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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

833–835

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Koenen, Klaus

Titel/Untertitel:

Bethel. Geschichte, Kult und Theologie.

Verlag:

Freiburg (Schweiz): Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003. X, 251 S. m. Abb. gr.8° = Orbis Biblicus et Orientalis, 192. Geb. Euro 53,00. ISBN 3-7278-1432-2 (Universitätsverlag); 3-525-53049-X (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Rainer Kessler

Die Bedeutung Bethels in der alttestamentlichen Literatur hat in jüngster Zeit in der deutschsprachigen Forschung zunehmende Aufmerksamkeit gefunden. 1999 erschien die Studie von Henrik Pfeiffer über »Das Heiligtum von Bethel im Spiegel des Hoseabuches« (FRLANT 183). Im Jahr 2005 wurde in Göttingen Melanie Köhlmoos mit einer Arbeit über die alttestamentlichen Betheltexte habilitiert. Zeitlich dazwischen angesiedelt ist die vorzustellende Arbeit des Kölner Alttestamentlers. Sie beschränkt sich nicht auf innerliterarische Fragen, sondern unternimmt den Versuch, das Phänomen Bethel umfassend historisch und archäologisch einzuordnen, um so allererst das Fundament zu legen, auf dem literarhistorische Theorien aufsitzen können.

So sind die ersten beiden Hauptkapitel ganz den topographischen und historischen Fragen gewidmet. Zunächst begründet K. gegen zumeist theologisch motivierte andere Vorschläge von der Antike bis zu Gegenwart die Lokalisierung des antiken Bethel im heutigen palästinensischen Be-tž-n, knapp 20 km nördlich von Jerusalem gelegen. Für die Rekonstruktion der Geschichte des Ortes stützt K. sich sowohl auf archäologische als auch biblische Quellen. Dem Einwand, dass sich bei Letzteren »ihre Enstehungszeit meist nur mehr oder weniger hypothetisch feststellen lässt«, hält er den Hinweis entgegen, dass »das jedoch auch für die meisten archäologisch erschlossenen Quellen Š gilt« (27). So ergibt sich das folgende Bild: Die Besiedlung der Mittel- und Spätbronzezeit endet mit »einer gewaltigen Zerstörung« (32). In EZ I findet sich in Bethel »eines der für die Zeit typischen kleinen Dörfer« (36). In EZ II ist zwar kaum mit der biblischen Sicht davon auszugehen, »daß Š das Dorf zu einer bedeutenden Stadt aufblühte« (38). Dennoch vermutet K., dass »Jerobeam die Tempel von Bethel und Dan Š zu königlichen Heiligtümern erhoben« hat (43). Von den Assyrern wird dann das Kultbild geraubt, der Tempel aber bleibt bis Joschija in Funktion. Für die Folgezeit gilt, »daß Bethel nach den archäologischen Quellen in exilischer und persischer Zeit als Stadt oder nennenswerte Siedlung nicht nachgewiesen ist« (62); gleichwohl dürfte der Ort bewohnt gewesen sein. Erst in »hellenistischer und römischer Zeit gewann Bethel wieder an Bedeutung« (64).

Im Folgenden wendet K. sich der Bedeutung Bethels für die biblische Literatur zu. Nach Durchsicht einiger Thesen, die verschiedene Textkomplexe in Bethel entstanden wissen wollen (E, die »Bethel-Interpretation« in Amos, DtrG, P, Asafpsalmen, Ps 20), resümiert K.: »Die Möglichkeit, daß einige Texte des Alten Testaments in Bethel entstanden sind, läßt sich also kaum bestreiten. Das Problem liegt jedoch darin, diese Herkunft für einzelne Texte nachzuweisen« (79).

Es folgen die beiden gewichtigsten Kapitel des Buches, in denen K. Kult und Theologie von Bethel zu rekonstruieren versucht. Was den Kult angeht, fällt K.s Urteil knapp und klar aus: »Ursprünglich wurde in Bethel der Gott El verehrt« (92). »Während der Königszeit wurde in Bethel nicht mehr El, sondern der mit diesem identifizierte Jahwe verehrt« (93). Dass »neben oder vielleicht sogar mit Jahwe die Göttin Aschera verehrt wurde«, hält K. für möglich; »sicher belegen läßt sich dies jedoch nicht« (94). Großes Gewicht legt er sodann auf den Nachweis, dass das Stierbild in Bethel kein Tragtier ist, sondern »die sichtbare Gestalt des unsichtbaren Gottes« (110). Als solches symbolisiert es nicht, wie oft behauptet, Fruchtbarkeit, sondern vielmehr die wirkkräftig helfende Macht des Gottes. Neben dem Stierbild ist in Bethel eine Mazzebe zu vermuten, über die wir allerdings »sehr wenig« wissen. »Sie galt wie das Stierbild als Symbol der Gegenwart Gottes« (133). Die Priesterschaft von Bethel wird von den Aaroniden gestellt.

Bei dem Versuch, die Betheler Theologie zu rekonstruieren, stützt K. sich auf drei Kultlegenden, die Erzählung von Aarons Stierbild (Ex 32,1­6), die freilich nur noch in polemischer Umdeutung erhalten ist, die von Jakobs Mazzebe (Gen 28,10­22) und die von dessen Altar (Gen 35,1­7), beide Texte allerdings nur in einer zu rekonstruierenden Grundschicht. Die Ätiologien sind »in dem, was sie begründen, klar unterschieden«, und man wird »sie als drei voneinander unabhängige Traditionen nebeneinanderstellen dürfen« (165). Ihre Entstehung nimmt K. in der Zeit vor den Zerstörungen Bethels durch die Assyrer und Joschija an. Denn »spätere Ansetzungen Š können nicht erklären, mit welcher Intention die Texte verfaßt oder auch nur als Einzeltexte tradiert worden sein sollten, nachdem Bethel in der Bedeutungslosigkeit versunken und theologisch zum Inbegriff der Ketzerei geworden war« (166). Ihre Einheit finden die Ätiologien, die K. zufolge »unausgeglichen nebeneinander tradiert werden« konnten (168), im »Gedanken der Gegenwart Gottes, der sich damit als Zentrum einer festen theologischen Konzeption erweist, die wir Betheler Theologie nennen können« (169). Nun ist das nicht gerade sehr spezifisch, sondern, wie K. in der Zusammenfassung unterstreicht, »eine typische Stadt-Theologie, wie wir sie aus Jerusalem und anderen Städten des alten Orients kennen« (212). Deshalb ist wichtig herauszustellen: »Der auffälligste Unterschied zwischen der Betheler Theologie und der Jerusalemer Theologie liegt Š in der Beurteilung von Gottesbildern«, indem »es sich bei den Keruben [von Jerusalem] um Tragtiere des unsichtbar auf ihnen thronenden Gottes handelt, das Stierbild dagegen kein Tragtier, sondern ein Gottesbild darstellt« (215).

Vor dieser Zusammenfassung hatte K. gezeigt, dass noch bei Amos und Hosea die Bethel-Kritik nicht vom Bilderverbot motiviert ist, sondern dies erst im Deuteronomismus aufkommt. Dass in den Jakob-Erzählungen der Genesis Bethel positiv besetzt ist, obwohl es nach dem Untergang des Nordreichs zum Inbegriff der Häresie wurde, sieht K. darin begründet, dass »aus der Bethel-Erzählung Š eine Jakob-Erzählung geworden« ist (195).

K.s gut lesbare und materialreiche Studie verweigert sich dem Trend zur Datierung der gesamten Bethelüberlieferung in eine Zeit, als der Ort keine andere Rolle mehr als die der negativen Folie gegenüber Jerusalem spielte. Sie tut das mit starken Argumenten. Ihre eigentliche Provokation liegt in der These, dass es in der Königszeit neben der Bildlosigkeit der Jahwe-Verehrung in Jerusalem in Bethel einen legitimen Jahwe-Kult mit Verehrung eines Jahwe-Stierbilds gab.