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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

846–848

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hübner, Hans

Titel/Untertitel:

Vetus Testamentum in Novo. Vol. 1,2: Evangelium secundum Iohannem.

Verlag:

Adiuv. A. Labahn et M. Labahn. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003. XXIV, 581 S. gr.8°. Lw. Euro 82,00. ISBN 3-525-50109-9.

Rezensent:

Ulrich Schmid

Die auf drei Bände angelegte Reihe Vetus Testamentum in Novo ist als »ein in inhaltlicher und formaler Sicht neues Nachfolgewerk« der zum Beginn des vorigen Jahrhunderts erschienen gleichnamigen Publikation von Wilhelm Dittmar gedacht (Klappentext). Der Untertitel des Dittmarschen Werkes zeigt an, dass es damals wie heute um »[d]ie alttestamentlichen Parallelen des Neuen Testaments im Wortlaut der Urtexte und der Septuaginta« geht. Der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der schon Dittmars Werk verlegte, dokumentiert so ein mehr als 100 Jahre umspannendes Interesse an diesem Produkt. Im Jahr 1997 erschien der erste Band der neuen Reihe zum Corpus Paulinum (Band 2 der Reihe).

Das hier anzuzeigende Buch ist der zweite Teil des ersten Bandes und umfasst die »alttestamentlichen Parallelen« des Joh, die auf 581 Seiten ausgeschrieben sind. Der Umstand, dass Dittmar seinerzeit Joh auf 23 Seiten abhandeln konnte, weist in der Tat auf eine deutlich veränderte Perspektive hin. Der aktuelle von H. Hübner und A. und M. Labahn verantwortete Band ist großzügiger angelegt. Das Material wird in Parallelkolumnen geboten: 1. neutestamentliche Stellen, 2. der Wortlaut der Septuaginta, 3. der Wortlaut des masoretischen Textes, 4. andere Erwähnungen. Für Dittmar waren Parallelkolumnen »in Rücksicht auf Umfang und Preis des Werkes ausgeschlossen« (Dittmar, Vorwort, III). Weiterhin sind im aktuellen Band die Texte in größerem Maße ausgeschrieben, so dass die Textzusammenhänge leichter verfolgt werden können. Schließlich werden nunmehr auch »jene Parallelen Š angeführt Š, die dem neutestamentlichen Autor bei der jeweiligen Niederschrift vielleicht oder sogar wahrscheinlich nicht vor Augen standen, die aber heutzutage in inhaltlicher Hinsicht Š hilfreich sein könnten« (H., Vorwort, XI­XII, Hervorhebung im Original). Mit dem zuletzt genannten Auswahlkriterium wächst dem Werk nicht nur Umfang, sondern auch Kommentarfunktion zu. Zu diesem Zweck ist erkenntlich auch die vierte Kolumne ausgebaut. Dort finden sich immer wieder erklärende Bemerkungen ­ jedoch in lateinischer Sprache!

Z. B.: Zu 4,24 (pneuma ho theos Š) wird bemerkt: »in VT spiritum essentiam Dei esse non dicitur, spiritus autem ut actio Dei describitur« (115); bei 2,10 (Hochzeit zu Kana) heißt es: »vini miraculum signum temporis salutis esse sicut nonnulli putant? verisimile non est«. ­ Wozu dient dieser Aufweis solider altphilologischer Schulung, zumal der Gebrauch des Lateinischen in diesem Zusammenhang gelegentlich auch Verwirrung stiftet?

Z. B. : Zu 2,10 wird Am 9,13 (LXX) zitiert und das Wort glykasmon wird dabei in Klammern mit »vinum dulce« übersetzt (oder vielmehr glossiert?). Der Sache nach geht es in Am 9,13 um »Süßmost«, d. h. frisch gekelterten und unvergorenen (Trauben)saft. Soll das auch mit kalon oinon (Joh 2,10) gemeint sein? Oder just nicht? »Vinum dulce« könnte das vergorene oder auch das unvergorene Produkt bezeichnen. Was wird hier insinuiert? Zu 10,11­15 werden lange Passagen aus Ez 34 und Jer 23 zitiert. In der vierten Kolumne heißt es dann: »Ez 34,2­10: mercenarius (sic in Vulgata pro misthotos) est pastor malus« (397). Hier könnte der nicht beabsichtigte Eindruck entstehen, als ob in der Vulgatafassung von Ez 34,2­10 das Wort mercenarius vorkommt. Dem ist jedoch nicht so.

Der Vergleich mit dem Vorgängerwerk von Dittmar enthüllt aber auch, dass nunmehr auf Material verzichtet wurde. So fehlen etwa ­ mit Ausnahme der aus NA-27 übernommenen eckigen Klammern ­ Hinweise auf Textvarianten im Joh vollständig (der Rezensent hat lediglich eine angemerkte Interpunktionsvariante zu NA-27/GNT finden können). Dies fällt insbesondere an den Stellen auf, an denen Joh ersichtlich alttestamentliche Texte zitiert, so dass unterschiedliche Textformen der vetus greaca mit Varianten von vetus in novo hätten verglichen werden können. Da es in Joh nur eine Handvoll derartiger Stellen gibt (vgl. z. B. 10,34; 19,24 und insbesondere 12,40), wäre das auch ohne großen Aufwand möglich gewesen, zumal Dittmar das Material schon gesammelt hat. Weiterhin fehlen dem vorliegenden Band Register, die möglicherweise erst nach Abschluss der weiteren Bände geplant sind. Im Moment jedenfalls können Fragen hinsichtlich der Häufigkeit bestimmter alttestamentlicher Parallelen für Joh nicht einfach beantwortet werden.

Betrachten wir nun die Präsentation des Materials, so fällt auf, dass die eingehaltenen Bearbeitungsprinzipien die Vorteile der Parallelkolumnen gelegentlich aufheben. Eine solche Situation entsteht immer dann, wenn zu einer neutestamentlichen Stelle eine ganze Reihe alttestamentlicher Stellen angeführt wird, so dass Letztere zwei oder mehr Seiten füllen, ohne dass die darauf bezogenen neutestamentlichen Passagen der ersten Kolumne entsprechend wiederholt würden. Die Entscheidung, die alttestamentlichen Parallelen in der »kanonischen« (LXX) Reihenfolge abzudrucken, hat dann nicht selten zur Folge, dass die auffälligsten Parallelen auf den folgenden Seiten abgedruckt werden und gerade nicht parallel zu stehen kommen (z. B. Joh 1,14//Jes 6,1 ff. [u. a. m.]; Joh 12,38­40//Jes 6,10; 53,1). Gekennzeichnet werden Parallelen mit Fettdruck und/oder Unterstreichungen; allerdings wird das System selbst nicht erklärt.

Die Auswahl der Parallelstellen ist naturgemäß subjektiv. H. weist in seinem Vorwort darauf ausdrücklich hin: »Es war wohl nicht zu vermeiden ­ und sollte auch gar nicht vermieden werden ­, daß meine vor dem ðVetus Testamentum in NovoÐ geschriebene ðBiblische Theologie des Neuen TestamentsÐ mit ihrer eigenen theologischen Konzeption über das Verhältnis der beiden biblischen Testamente zueinander nicht ganz ohne Einfluß auf die Auswahl der herangezogenen alttestamentlichen Stellen bleiben konnte« (XII). Im Rahmen einer solchen Rezension kann dies nicht differenziert genug und darum auch nicht sachgemäß gewürdigt werden.

Generell neigt der Rezensent der Ansicht zu, dass im Zweifelsfall lieber zu viel als zu wenig Material geboten werden kann, und insofern ist ihm die hier ausgebreitete Fülle durchaus sympathisch. Dies gilt auch dann, wenn er persönlich der Meinung ist, auf 1Kön 1,11­14 als Parallele zu Joh 12,37­40 hätte z. B. verzichtet werden können. Unverständnis hingegen überkommt den Rezensenten, wenn Dan 7,13 ff. als Parallele zu Joh 1,51; 3,13 f.; 5,27; 6,27 etc. programmatisch nicht abgedruckt wird (49: »ho hyios tu anthropu non est filius hominis in notione Dan 7,13ss, sed filius dei per quem caelum apertum est«), der besagte Text jedoch zu Joh 5,22 f. ohne Querverweis wohl erscheint. Warum muss eine exegetische Entscheidung Materialauswahl und -darbietung derartig aufdringlich dominieren?

Etwas ratlos steht der Rezensent schließlich vor der Frage, wem er das vorliegende Werk empfehlen soll. Mit Blick auf seine breitere Rezeption unter Studierenden ­ auch und gerade international gesehen ­ wären Kommentare in englischer Sprache sicher förderlicher gewesen. Die verfeinerten Suchmöglichkeiten zeitgenössischer Bibel-Software (z. B. Bible Works, Accordance) erlauben, das Material in noch größerer Fülle und mit variableren Parametern zu erschließen und flexibler miteinander in Beziehung zu setzen. Wer sich dennoch entschließt, mit diesem Werk zu arbeiten, kann sich über ein Instrument freuen, das dazu einlädt, eigene Akzente zu setzen. Denn es enthält sehr viel Material zum Thema, das zum Weiterdenken und -suchen in verschiedene Richtungen anregt, und es bietet zugleich physisch genug Raum, um die Früchte der eigenen Arbeit an Ort und Stelle zu verarbeiten.