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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

840–843

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zakovitch, Yair

Titel/Untertitel:

Das Hohelied. Ausgelegt v. Y. Zakovitch.

Verlag:

Aus d. Hebr. übers. v. D. Mach. Freiburg-Basel-Wien: Herder 2004. 295 S. gr.8° = Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament. Lw. Euro 58,00. ISBN 3-451-26830-2.

Rezensent:

Rüdiger Bartelmus

Der vom Herder-Verlag in gewohnter Qualität ausgestattete Band bietet ­ nicht anders als etwa die beiden Bände M. Greenbergs zum Ezechielbuch in der gleichen Reihe ­ keine Neukommentierung des Hohenlieds. Er basiert vielmehr auf einem 1992 in der Reihe »Mikra le-Yisra¹el« in Israel erschienenen Kommentar, wurde aber auf Drängen des Herausgebers gegenüber dem Original auf den doppelten Umfang gebracht.

Eine ausführliche Darstellung des Inhalts des Buches erübrigt sich im Blick auf die »Kommentierung« (108­285), würde doch allein die Aufzählung der 32 Überschriften des in eine Überschrift, 27 Lieder und vier Fragmente aufgeteilten Textes des Hohenlieds mehr Raum einnehmen als dem Rezensenten zugestanden worden ist. Theologisch interessierte Leser seien immerhin darauf verwiesen, dass die in der Verlagswerbung im Internet artikulierten Versprechen ­ »HThKAT kegt [sic!] seine [sic!] Schwerpunkt nicht auf die historisch-kritische Analyse oder die Einzelsemantik, sondern auf die Herausarbeitung der Makrostrukturen des Endtextes und dessen theologische [und kanonische] Interpretation« ­ bei diesem Band nicht eingelöst werden. Ganz im Gegenteil: Oft werden zur Deutung von einzelnen Worten oder Sätzen entlegene Quellen herangezogen, so z. B. zu Hld 2,6 der (im Literaturverzeichnis nicht aufgelistete) »Kommentar Aqedat Jizchaq«: »Š das ist annähernd die liegende Position; daran ist zu erkennen, daß sich der Geliebte neben seine Freundin auf den Diwan gelegt hat« (144). Insofern wird zwar die »jüdische Auslegungstradition« aufgenommen, aber »der kanonische Endtext« ganz bestimmt nicht »als Gotteswort gelesen«.

Ausführlicher zu besprechen ist der erste Teil des Buches, der in ein »Vorwort des Herausgebers« (9­10), »Literaturverzeichnis« (11­27) und eine »Einleitung« (30­106) gegliedert ist, die ihrerseits wiederum in 36 Kapitel unterteilt ist. Dabei muss der Schwerpunkt naturgemäß beim Proprium des Vf.s liegen ­ gespiegelt freilich in dem Anspruch, der durch das Vorwort des Herausgebers gegenüber der allgemeinen Verlagswerbung noch einmal gesteigert ist: »Dieser Kommentar ist in mehrfacher Hinsicht eine Bereicherung für die Hohelied-Exegese: Er charakterisiert in seiner ausführlichen Einleitung detailliert das sprachliche, kulturelle, überlieferungsgeschichtliche und theologische Profil der Einzellieder und ihrer Aneinanderreihung im Hohenlied. Er situiert die erotische Metaphorik dieser biblischen Liebesdichtung nicht nur in ihrer ägyptischen, mesopotamischen und hellenistischen Umwelt, sondern zeigt zugleich, wie stark diese Lieder in der biblischen Tradition selbst verwurzelt sind. Š Dass Yair Zakovitch auf Grund seiner judaistischen Kompetenz bei der Auslegung den reichen Schatz der jüdischen Hohelied-Kommentierung mit einbezieht, macht den Kommentar besonders kostbar«.

Diese Darstellung bzw. Qualifikation wirkt angesichts des Gebotenen nicht nur übertrieben, sondern nachgeradezu peinlich. Das sei an vier Aspekten verdeutlicht:

1) Man mag zur Konzeption der ganzen Kommentarreihe stehen, wie man will ­ aus der Sicht des Rezensenten entspricht sie theologisch in etwa dem, was in der Mathematik mit dem Bild der Quadratur des Zirkels umschrieben wird ­, aber dass der vorliegende Kommentar auch nur in Andeutungen das einlöst, was der Herausgeber (?) im Werbetext formuliert hat, ist nicht zu erkennen: »Das Kommentarwerk nimmt als hermeneutisch relevante Tatsache ernst, dass das Alte Testament als Heilige Schrift Israels entstand und auch nach der Entstehung des Christentums die Heilige Schrift Israels bleibt. Andererseits muss eine Auslegung im Horizont des Christentums herausarbeiten, dass und wie ein Text Teil des christlichen Bibelkanons ist und insofern in einer bestimmten Beziehung zum Neuen Testament steht«.

Dass das Versprechen im Kommentar selbst nicht eingelöst werden kann, weil der Vf. ­ nicht anders als die meisten neueren Kommentatoren ­ das Hohelied als Sammlung von säkularen Liebesliedern interpretiert, ist klar. (Immerhin wäre es möglich gewesen, bei den »Väterzitaten« zur Worterklärung gelegentlich auch christliche Autoren zu Wort kommen zu lassen.) Aber dort, wo in der »Einleitung« die theologische Rezeption diskutiert wird ­ die einschlägigen Kapitel tragen die Überschriften: »Kanonisierung«, »Wörtliches Verständnis von Hld in der rabbinischen Literatur«, »Die Voraussetzungen für die allegorische Deutung«, »Die allegorische Deutung von Hld« (91­101) ­ würde man mehr als nur eine halbe Seite mit dem Verweis auf Joh 3,28 f. und einige wenige Kirchenväter erwarten (101). Der »jüdische Kommentar« ­ so der (ehrliche) Titel des (ungleich besseren) Rut-Kommentars des gleichen Autors in SBS 177 ­ hat seinen ursprünglichen Charakter durch die Umarbeitung für HThKAT nicht verloren und insofern in einer Reihe mit dem zitierten Anspruch eigentlich nichts verloren. Aber das ist letztlich nur ein Problem, das Herausgeber bzw. Verlag dem durch die Werbung irregeleiteten Leser gegenüber zu vertreten haben: Als »jüdischer Kommentar« ausgewiesen, der ­ nicht anders als F. Delitzsch vor mehr als 100 Jahren ­ die jüdische Tradition einem breiteren Publikum zugänglich macht, könnte das Buch eine »Bereicherung für die Hohelied-Exegese« sein. Nur: Es weist noch drei weitere gravierende Mängel auf, die man in einem »exegetischen« Werk, das u. a. von Studierenden gelesen wird, die unter Einbeziehung von Kommentaren wissenschaftliche Arbeiten schreiben sollen, nicht lesen möchte.

2) Die in dem Kommentar verwendete Umschrift widerspricht nicht nur jedem wissenschaftlichem Comment, die Begründung, die der Herausgeber für sie gibt, ist schlicht hanebüchen: »Weil das Hld als poetisches Kunstwerk auch mit dem Klang der hebräischen Wörter arbeitet und weil der Kommentar immer wieder darauf hinweist, haben wir eine einfache Umschrift für das Hebräische gewählt, die sich an der Aussprache des modernen Hebräisch (Ivrit) orientiert. Damit können Leserinnen und Leser, die keine Hebräisch-Kenntnisse haben, das im Hld eingesetzte Spiel mit dem Klang der hebräischen Wörter nachvollziehen«. Dass das ­ sprachwissenschaftlich gesehen ­ schlichter Unsinn ist, weiß jeder Student am Ende des ersten Semesters: Uns fehlen nicht nur Informationen über die Aussprache des Hebräischen in der Antike, wir wissen auch, dass die Masoreten die Texte entsprechend ihrer vom Aramäischen und Mittelhebräischen her beeinflussten Sprachgewohnheit vokalisiert haben, und überdies ist sich nicht einmal die nach-masoretische Tradition (Sephardim vs. Aschkenasim) in der Lesung der Texte einig. Wie kann man da mit dem »Klang hebräischer Wörter« argumentieren, zumal das im 19. Jh. neu geschaffene Ivrit noch einmal andere Laute voraussetzt? Um die Einrede zu konkretisieren: Wenn z. B. auf S. 122 die »Umschrift« ejcha für ¹jkh erscheint bzw. wenn eine Seite danach von einer »hebräischen Wurzel ajin-tet-jod« die Rede ist ­ in wissenschaftlichen Lexika steht das entsprechende Wort unter ¹th und wäre demzufolge ^-.t-h zu transliterieren ­, dann verschlägt es nicht nur jedem sprachwissenschaftlich halbwegs Gebildeten die Sprache, dann steht man auch als Leser ohne Hebräisch-Kenntnisse ratlos da: Soll man Letzteres so aussprechen, wie es dasteht?

3) Völlig außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses der Gegenwart bewegt sich der Kommentar auch in dem Bereich, den der Herausgeber euphemistisch mit den Worten umschreibt, dass der Vf. zeige, wie »stark diese Lieder in der biblischen Tradition selbst verwurzelt sind«, und den man neudeutsch mit »Intertextualität« umschreibt. (Einschlägig sind hier die Kapitel XI­XIII; 46­61 und die entsprechenden Wiederholungen im Kommentar selbst.) Computer bieten zweifellos viele Möglichkeiten, schnell alle Verwendungen eines Lexems quer durch die Bibel zu identifizieren, und diesen Umstand scheint der Vf. bei der ­ erbetenen ­ Erweiterung seines Kommentars reichlich genutzt zu haben. Aber den entsprechenden Befund unreflektiert 1:1 so umzusetzen, dass man etwa die (an ihren Schwänzen zusammengebundenen) Füchse, die Simson in die Felder der Philister treibt, mit Hld 2,15 zusammenbringt (158 und mehrfach in der Einleitung), sprengt den Rahmen jeder sinnvollen Exegese. (Dass der Vf. den Begriff »Schwanz« vulgärsprachlich weitergedacht haben sollte, will der Rezensent zu Gunsten des Vf.s nicht annehmen, zumal auch dann die unterstellte Analogie in keiner Weise aufgeht).

Abschließend nur noch zwei (von vielen) solchen indiskutablen Analogien: In Ps 19 wird die Sonne mit einem »Bräutigam« verglichen: »Dieser Vers weist tatsächlich eine gewisse Nähe zur biblischen Liebesdichtung auf. In Hld wird allerdings die geliebte Frau mit der Sonne verglichen: ðWer ist die, zu erschauen wie die Morgenröte/schön wie der Mond, lauter wie die SonneÐ (6,10)« (50 f., ähnlich 233). Noch absurder ist die Unterstellung eines intertextuellen Bezugs zwischen den Traumliedern in Hld (3,1­5; 5,2­8) und Jes 23,15 f., wo der Vf. die »Gattung« »Hurenlied« realisiert findet (auch wenn dort keine einzige Silbe eines solchen Lieds identifizierbar ist). Auslöser des Vergleichs ist das nächtliche Herumgehen in der Stadt, das die Wächter so interpretieren, dass sie die Geliebte für eine Hure halten (51): Grund genug, auch noch Spr 5,3 als Hintergrund zu benennen und von da ­ gewissermaßen ohne geistigen Punkt und Komma­ über Hld 4,11 nach Spr 5,15 f. und von dort nach Hld 4,12.15 (Stichwort »Quelle«) zu springen, um den Abschnitt mit einem Vergleich von Hld 5,1 und Spr 5,19 zu beenden, »enthält« diese Stelle doch »zwei in Hld sehr verbreitete Motive: die Gazelle und die Brüste« (52).

4) Dass der Abschnitt »Frauenlyrik« (43­46) dem Drängen nach Erweiterung des Kommentars zu verdanken ist, würde man zu Gunsten des Vf.s. gern annehmen: Ausführungen zu Themen wie: »Im Schatten der Männer«, »Geburt von Frauen«, »Tod und Begräbnis von Frauen«, »Biblische Frauenbücher«, »Unterordnung der Frau unter den Mann«, »Verdrängung von Frauentraditionen« haben nun einmal wenig mit dem Hld zu tun. Der Vf. steht aber offenbar voll hinter diesem Abschnitt, der in folgender Eisegese zu Gen 2/3 und Hld kulminiert: »Im (neuen) Paradies der Liebesdichtung herrschen ideale Verhältnisse: Es gibt weder Scham noch Verbote oder Schuld. Die Geliebte, die sich im Garten befindet und gleichzeitig der Garten ist, lädt ihren Geliebten zu sich ein, was keine Verführung zum Bösen ist (dazu bes. 4,12­5,1)«. Dass es in Gen 2/3 nun gerade nicht darum geht, dass die Frau den Mann sexuell verführt, ist im Eifer der (computergestützten?) Entdeckerfreude übersehen worden ­ gibt es doch immerhin Lexemidentitäten wie »Garten« bzw. »Verlangen« Š