Tod und Sterben«, wo »der Tod besiegt ist und allen Lebensmöglichkeiten eröffnet werden: den Lebenden und den Toten« (244). Dementsprechend seien dann die Aussagen in V. 52 so zu deuten, dass sich Paulus der basileia so nahe fühle, »dass es nur eines ðAugenzwinkernsÐ bedarf, dass sie wirklich und vollendet da ist« (249). V. 54­57 sind nach J. von Röm 7,7­25 her zu lesen; das »Siegeslied« in V. 54.55 zeige, dass die Niederlage des Todes gegenwärtig wird: »Im Singen ist seine Entmachtung präsent und die Niederlage der Repräsentanten der tödlichen Macht wird offenbar. Der Gesang ist der Triumph der Machtlosen über die (noch) Mächtigen, vergleichbar dem Magnificat« (258 f.).

Dass es unangemessen ist, ein lineares Zeitverständnis in den neutestamentlichen Texten und insbesondere bei Paulus zu finden, betont J. im 3. Kapitel: »Die Sprache des Geheimnisses« (mit den Abschnitten »Eschatologie und Körper«, 283­306, und »Eschatologische Spiritualität«, 307­323). Sie schlägt stattdessen vor, von »Körper-Zeit« zu sprechen; dieser Begriff solle »das komplexe Zeit-, Raum- und Beziehungsgeschehen eschatologischer Aussagen und deren geschichtliche Perspektiven in einer auf das konkrete leibliche Leben der Menschen bezogenen Theorie zusammenfassen« (298). Wichtig seien, so betont J. mit Dorothee Sölle, eine neue Sprache und eine neue Praxis: In den paulinischen Briefen folge den Aussagen über die Auferstehung stets der Aufruf, »sich zu engagieren, gemeinsam an der Verwirklichung des Erfahrenen, des Verheißenen zu arbeiten«, und so spreche Paulus in 1Kor 15,58 der Gemeinde »den Mut zu, nicht aufzugeben, sondern sich weiterhin einzusetzen« (319). Kriterien für eine »eschatologische Existenz, die an die Überwindung des Todes und an das Leben glaubt«, seien die Zugewandtheit zur Schöpfung, die Wertschätzung alles Kreatürlichen ­ »eine Wertschätzung, die sich im Einsatz für gerechte Lebensbedingungen und Rechte für alle Menschen, Tiere und Pflanzen zeigt, getragen von dem Vertrauen auf Gott und der allgegenwärtigen Nähe der Basileia Gottes, vom Staunen über das Geheimnis und die Vielfalt des Lebens« (322).

Beide Bücher weisen bei allen Differenzen nicht nur inhaltlich, sondern auch formal einige Übereinstimmungen auf. So fällt (mir) eine ungewöhnlich häufige Verwendung der 1. Person Singular auf, wobei ich bisweilen den Eindruck habe, dass das »ich meine« o. Ä. an die Stelle einer inhaltlich begründeten Argumentation tritt. Beide Bücher nehmen 1Kor 15 nur teilweise in den Blick, und der Brief als Ganzer spielt bei Sch. gar keine, bei J. nur eine geringe Rolle. Dabei wird man 1Kor 15 kaum richtig verstehen können, wenn man die Aussagen vom übrigen Brief bzw. von den Beziehungen des Paulus zur korinthischen Gemeinde isoliert; bei J. wird dies zwar gesehen, aber die Behauptungen über die gemeindliche Situation in Korinth gehen nicht selten an der aus dem Text erkennbaren Wirklichkeit vorbei.

Es lohnt sich durchaus, 1Kor 15 neu zu lesen und auch anders zu verstehen, als dies traditionell geschieht; es ist aber nicht gut, wenn sich das Gespräch mit dem Text und mit der bisherigen Forschung gleichsam in einem Binnenkreis bewegt. Bei Sch. ist seine eigene Dissertation ein wichtiger Gesprächspartner, und das Literaturverzeichnis umfasst nur knapp fünfeinhalb Seiten; bei J. begegnet, ungeachtet des sehr viel umfangreicheren Literaturverzeichnisses, recht häufig der Hinweis, bestimmte Autorinnen bzw. Autoren hätten etwas »gezeigt«, so dass dann auf eine nähere Explikation verzichtet werden kann. Freilich enthalten beide Bücher auch Anregungen, denen weiter nachzugehen sich lohnen wird.