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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

806–808

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Brandt, Hermann

Titel/Untertitel:

Vom Reiz der Mission. Thesen und Aufsätze.

Verlag:

Neuendettelsau: Erlanger Verlag für Mission und Ökumene 2003. 316 S. m. Abb. 8° = Missionswissenschaftliche Forschungen. Neue Folge, 18. Kart. Euro 26,00. ISBN 3-87214-348-4.

Rezensent:

Friedrich Hube

Mission ist ein Reizthema im mehrfachen Sinn des Wortes: Die einen zieht es an, andere reizt es zum Widerspruch, viele begegnen ihm mit gemischten Gefühlen. Die meisten der im hier angezeigten Band vereinigten Arbeiten des früheren Erlanger Ordinarius für Religions- und Missionswissenschaft befassen sich mit diesem Reiz-Thema »Mission«. Sie gehen auf Vorurteile und berechtigte Kritik ein, vor allem aber bereichern sie die Diskussion durch die Perspektiven, aus denen über Mission nachgedacht wird (Praxis und Theologie der Christenheit Lateinamerikas, die lutherische Tradition und einzelne in dieser Tradition stehende Persönlichkeiten wie Nathan Söderblom und Georg Vicedom, die Begegnung und das Gespräch mit den anderen Religionen, vor allem Judentum und Islam). Lediglich im Bericht von der 8. Vollversammlung des ÖRK in Harare (1998) wird die Mission nur am Rande (im Zusammenhang mit der Rede von Nelson Mandela, 163) gestreift. Die vorliegende Besprechung kann nicht auf alle Aufsätze ausführlich eingehen, soll aber doch einige Aspekte hervorheben.

Die lateinamerikanische Perspektive wird gleich im ersten Aufsatz ins Spiel gebracht (»Machtlose Mission«, 9­32). Ausgangspunkt ist die Erinnerung an die Ankunft des Kolumbus in Amerika, der im Jahr 1992 (nach 500 Jahren) große Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Sieht man von der offiziellen römisch-katholischen Stellungnahme ab, so wurde über die Mission in diesem Zusammenhang überwiegend ein vernichtendes Urteil gefällt, da sie zum Untergang der altamerikanischen Kulturen beigetragen habe. Auch B. bekennt, dass es angesichts der Geschichte Lateinamerikas schwer sei, »dem Thema der Mission etwas Positives abzugewinnen« (28). Aber er nähert sich diesem Thema, indem er zur Kenntnis nimmt, wie sich Christen in Lateinamerika mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinander setzen (z. B. in der Messe vom Land ohne Böses), und auch in deren Fähigkeit zu einer selbständigen, kritischen Urteilsbildung sieht B. eine Auswirkung der Mission. Ähnliche Überlegungen begegnen in dem Aufsatz »Mission in Lateinamerika« (110­121), der darauf hinweist, dass es in Lateinamerika »gegen eine gewaltsame und brutale Missionspraxis« zum »Entstehen lebendiger, selbstbewusster Gemeinden« kam (112), dass die Mission also auch eine emanzipatorische Wirkung gehabt hat (115­117; vgl. auch 29 und 85). Ist das der Versuch einer apologetischen Ehrenrettung der Mission? Richtiger ist wohl, dass die Vielschichtigkeit des Phänomens aufgezeigt werden soll, dem man mit einer einseitigen ­ positiven oder negativen ­ Betrachtung nicht gerecht wird.

Immer wieder weist B. auf Gesichtspunkte, die hierzulande unbeachtet geblieben sind. So in dem Aufsatz über »Ökumenisches Lernen« (87­109), das nicht selten von den uns leitenden Fragestellungen bestimmt wird. Demgegenüber fordert B., ökumenisches Lernen müsse »auch die ungeliebten Phänomene in den Blick nehmen« (109). Dann zeigt sich z. B., dass fundamentalistische und charismatische Bewegungen in Lateinamerika nicht zureichend verstanden sind, wenn man nur darauf hinweist, dass sie vom CIA instrumentalisiert würden und weltflüchtig seien. Vielmehr finden sich in ihnen auch Motive, die zu Protest und Selbstbefreiung ermächtigen (97 f.). Anregungen gehen auch von der lateinamerikanischen Beschäftigung mit den biblischen Texten aus, was B. auch in der Vergangenheit schon in vielen Veröffentlichungen aufgezeigt hat. Ist man sich der Kontextbezogenheit der eigenen theologischen Position bewusst, dann erkennt man auch in den synkretistischen Vaterunser-Paraphrasen (22­25 und 103 f.) und im Synkretismus der Befreiungstheologie (128­136) einen »Ausweis lebendiger Religion« (128), wobei der Schritt zu einem Verlassen des christlichen Glaubens freilich klein und kaum bemerkbar sein kann, wie das umbandistische Vaterunser (105 f.) zeigt.B. entfaltet sein Verständnis von Mission in den hier besprochenen Aufsätzen nicht ausführlich. An verschiedenen Stellen werden jedoch Aspekte angesprochen, von denen es sich lohnt, sie zusammenzustellen. Als eine »minimalistische Definition« von Mission wird vorgeschlagen: »Mission ist Impuls zur Änderung« (38). Das ist in der Tat eine lediglich formale Bestimmung, die nichts über den Inhalt des missionarischen Impulses sagt. Aber das gilt für andere, heute verbreitete Bestimmungen von Mission auch (etwa Konvivenz oder Präsenz). Die vorgeschlagene Definition sagt nur etwas über das Wie der Mission. In dieser Hinsicht aber ist sie sehr bedenkenswert. Sie lässt Raum für Gegenseitigkeit und für Impulse, die von Worten oder Taten oder Verhalten ausgehen. Auf die Möglichkeit einer »Mission ðohne WorteЫ weist B. an anderer Stelle (121) ausdrücklich hin. Ob sich die aus Lateinamerika übernommenen Näherbestimmungen von Mission als Konvivenz, Permeabilität, Insertion und Gegenwärtigsetzung des Evangeliums (41 und 118 f.) durchsetzen werden, ist für mich fraglich. Das Gemeinte ließe sich auch einfacher (und mit weniger Latein) ausdrücken. Mission ist weiterhin »machtlose Mission« (9), wofür B. mehrfach auf die schöne Charakterisierung von Zinzendorf verweist (z. B. 41): Sie macht aufmerksam, ohne aufdringlich zu sein. Der Missio Dei-Vorstellung, die in ihrer Hoekendijkschen Ausprägung zu Recht in den Hintergrund tritt, gewinnt B. doch einen positiven Aspekt ab: Indem Gott als der in der Mission entscheidend Handelnde gesehen wird, kann das menschliche missionarische Handeln in Geduld und Gelassenheit geschehen (43 und 60), eine Einsicht, die Luther mit der Missio Dei-Theologie verbindet (59). Bei aller Behutsamkeit, in der Mission zu geschehen hat, betont B. doch auch immer wieder die Wichtigkeit des klaren Zeugnisses vom eigenen Glauben, verbunden mit der Frage, was wir eigentlich heute zu sagen haben (72 und 231 f.). Das bezieht B. vorsichtig auch auf das Verhältnis zum Judentum und entschieden auf die Beziehung zum Islam.

In diesen Zusammenhang gehören auch die Ausführungen zu einer Theologie der Religionen. B. nimmt kritisch zur pluralistischen Religionstheologie Stellung, versucht dann aber doch Aspekte der drei Positionen Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus miteinander zu verbinden (307­309). Hier freilich erheben sich auch Fragen, etwa wenn der Grund für die »Exklusivität des Christusbekenntnisses« in der »Erfahrung« gesehen wird: »in Christus allein als dem Weg begegnet uns Gott« (311). Kann man dieses »allein« wirklich erfahren? Wird uns in der Erfahrung unseres Glaubens auch mitgeteilt, was die anderen nicht haben, was wir also »allein« haben? Nicht ganz überzeugt hat mich auch der Versuch, in Georg Vicedom einen Vorläufer der pluralistischen Religionstheologie zu sehen, aber dieser Versuch war vielleicht eher spielerisch gemeint.Was die im vorgestellten Band versammelten Arbeiten so anregend macht, ist die Weite der Gesichtspunkte, die bei der Erörterung des Themas Mission ins Spiel gebracht wird, was sich nicht zuletzt auch an dem großen Aufsatz über Nathan Söderblom zeigt.