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Ausgabe:

Juli/August/2006

Spalte:

831–833

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Biberger, Bernd

Titel/Untertitel:

Unsere Väter und wir. Unterteilung von Geschichtsdarstellungen in Generationen und das Verhältnis der Generationen im Alten Testament.

Verlag:

Berlin-Wien: Philo 2003. 608 S. gr.8° = Bonner Biblische Beiträge, 145. Geb. Euro 75,00. ISBN 3-8257-0328-2.

Rezensent:

Joachim Conrad

In der vorliegenden Arbeit, einer von der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen 2002 angenommenen und für den Druck nur geringfügig überarbeiteten Dissertation, untersucht der Vf. die Texte des Alten Testaments, in denen die Geschichte Israels als eine Abfolge von zwei oder drei Generationen interpretiert wird, wobei diese im Einzelnen verschieden bestimmt werden, es sich aber bei der Ersten hauptsächlich um die des Exodus und bei der Letzten um die jeweils gegenwärtige oder auch die zukünftige Generation handelt und im Falle einer Dreiteilung die Mittlere den dazwischen liegenden Zeitraum repräsentiert. Da Aufgliederungen dieser Art für das Alte Testament keineswegs typisch sind, bei geschichtlichen Rückblicken in der Regel vielmehr das Volk insgesamt als Kontinuum erscheint, stellt sich die Frage, weshalb hier so verfahren worden ist und welche Akzente dabei gesetzt werden.

In den beiden ersten Kapiteln (17­54) geht der Vf. zunächst auf die Diskussion zum Begriff der Generation in der Forschung seit dem 19. Jh. ein und stellt fest, dass der historisch-epochale Generationenbegriff im Sinne der besonders von Karl Mannheim vertretenen Prägungshypothese den alttestamentlichen Texten am ehesten entspricht, dass jedoch die Informationen, die den Letzteren zu entnehmen sind, für eine Verifizierung im Einzelnen nicht ausreichen. Zudem trifft vor allem ein Kriterium, das für diesen Begriff konstitutiv ist, nämlich die ungefähre Gleichaltrigkeit der zu einer Generation Gehörigen, für die alttestamentlichen Texte nicht zu, da dort zumeist die mittlere Generation einen längeren Zeitraum bis hin zu mehreren Jahrhunderten repräsentiert. In solchen Fällen bevorzugt der Vf. daher die neutralere Bezeichnung »Personenkreis«. Anschließend überprüft er noch, inwiefern die hebräischen Begriffe dwr (in der Arbeit stets ohne Dages lene geschrieben), ¹b und bu als Bezeichnungen für Generationen zu gelten haben und somit für die Thematik seiner Arbeit relevant sind. So ist insbesondere zu bedenken, dass sich der Plural ¹bwt sehr häufig auf die Erzväter bezieht, die aber als Ursprungspunkt Israels keine Generation im historisch-epochalen Sinne bilden. Alle diesbezüglichen Belege kommen daher für die folgenden Untersuchungen nicht in Betracht.

In den beiden nächsten Kapiteln (55­206) analysiert der Vf. die Texte, die ein ausgeprägtes Generationenschema aufweisen, und zwar zunächst die Kundschaftergeschichte in Num 13 f. und Dtn 1,19­46 und anschließend die Geschichtsdarstellungen in Ez 20, Neh 9, 1Sam 12,6­15, Ps 78, Jos 24,1­28 und Ri 2,6­3,6. Diese Texte geben die eigentliche Grundlage für seine Arbeit ab. Im 5. Kapitel (207­319) behandelt er Texte mit zwei Personenkreisen (u. a. Jer 11,1­17; 30 f.; Dtn 29,21­27; 30,1­10; Sach 8,1­6), in denen durchweg die jeweils Angesprochenen und die »Väter« gegenübergestellt werden, wobei mit den Letzteren teils die Exodusgeneration, teils aber auch allgemein die Vorfahren gemeint sind. Nachdem er im 6. und 7. Kapitel (320­331) die gelegentlich angenommene Vorstellung von einer auf den Ägyptenaufenthalt begrenzten Generation als nicht begründbar abgewiesen hat und auf Sonderfälle eingegangen ist, untersucht er im 8. Kapitel (332­388) das Deuteronomium, das Deuteronomistische Geschichtswerk, das Buch Jeremia und das Bußgebet in Bar 1,15­3,8, um die Frage zu beantworten, ob der da gehäuft vorkommende Plural ¹bwt bzw. panteres zumindest teilweise als eine jeweils durchgehende Bezeichnung für einen bestimmten Personenkreis gebraucht wird und welche Akzente dabei möglicherweise gesetzt werden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Gebrauch uneinheitlich ist und sich keine durchgehende Linie abhebt und dass allenfalls bei künftiger redaktionsgeschichtlicher Forschung noch einige Zusammenhänge erkennbar werden könnten. Eine detaillierte Übersicht über das bisher Erarbeitete bietet er im 9. Kapitel (389­404). Er weist hier zugleich darauf hin, dass auch in der ethnologischen Forschung bei mündlicher Überlieferung eine Aufteilung in Personenkreise beobachtet worden ist, wobei der Erste die Ursprungstraditionen und der Letzte die jüngste Vergangenheit vertritt und ein Mittlerer gegebenenfalls die dazwischen liegende Zeit repräsentiert, aber auch ausfallen kann.

Bei der Analyse der Texte hat sich der Vf. vor allem auch der Frage nach der Botschaft, die durch das Generationenschema vermittelt werden soll, gestellt. Es geht dabei in erster Linie um den Aufweis der das Verhältnis der Generationen prägenden Schuld, und zwar in der Weise, dass sie als Kontinuum die Generationen verbindet oder von einer Generation zur anderen gesteigert wird und dies nur zu Unheil führen kann oder dass die Nächste unter der Schuld der Vorigen leiden muss und doch auch die Chance eines Neubeginns hat und damit die Schuld überwunden und eine heilvolle Zukunft eröffnet wird. Diese Thematik greift der Vf. noch einmal im 10. Kapitel (405­500) auf und zieht hier zugleich alle einschlägigen Einzelbelege heran, die bei der bisherigen Darstellung nicht berücksichtigt wurden. Darüber hinaus zeigt er im 11. und 12. Kapitel (501­546), dass es noch ein anderes Kontinuum gibt, weil Jahwe an dem den Vätern, insbesondere der Exodusgeneration, geschenkten Heil festhält, und dass Heil gewährleistet ist, wenn die Normen, die Jahwe gegeben hat und die bleibend gültig sind, von Generation zu Generation weitervermittelt und von jeder Einzelnen von ihnen immer von neuem bewahrt werden. Im 13. und 14. Kapitel (547­553) fasst er die gewonnenen Ergebnisse zusammen und hebt dabei auch deren Aktualität für heutigen Umgang mit Geschichte hervor. Zum Schluss folgt noch ein Anhang mit Literaturverzeichnis (547­589) und Stellenregister (590­608).

Der Vf. hat außerordentlich gründlich gearbeitet und eine fast erdrückende Fülle von Texten und Einzelstellen analysiert. Seine Arbeit ist freilich auch deshalb so umfangreich geworden, weil er die Haupttexte und die Einzelbelege getrennt behandelt und sich infolgedessen zahlreiche Wiederholungen ergeben. Darüber hinaus fällt auf, dass sich die vielfältigen und peniblen Differenzierungen, die er bei der Bestimmung der Generationen und bei der Unterscheidung von Dreier- und Zweierschema vorgenommen hat, im Gesamtergebnis kaum niederschlagen, so dass man sich fragt, ob der immense Aufwand für ein solches Ergebnis eigentlich nötig war. Zu fragen ist auch, ob die Fälle, in denen der Diktion des Vf.s zufolge ein Personenkreis aus einem Langzeit-Subjekt hervorgehoben wird, so die jeweils Angesprochenen gegenüber den Vätern im allgemeinen Sinne von Vorfahren oder die Exodusgeneration gegenüber den späteren Nachfahren (398 f.), dem Generationenschema, von dem er ja ausgeht, noch kompatibel sind. Hier wird doch ein begrenzter Personenkreis einem vorangehenden oder folgenden geschichtlichen Kontinuum entgegengesetzt und auf diese Weise die Größe der Schuld bzw. die Dringlichkeit einer Umkehr verdeutlicht. Dass dabei ein dritter Personenkreis »herausgefallen« ist (399) und dies ja nur heißen kann, dass es sich um ein rudimentäres Generationenschema handelt, ist schwerlich zutreffend. Es hätte also noch einiger Reflexionen zur Abgrenzung des Textmaterials und zur Auswertung der vielen Einzelbeobachtungen bedurft. Gleichwohl ist zu begrüßen, dass der Vf. das Generationenproblem so eingehend behandelt hat. Seine Arbeit ist ein beachtlicher Beitrag zum Geschichtsverständnis alttestamentlicher Texte, der bei künftiger Forschung gebührend berücksichtigt werden sollte.