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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

843–846

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Guttenberger, Gudrun

Titel/Untertitel:

Die Gottesvorstellung im Markusevangelium

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2004. X, 477 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft, 123. Lw. Euro 118,00. ISBN 3-11-018129-0.

Rezensent:

Eve-Marie Becker

Spätestens seit William Wredes Monographie zum »Messiasgeheimnis in den Evangelien« (1901/41969) ist die Frage nach der theologischen Exegese und Deutung der Evangelien-Schriften, besonders des Markusevangeliums, in das Blickfeld der Evangelien-Auslegung des 20. Jh.s getreten. Sie wird in der Folgezeit vor allem im Zuge redaktionsgeschichtlicher Arbeiten (W. Marxsen) fortgeführt. Den Ansatz einer explizit theologischen Interpretation des MkEv haben in jüngster Zeit z. B. die Dissertationen von M. Hauser zur »Herrschaft Gottes im Markusevangelium« (1998) und von J. Dechow zum Theozentrismus des Markusevangeliums (»Gottessohn und Herrschaft Gottes«, 2000) einerseits sowie im Kontext der Konzeption einer »Theologie des Neuen Testaments« zuletzt Ferdinand Hahn (2002/ 22005, Bd. 1, bes. 488 ff.) andererseits aufgenommen.

Die hier zu besprechende Arbeit bewegt sich hermeneutisch und methodisch in diesem forschungsgeschichtlichen Umfeld. Es handelt sich um eine im Sommersemester 2003 am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Mainz eingereichte Habilitationsschrift, die durch Friedrich Wilhelm Horn betreut wurde. Die Arbeit versteht sich in erster Linie als eine ðtheologischeÐ Untersuchung im engeren Sinne: Denn sie bewegt sich im Umkreis der Gottes-Lehre, indem sie nach »der Gottesvorstellung im Markusevangelium und damit zugleich nach einer Einheit und Zusammenhang ermöglichenden und erfordernden Größe für die Identität der markinischen Gemeinde und ihrer Mitglieder« (3) fragt. Der Begriff der ðGottesvorstellungÐ wird dabei nicht philosophisch oder dogmatisch, sondern als ðreligiöse GrößeÐ gefasst. Er soll die »Bedeutung von sprachlichen Bildern und narrativen Strukturen für die Religion« berücksichtigen (4). Unklar bleibt allerdings die theoretische Fundierung des Begriffs der ðGottesvorstellungÐ, auch wenn G. das methodische Vorgehen ausführlich darzulegen sucht (22­39): Sie zielt auf eine Analyse von ðTextbestand und LeserlenkungÐ (23 f.), wählt die ðTheologie und Religion des Alten TestamentsÐ als traditionsgeschichtlichen Hintergrund (25 ff.) und fasst die Begriffspaare ðNähe und DistanzÐ, ðMonotheismus und ChristologieÐ, ðPartikularismus und UniversalismusÐ als ðkognitive InhalteÐ der Gottesvorstellung, d. h. als Kategorien der Gotteslehre (24 f.).

Die Rezensentin erlaubt sich im Blick auf die terminologische Unschärfe hier weiterzudenken: Beim Begriff der ðGottesvorstellungÐ scheint es sich nicht um einen einschlägigen Terminus, also einen terminus technicus (religions-)philosophischer, dogmatischer oder religionswissenschaftlicher ðGottes-LehreÐ, sondern eher um eine umgangssprachliche Wendung zu handeln. Dies scheint unbeschadet der Begriffsverwendung in religionswissenschaftlichen Bestimmungen des Gottes-Begriffs (vgl. H. Zinser, RGG, 4. Aufl., Bd. 3, 1098 ff.) zu gelten. Im Blick auf die Erhebung der philosophisch sicher kaum zu systematisierenden theologischen ðVorstellungsweltÐ des Evangelisten und seiner Adressaten könnte nun gerade hierin, nämlich in der terminologischen Indifferenz, der heuristische Wert des Begriffs liegen. Hierzu hätte sich die Rezensentin vertiefende Überlegungen, zumindest eine terminologische oder methodologische Auseinandersetzung mit B. Gladigow (Art. Gottesvorstellungen, HRWG 3, 32 ff.) gewünscht: Der rein disziplinenintern gesuchte Rekurs auf neuere explizit theologische Untersuchungen zum MkEv (16­21) könnte durchaus gewinnbringend um eine Begriffsklärung aus Sicht der Philosophie, der Systematik und der Religionswissenschaft erweitert werden. Zumindest wäre ggf. eine Abgrenzung des Begriffs von den einschlägigen termini technici der religionsphilosophischen etc. Gottes-Lehre hilfreich.

Das ­ sicher zu Recht ­ von G. bemängelte Defizit an theologischer neutestamentlicher Forschung (5) und der in dieser Arbeit propagierte instruktive exegetisch-theologische Ansatz regen nun zu einer knappen Sichtung und Auswertung des oben genannten forschungsgeschichtlichen Umfelds an. Und das umso mehr, obwohl oder weil G. selbst ­ in ihrem knapp 100-seitigen Literaturverzeichnis ­ auf Hauser und Hahn nicht hinweist und im forschungsgeschichtlichen Teil (4­22) keine Auseinandersetzung mit Wrede sucht.

Eine vergleichende Zusammenschau zeigt nun, dass Ansatz, Begründung und methodische Durchführung einer theologischen Deutung und Interpretation des MkEv bei den genannten Forschern jeweils äußerst verschieden gewählt sind und vorgenommen werden: Wrede wählt einen religionsgeschichtlich motivierten Ansatz, wenn für ihn die Frage, ob sich Jesus als Messias verstanden und ausgegeben habe, im Vordergrund seiner Überlegungen steht. Hauser geht wesentlich begriffsgeschichtlich vor, indem er das Syntagma der
basileia tu theu untersucht und als ðRede von GottÐ in den Mittelpunkt der Evangeliendarstellung rückt. Während Hahn im Sinne der historisch-kritischen Exegese den für eine Theologie des Neuen Testaments relevanten Propositionalgehalt des MkEv wesentlich aus der redaktionsgeschichtlichen Leistung des Evangelisten herleitet, grenzt sich Dechow vom redaktionsgeschichtlichen Paradigma ab und wendet sich einer programmatisch synchronen Betrachtungsweise zu: Das MkEv soll aus sich selbst heraus zu verstehen sein.

Demgegenüber sucht G. nach einer Verknüpfung synchroner und diachroner Fragestellungen (35). Das bedeutet u. a.: Tradition und Redaktion der zu untersuchenden Texte werden geschieden ­ dies geschieht z. B. bei der Analyse von Mk 2,23­28 (126 f.); nicht nur die Aussageabsicht des Verfassers, sondern auch die historische Situation der »ersten Rezeption« (36) soll dabei in den Blick genommen werden. In der Stärke dieses Ansatzes, nämlich dem Versuch methodischer Vermittlung, liegt allerdings auch seine mögliche Gefahr: Denn ðeinleitungswissenschaftliche ArbeitshypothesenÐ müssen im Wesentlichen vorausgesetzt werden (39 ff.), ohne ihrerseits dann im exegetischen Teil der Arbeit (49­332) im Einzelnen hinterfragt werden zu können. Hier schließt sich eine Anfrage an: G. nimmt ­ zumindest für Mk 4 und 13 ­ schriftliche Quellen an (47 f.). Selbst wenn die markinischen Quellen auf diese beiden Kapitel beschränkt bleiben sollten, müsste schon in Frage stehen, ob tatsächlich mit der, d. h. einer, Gottesvorstellung im MkEv zu rechnen ist oder ob sich der markinische Adressatenkreis nicht vielmehr mit mehreren, unter Umständen auch diversifizierten Gottesvorstellungen konfrontiert sieht. G. hingegen zielt darauf, einen »Kohärenz erkennbar machenden Rahmen« (3), also eine ðeinheitlicheÐ Gottesvorstellung innerhalb des Evangeliums zu erschließen und darzustellen. Allein diese Problemanzeige macht deutlich, dass die in der Geschichte der Markus-Forschung begegnende Schwierigkeit einer Vermittlung synchroner und diachroner, historischer und theologischer Zugangsweisen nach wie vor ungelöst und vielleicht sogar prinzipiell unlösbar ist.

G. konstatiert zwar, »dass die Gottesvorstellung kein explizites Thema des Evangeliums ist« (4). Im exegetischen Teil der Arbeit werden dann jedoch die Texte des MkEv analysiert, »in denen die Gottesvorstellung ausdrücklich thematisiert wird« (32). Die Inkonsistenz dieser Bewertung rührt von der oben schon erwähnten begrifflichen Unschärfe her. Die sorgfältigen exegetischen Analysen sind auf die Kategorien des Handelns Gottes hin angeordnet. Sie werden zu folgenden Texten erstellt: z. B. Mk 1,1­15 und Kapitel 13 im Blick auf »Gott als der Herr der Geschichte« (49­116); z. B. Mk 2,23 ff., Kapitel 7 und 12,1­12 im Blick auf »Gott als Gesetzgeber« (117­182); z. B. Mk 10,17 ff. im Blick auf »Macht und Allmacht Gottes« (183­217) und Mk 1,12 f.; 3,22 ff. im Blick auf »Gott und das Böse« (218­287).

Im 6. Kapitel des Buchs widmet sich G. der Verhältnisbestimmung von Monotheismus und Christologie (288­332): Sie geht dabei vom Konflikt über den Vorwurf der Gotteslästerung (Mk 2,7) aus (288 ff.), nimmt Mk 12,13­34 als möglichen Traktat de deo uno in den Blick (307 ff.) und begreift einzelne Aspekte des Messiasgeheimnisses (313 ff.) ­ vor allem die Schweigegebote ­ als markinische »Vorsichtsmaßnahme Š, durch die er Jesus davor schützt, der Verletzung des Ersten Gebotes und der Verführung dazu angeklagt zu werden« (331).

G. legt mit dieser Monographie in einer ­ wie F. Vouga im Nachwort zu M. Hauser beklagt ­ zuweilen auch »langweilig gewordenen Situation der Forschung« einen instruktiven Beitrag zur Markus-Exegese und zu einer möglichen Konzeption einer Theologie des Neuen Testaments im Spannungsfeld von Diachronie und Synchronie sowie Theologie und Religion vor. Die Rezensentin hofft ­ und die soeben gestellten Fragen mögen ein erster Anstoß dazu sein ­, dass diese Monographie eine neue Diskussion über die hermeneutischen, methodischen und theologischen Voraussetzungen und Erträge einer theologie-geleiteten Evangelienxxegese eröffnet.