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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

838–840

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Leuenberger, Martin

Titel/Untertitel:

Konzeptionen des Königtums Gottes im Psalter. Untersuchungen zu Komposition und Redaktion der theokratischen Bücher IV­V im Psalter.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2004. X, 466 S. m. Abb. u. Tab. gr.8° = Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments, 83. Geb. Euro 40,00. ISBN 3-290-17274-0.

Rezensent:

Martin Rösel

Die anzuzeigende Zürcher Dissertation aus dem Jahre 2003 wurde von O. H. Steck angestoßen und dann von Thomas Krüger und Konrad Schmid betreut. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Kompositionsmechanismen aufzuklären, die zur gegenwärtigen Form des 4. und 5. Psalmbuches und damit zum Gesamtpsalter führten. In der aktuellen Forschungssituation, die sich von der Psalmen- zur Psalterexegese entwickelt hat, wird damit zu einem der schwierigsten Gebiete eine profilierte These vorgelegt.

Die Arbeit ist in vier große Teile gegliedert: Unter »A Einführung« werden auf S. 1­68 die Thematik entfaltet und die methodischen Grundlagen geklärt. Dabei sollen die Fragen nach der Konzeption der Bücher mit denen der Redaktionskritik verbunden werden (28), wodurch freilich ein extrem vielschichtiges Modell entsteht (vgl. die Aufgabenstellung, 39): Die vorliegende Komposition des Psalters (bzw. der fraglichen Teilsammlung) und die Genese der Einzeltexte mitsamt den verbindenden Redaktionsstufen sind zu rekonstruieren und zu

Als konkrete Aufgaben der Untersuchung werden dann zwei Leitthesen entwickelt (67 f.): a) Die Endkomposition der Psalmbücher IV und V (und damit die des Gesamtpsalters) entfaltet eine umfassende malkut JHWH-Konzeption, die ihrerseits b) die Entstehung der Psalmbücher IV und V motiviert und dominiert hat, womit eine Bewegung von der Idee des Königtums Davids in den ersten drei Psalmbüchern zu dem JHWHs in den hinteren beiden entsteht.

Teil »B Die theokratischen Psalmenbücher IV­V im masoretischen Psalter« (69­123) führt zunächst in die Forschungslage zur über die Schlussdoxologien erhobenen Fünfteilung des Psalters ein, wobei zwischen Ps 2­89* als »königskonzeptionell-messianischem Psalter« und den »theokratischen Psalmbüchern IV f.« ein klarer Einschnitt gesehen wird (91 f.). Ersterer war einst literarisch selbständig, Letztere wurden dann mehrstufig zur Erweiterung und konzeptionellen Neuausrichtung ausgebildet. Darauf folgt eine »Ablauflesung« der Psalmbücher I­III, eine gute Darstellung zur Komposition dieser Bücher. Fraglich ist allerdings, ob die so sehr herausgestrichene kompositionelle Funktion der Königskonzeption wirklich gegeben ist. Einzelne Elemente werden m. E. zu hoch bewertet, andere (wie etwa die weisheitlich geprägten Texte 37, 49, 73 oder Klagelieder der Einzelnen) bleiben m. E. unterbelichtet.

Teil C (125­264) wendet sich dann dem Text des 4. Psalmbuches zu. Hier wird die Konzeption der Teilsammlung nachvollzogen, die sich vom »großpolitisch orientierten JHWH malak über das in priesterlichen Kategorien gefasste Königtum JHWHs bis zur integrativ-elementaren malkut JHWH« (so der Titel des Kapitels) entwickelt habe. L. wendet dabei das eingangs entwickelte mehrstufige methodische Verfahren an: Auf Analyse und Literarkritik des Einzelpsalms folgen Kompositions- und Redaktionskritik der kleineren Sammlungen, dann des Buches. Der Abschnitt wird in drei Teilkompositionen gegliedert (90­92; 93­100; 101­106), wobei 93­100 den eigentlichen Kern bilden, der zeitgleich (oder später) mit dessen formativer Redaktionsstufe um 90­92 nach vorne und später nach hinten um 101­106 erweitert wurde.

Die Psalmen 90­92 werden dabei als »Overtüre« bezeichnet, was mir eher eine Verlegenheitsaussage zu sein scheint, da sich in diesen Texten wenig von der klassischen Vorstellung des Königtums Gottes feststellen lässt ­ will man nicht das Konzept so aufweiten, dass es zum allgemeinen Platzhalter wird.

Auch Ps 94 sperrt sich dagegen, in das enge kompositionelle Korsett der Königsvorstellung gepresst zu werden. Interessant ist auch der Umgang mit Ps 97, dem Zentralpsalm der Komposition. Hier werden eine mündliche und vier schriftliche Entwicklungsstufen gesehen (155­160), obwohl es auch gute Gründe für literarische Einheitlichkeit zumindest von V. 1­9 gibt (etwa mit Hossfeld-Zenger). Ps 99 wird demgegenüber als literarisch einheitlich bewertet, was wohl aus einem gewissen Systemzwang der Kompositionsanalyse herrührt, da der Psalm als zusammenfassende Weiterentwicklung der älteren JHWH-König-Komposition aus 96­98* verstanden wird (167). Bei Gültigkeit der in der Exegese von Ps 97 verwendeten Argumente müsste aber auch Ps 99 als geschichtet angesehen werden. So entsteht beim Lesen der Eindruck, dass der Systemzwang der Kompositionskritik und ihrer Leitthese auch die Herrschaft über die Redaktionskritik übernimmt.

Schließlich kann auch die Übernahme der klassischen Bucheinteilung des Psalters hinterfragt werden, da z. B. Pss 105, 106, 107 und 118 über den ähnlichen Beginn zusammengebunden sind.

In Teil D wird dann in vergleichbarer Weise das 5. Psalmbuch untersucht; hier lasse sich eine Entwicklung »vom universal-elementaren Königtum JHWHs zur universal-elementaren malkut JHWH« feststellen (265­389). In diesem Teil des Psalters finden sich einige ursprünglich eigenständige Sammlungen, die zu integrieren waren, etwa die Wallfahrtslieder 120­134, dann aber auch wichtige Einzeltexte wie besonders Ps 119 oder 137, was das Nachzeichnen der umfassenden Kompositionsprinzipien erschwert. L. geht davon aus, dass es drei aufeinander folgende Großkompositionen gegeben hat, zunächst 107­118, daran anschließend 118­136 und schließlich 136­150, die dann psalterübergreifend auch für Ps 1 und 2 auszumachen ist: Die malkut JHWH-Vorstellung sei der kompositionelle und konzeptionelle Leithorizont der Psalmbücher IV­V und über die Makroinklusionen 1 f./146 f. des gesamten Psalters (387).

Ein kurzer Abschnitt »E Rückblick und Ausblick« (391­399) bündelt knapp die Ergebnisse und weitet den Blick auf die basileia-Vorstellung des Neuen Testaments, um die biblisch-theologische Bedeutung der Thematik zu unterstreichen. Es folgen Literaturverzeichnis und Stellenregister.

Die Arbeit ist sehr sorgfältig und gründlich gearbeitet, eine immense Literaturmenge wurde verarbeitet. In den Fußnoten finden sich häufig wichtige Diskussionen zu Detailproblemen, vgl. auch S. 222­227, wo eine lesenswerte Darstellung der JHWH-Königs-Vorstellungen steht. Das Lesen der Arbeit wird aber durch die Liebe L.s zu Klammerbemerkungen und Parenthesen erschwert. So finden sich etwa S. 139 in einem einzigen Satz vier eingeschobene Seitengedanken! Auch häufig begegnende Formulierungen wie »ein Stück weit ähnlich« (266, vgl. 267) verunklaren den Sinn des Gemeinten. Ansonsten ist die Arbeit sorgfältig gesetzt; eine Fülle von Übersichten erleichtert das Nachvollziehen der oft komplexen redaktionsgeschichtlichen Entwicklungen.

Angesichts der besonderen Schwierigkeiten, die die hinteren Teile des Psalters bieten, wird eine Arbeit wie diese nicht in allen Teilen auf Zustimmung hoffen können (vgl. 228 f.: »Sicherheit Š gibt es selbstverständlich nicht«). Zwar kann man der besonderen Bedeutung der Königtum-Gottes-Vorstellung in diesem Buchteil nicht widersprechen. Fraglich ist aber, ob sie tatsächlich in der Weise die Komposition geprägt hat, wie es L. annimmt. Bereits die für die These einer Gesamtbewegung nötige Annahme, dass die Psalmbücher I­III durch die Königskonzeption geprägt seien, wird der Vielfalt der Stoffe (insbesondere in Buch III) nicht gerecht. Immerhin wird dies S. 120 konzediert, doch wird diese These im Folgenden dennoch als gültig vorausgesetzt. Auch bei den Büchern IV und V sperren sich zu viele wichtige Einzeltexte (etwa die Davidspsalmen) gegen die Einordnung in das von L. gekennzeichnete Konzept.

Demgegenüber zeigt ­ hier setzt die prinzipielle Kritik ein ­ gerade die in Qumran gegebene Vielfalt möglicher Psalmenanordnungen der Bücher IV und V, dass L.s Annahme eines einheitlich-langfristigen, stabilisierenden Prozesses nicht überzeugt. Die einschlägige Arbeit von U. Dahmen (Psalmen- und Psaltertext im Frühjudentum, STDJ 49, 2003) findet sich zwar im Literaturverzeichnis, wurde aber in der Arbeit selbst nicht rezipiert, wie überhaupt das durch die Qumrantexte gegebene Problem merkwürdig ausgeblendet bleibt. Doch gerade diese Texte legen m. E. nicht das Modell einer ununterbrochenen Fortschreibung der späteren Psalmbücher nahe, sondern die Existenz mehrerer, unterschiedlicher Tendenzen, die zu eigenständigen Sammlungen führten. Doch selbst wenn die These letztlich nicht überzeugt, beeindruckt hat mich diese Arbeit allemal.