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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

792–794

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Ruh, Hans, u. Klaus M. Leisinger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ethik im Management. Ethik und Erfolg verbünden sich. Einleitung, Zusammenfassung u. Danksagung v. H. Ruh, K. M. Leisinger, M. L. Hilber u. V. von Orelli. Zürich

Verlag:

Zürich: Orell Füssli 2004. 319 S. m. Abb. u. Tab. gr.8°. Geb. Euro 36,00. ISBN 3-280-05104-5.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Es ist schon beachtenswert, wenn sich nicht nur renommierte Vertreter der Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften, sondern auch gestandene Repräsentanten der Praxis zusammentun, um sich in einem respektablen Sammelband aktuellen Fragen der Ethik zu stellen.

Der dabei gesetzte Rahmen reicht von ganz individuellen ethischen Anforderungen an den Manager eines Unternehmens bis hin zu Fragen globaler ökonomischer Ethik ­ allerdings immer in der Überzeugung »Who cares, wins« (15) (gem. UNCompact), oder wie Ruh es ausdrückt: »Ethik und Erfolg verbünden sich« (15). Ruh gibt dafür auch gute Gründe an, nämlich dass Unternehmen, die ethische Gesichtspunkte implementieren, erwarten dürften, dass die Mitarbeitermotivation steigt, Friktionskosten gesenkt werden oder dass sich das Image der Unternehmung und seine Marktposition verbessert (20). So plausibel das auch klingt, wo ist da seine explizite Stellungnahme als Theologe zu finden? Oder demonstriert er damit gerade das von ihm angesichts der Globalisierung diagnostizierte Schwächerwerden traditioneller Institutionen der Ethikvermittlung (z. B. Kirche) (17)?

Bei einer Verabschiedung von aller biblisch-theologischer Tradition und alleiniger Geltung eines »Bündnisses von Ethik und Erfolg« würde es sich verständlicherweise nicht mehr lohnen, auf die Botschaft der Psalmen zu hören, in denen doch so manches Mal geklagt wird (z. B. in Ps 37 oder 73), dass der Gerechte keinen Erfolg hat und leidet, während es dem Gottlosen gut geht. Wie dem auch sei, damit ist keinesfalls das Ende der Suche nach dem Guten und Gerechten angesagt. Und in diese Suche reihen sich auf jeden Fall die nachfolgenden, in vier Teile aufgeteilten Beiträge ein.

Im ersten Teil geben zunächst Hans Lenk und Matthias Maring einen Überblick über verschiedene Zugänge zu wirtschaftsethischen Fragestellungen (31 ff.). Dabei plädieren sie für eine Stärkung der Eigenverantwortung in Form von Kodizes und Selbstverpflichtung (40). Thomas Rusche bekennt sich zu einem diskursethischen, »konsensualen« Ansatz (53). Allerdings betont er als verantwortlicher Unternehmer gegenüber einem zu leichtfertigen »Ethic pays« (44), dass die Einhaltung ethischer Normen im Wettbewerb nur dann verantwortbar sei, wenn Unternehmen keinen Schaden erlitten (46). Dennoch beteiligt er sich engagiert und auch im eigenen Unternehmen am Aufbau einer stakeholder-orientierten Unternehmenskultur (53 f.).

Sodann stellt Peter Ulrich seinen auf philosophischer Ethik (65) basierenden Ansatz einer integrativen Unternehmensethik vor. Unter Ausblendung aller Verantwortung vor Gott versteht er deshalb das Ethos einer Person als Gesinnung, »in deren Lichte diese Person ihr Tun und Lassen vor sich selbst wie gegenüber anderen zu rechtfertigen pflegt« (62 f.).

Gott wird nur kritisiert als Grund des »schöpfungstheologischen Urvertrauens« (63), dass auf den Märkten nicht nur von selbst alles gut werde, sondern dass angeblich wirtschaftlicher Erfolg selbst schon als moralisch gut gelte (64). Offensichtlich berücksichtigt er hier nicht die Funktion der ethischen Rahmenbedingungen etwa bei Adam Smith oder Max Weber. Anschließend ist ihm allerdings theologisch zuzustimmen, wenn er sich gegen alle neoliberale Vergötzung des Marktes wendet, nach der gesellschaftliche Harmonie und Gemeinwohl notwendige »Folge« des Wettbewerbs auf den Märkten sein müssen (64). Sein vernunftethisches stakeholder-Konzept der Unternehmung (65 ff.) stellt er nun dagegen, muss jedoch einräumen, dass Vernunftethik schwach motiviere (70). Bessere ethische Motivation erwartet er von Selbstachtung und gesellschaftlichem Ansehen (71). Er meint hier sogar einen neuen Unternehmertypus ausmachen zu können (75), der sich im Sinne des »Corporate Citizenship« orientiere. Wenn allerdings gesellschaftliches Ansehen derartig zum ethischen Primärimpuls aufwüchse, wie wollte man sich gegen die Entwicklung der von Troeltsch gegeißelten »Doppelmoral« wehren?

Der amerikanische Nobelpreisträger und ehemalige Chefvolkswirt der Weltbank Joseph E. Stiglitz erläutert nun in globalen Zusammenhängen und im Sinne von Ethik als Ergänzung der Ökonomie (107) die von ihm geforderten fünf ethischen Grundregeln: Ehrlichkeit, Fairness, Sozialgerechtigkeit, Externalitäten (Kosten, die nicht von den verursachenden Wirtschaftsakteuren getragen, sondern Dritten aufgebürdet werden) und Verantwortung (81). Letztlich plädiert er dabei für die Einhaltung der Goldenen Regel (104).

Dietrich Böhlers Beitrag behandelt Moral und »Sachzwang«, wobei er jedoch aus der Perspektive der Diskursethik letztlich die Existenz von Sachzwängen bestreitet (122). Und bezüglich moralischer Entscheidungsprobleme rät er erstaunlicherweise, dass man, um legitime Verantwortung wahrzunehmen, gegen »Realitätswiderstände« durchaus »lügen, tricksen oder nötigenfalls Gewalt anwenden [darf], sofern die Situation es erfordert« (123). Sollte damit etwa der Zweck die Mittel heiligen?Im zweiten Teil betont Ervin Laszlo, dass die Wirtschaftsführer die Schlüsselfiguren für einen »positiven Weg in die Zukunft« seien (143). Das Wahrnehmen ihrer Verantwortung gegenüber allen Stakeholdern setze für sie ein wirklich sinnvolles Ziel (149). Klaus M. Leisinger schildert sodann die Umsetzung unternehmensethischer Ambitionen in der Praxis, und zwar die Implementierung des UNGlobal Compact bei dem Pharmaunternehmen Novartis (151 ff.). Hierzu gehöre u. a. neben der Umsetzung der UNGC-Prinzipien, keinen Globalisierungsgewinn auf Kosten der Armen zu erreichen (153). Konkret meint Leisinger den brennenden Vorwurf, dass der Reichtum der Multis das Elend der Kranken verursache, für Novartis abwehren zu können, denn Novartis tätige nur minimale Umsätze mit armen Entwicklungsländern (190).

Der amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs sieht in seinem Beitrag einen Zusammenhang zwischen gutem Ruf bzw. individueller Ethik und shareholder-value (205). Er fordert mehr Engagement für Arme (211), kritisiert die Macht der Konzerne (207) und setzt sich für eine scharfe Trennung von Wirtschaft und Politik ein (207). Entgegen dieser, wohl auf amerikanische Verhältnisse bezogenen Position fordern hier europäische Autoren mehr Engagement der Wirtschaft in der Politik: z. B. P. Ulrich (74 f.) oder S. Sachs (232) oder A. G. Scherer (290). Ebenso wie Laszlo plädiert Josef Wieland für eine ethische Vorbildfunktion des Managements (217). Dabei hält er Ethik im Management nicht für ein Goodwill-Thema, sondern für unabweislich (216). Er unterscheidet in dem von ihm entwickelten integrativen »Werte-Management-System« die vier Managementbereiche: Risikomanagement, Qualitätsmanagement, Umweltmanagement, Corporate Citizenship (215 f.)

Im dritten Teil schlägt Sybille Sachs eine Neudefinition der Unternehmung in der heutigen Gesellschaft vor. Für sie sei ein Unternehmen nicht nur eine ökonomische Institution, sondern ein Element im komplizierten Netzwerk von stakeholder-Beziehungen (227) und Plattform eines gesellschaftlichen Diskurses über Werthaltungen und deren Berücksichtigung im unternehmerischen Handeln (233).

Guido Palazzo beschäftigt sich mit dem Corporate Branding (Pflege des Markenproduktimages). Er analysiert, dass Corporate Brand »wie ein trojanisches Pferd« Unternehmensethik in das Unternehmen hineinziehe (243). Denn eventuelle Diskrepanzen zwischen den kommunizierten Werten und den tatsächlichen Praktiken hätten fatale Auswirkungen. Dabei hatte eigentlich das Branding wie ein trojanisches Pferd Kaufinteresse in die Konsumentenseele hineintragen sollen.

Maria Luise Hilber fordert sodann Wahrheit in der Werbung (247 ff.) und Frank Figge entwickelt eine Wertbeitragsanalyse mit Hilfe der stakeholder Value Matrix, um den Beitrag einzelner Anspruchsgruppen zum Unternehmenswert zu messen (255 ff.).

Reinhard Friesenbichler stellt die so genannte Ethikanalyse vor, die die konventionelle Aktienanalyse für Investoren um ethische, soziale und ökologische Aspekte erweitert (281). Gängige »ethische« Kriterien, um ein Unternehmen von einer Investition auszuschließen, seien dabei Kinderarbeit, Nuklearenergie, Tabak, Rüstung, fossile Energie (279). Eine reflektierte ethische Rechenschaft über diese Kriterien wird allerdings vermisst. Das gilt auch für den Beitrag von Matthias Voigt und Martin Kratochwil über die Entwicklung so genannter Ethikfonds im vierten Teil (309 ff.).

Überzeugend demonstrieren dagegen Andreas G. Scherer und Dorothee Baumann anhand des Sportartikelherstellers PUMA, wie sich dieses weltweit arbeitendes Unternehmen daran beteiligt, international soziale und ökologische Standards zu setzen, und so dazu beitragen will, die Weltgesellschaft im Sinne des Corporate Citizenship weiterzuentwickeln (295 f.).

Tobias Meier zeichnet als Präsident der Fair-Trade-Organisation Max Havelaar in seinem Beitrag ihre Entwicklung von einem Nischenprojekt kirchlicher Basisgruppen zu einem Wirtschaftsmodell nach (299 ff.).

Es ist schade, dass die anregende Lektüre dieses Sammelbandes durch diverse Druckfehler gestört wird. So fehlt offenbar auf S. 24 unten als letztes Wort »Verantwortung« (81). Auf S. 263, Z. 7, muss es nicht Tabelle 4, sondern Tabelle 1 heißen. Die Fußnotenzeichen auf den S. 309 ff. werden vermisst. Dennoch findet sich in diesem Werk eine Fülle von wirtschaftsethischen Impulsen, denen es sich lohnt, weiter nachzugehen.