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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

790–792

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kunze, Axel Bernd

Titel/Untertitel:

Parteien zwischen Affären und Verantwortung. Anforderungen an eine Verantwortungsethik politischer Parteien aus christlich-sozialer Perspektive.

Verlag:

Münster: LIT 2005. 488 S. gr.8° = Schriften des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften, 52. Kart. Euro 39,90. ISBN 3-8258-8417-1.

Rezensent:

Mariano Barbato

Soviel lässt sich gleich vorweg sagen: K. hat ein neues Standardwerk zur Parteienethik vorgelegt. Drei Punkte begründen diese Bewertung:

Sein Buch schließt eine Lücke der Christlichen Sozialethik ­ die Beschäftigung der Zunft mit den Parteien war bisher nur sporadisch. Es beinhaltet eine umfassende interdisziplinäre Darstellung des Themas, die sich sowohl in der Theologie wie in der Politikwissenschaft sehen lassen kann. Und K. nimmt pointiert Stellung: In origineller Herleitung aus dem Grundprinzip der Beteiligungsgerechtigkeit begreift er die Verantwortung der Parteien vor allem als Ermöglichung von Partizipation an der inhaltlichen Gestaltung von Politik und hält ein Plädoyer für eine erneuerte Mitgliederpartei.

Nicht erst seit der Wahl vom vergangenen September, die mit dem Erscheinen von K.s Buch fast zusammenfiel, sind die Parteien ins Gerede geraten. Die Krise der Parteien geht tiefer als die aktuellen Schlagzeilen. Auf der einen Seite erodieren die parteipolitischen Milieus, ohne einen neuen politisch engagierten Bürger hervorzubringen, auf der anderen Seite scheint die Macht der Parteien die Gesellschaft vollständig zu durchdringen, ohne dabei an Gestaltungsfähigkeit zu gewinnen.

K. stellt sich nüchtern der viel beschworenen Gefahr von Parteien- und Politikverdrossenheit. Die Aufmerksamkeit, die seine Dissertation erhält, zeigt, dass sie den Nerv der Zeit auf hohem Niveau getroffen hat. So wurde die von der Theologin Heimbach-Steins und dem Politikwissenschaftler Zintl betreute Arbeit als beste Promotion der Fakultät Katholische Theologie der Universität Bamberg mit dem diesjährigen Friedrich-Brenner-Preis ausgezeichnet. An dieser Stelle kann gleich eingefügt werden, dass K. als katholischer Sozialethiker promoviert wurde, seine Arbeit aber ökumenisch ausgerichtet konzipiert hat.

K. distanziert sich zu Beginn seiner Überlegungen von moralischen Tugendappellen an das Gewissen der einzelnen Politiker. Die komplexe Demokratie rechnet, so K. mit Bezug auf eine Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland, mit der Fehlbarkeit des Menschen und setzt gerade deswegen auf öffentlich zugängliche Institutionen und ihre Kontrollmechanismen, zu denen die Parteien gehören. K. geht es deswegen auch nicht um eine Kritik der Parteipolitiker und ihrer Affären, sondern um die grundsätzliche Struktur der Parteien.

Die traditionelle Christliche Sozialethik hat keinen leichten Zugang zu den Parteien gefunden. Zu sehr reflektiert schon der Begriff (partes = Teile) ein Gesellschaftsmodell, das scheinbar wenig mit der Suche nach gerechtem Gemeinwohl und subsidiär gegliederter Einheit zu tun hat. Der Begriff der Partei ruft vor allem die Assoziation von Parteiung und Sonderinteresse auf, was dann eher zu mahnenden Eintragungen ins Stammbuch der Parteien führt, als dass ihre grundsätzliche Aufgabe reflektiert und ethisch bewertet wird.

K. geht hier einen neuen Weg. Dafür muss einiges an Vorarbeit geleistet werden. Bevor er im dritten Teil seiner recht umfangreichen Arbeit (488 Seiten) die eigentliche ethische Reflexion beginnt, stellt er im ersten Teil ausführlich Konzeption und Geschichte der Parteien dar. Obwohl K. klar strukturiert schreibt, stellt sich vielleicht nicht nur dem politikwissenschaftlichen Leser die Frage, ob für eine sozialethische Studie eine so ausführliche Darstellung notwendig gewesen wäre. Der Text des ersten Teils umfasst immerhin fast 150 Seiten und ist in dieser Länge wohl sehr dem Genre der Dissertation geschuldet. Weniger wäre hier mehr gewesen und hätte vielleicht auch die Fokussierung auf die zentrale Argumentationslinie erleichtert.

Was für die Länge des ersten Teils gilt, trifft auch für die des zweiten Teils zu. Dort stellt K. die vorangegangene politikwissenschaftliche und historische Analyse der Parteien in einen breiteren sozialwissenschaftlichen Kontext. Der Wandel der Parteien spiegelt die Veränderungen der Gesellschaft wider. Entweder wird die Parteienlandschaft das gestiegene Partizipationspotential für eine neue Form der Mitgliederpartei nutzen können oder es wird sich, der alten Honoratiorenpartei vielleicht nicht ganz unähnlich, eine Netzwerkpartei von Funktionären und Berufspolitikern herausbilden, die dem Wähler ihre Angebote unterbreitet.

In dieser Gegenüberstellung scheint der Kern der Argumentation auf. Genügt demokratietheoretisch eine Output-Legitimität, die sich allein über positive Ergebnisse rechtfertigt, oder bedarf es einer Input-Legitimität, die auch das partizipatorische Zustandekommen der Ergebnisse in die Bewertung einbezieht? Gerade wenn politische Beschlüsse weniger mit dem Verteilen von Wohltaten als mit Härten und Herausforderungen zu tun haben, so K.s Argumentation, bedarf es der Partizipation der Bürger, die nur das mittragen, von dessen Notwendigkeit sie überzeugt sind und was nicht über ihre Köpfe hinweg beschlossen wurde.

Im dritten, mit »Ethische Reflexion« überschriebenen Teil erreicht der Leser nun das Zentrum der Argumentation. K. knüpft an die Frage nach der Bedeutung politischer Verantwortung der Parteien unter den Bedingungen einer ausdifferenzierten Gesellschaft an. Für K. besteht die Verantwortung der Parteien vor allem darin, inhaltlich gestaltende Partizipation zu ermöglichen.

Geschickt zieht K. hierfür die Federalist Papers als locus classicus der Parteien- und Demokratietheorie heran. In den Federalist Papers werden erstmals Heterogenität und Konflikt nicht als Problem, sondern als Garanten der Demokratie verstanden. Erst wenn viele unterschiedliche Interessen parteipolitisch organisiert sind und im parteipolitischen Streit miteinander stehen, ist gewährleistet, dass sich die Mehrheit nicht zur Tyrannei über die Minderheit aufschwingt.

Die explizite Rezeption dieser liberalen Tradition kann als Meilenstein angesehen werden. Erreicht doch damit innerhalb der Sozialethik die Kritik am homogen gedachten Gemeinwohl endlich auch die Parteien.

Wenn aber, ohne die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Grundkonsenses in Frage zu stellen, Konflikt und Kompromiss im Mittelpunkt der Politik stehen, dann muss verantwortliche Politik immer auch partizipative Politik sein. Denn das Gemeinwohl steht nicht schon fest, sondern es erwächst erst aus dem Streit der vielen unterschiedlichen Interessen und Meinungen, die umso besser das Gemeinwohl ermitteln können, je mehr Bürger sich am Streit der Meinungen beteiligen (können und dürfen). Beteiligungsoffenheit steht deswegen nicht nur zu Recht in den Parteiprogrammen, auch wenn diese in der parteipolitischen Praxis laut K. noch deutlich ausgebaut werden müsste. Beteiligungsgerechtigkeit wird vielmehr spätestens seit dem Wirtschaftshirtenbrief der US-amerikanischen Bischöfe von 1987 auch zum Leitprinzip christlicher Sozialethik.

Diese Verbindung der liberalen Parteientheorie mit der in den letzten Jahrzehnten entwickelten Beteiligungsgerechtigkeit als Leitprinzip christlicher Sozialethik stellt K.s große Leistung dar.