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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

788–790

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Homann, Karl, Koslowski, Peter, u. Christoph Lütge [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wirtschaftsethik der Globalisierung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. VIII, 402 S. m. Abb. gr.8°. Kart. Euro 79,00. ISBN 3-16-148503-3.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Der anzuzeigende Sammelband lässt die Öffentlichkeit an den Ergebnissen der 6. Jahrestagung (2003) des Forums für Wirtschaftsethik der Deutschen Gesellschaft für Philosophie teilhaben. Der erste Abschnitt »Problemdimensionen der Globalisierung« beginnt mit der Forderung K. Homanns, dass sich die global operierenden Unternehmen für die vielen Armen dieser Welt einsetzen sollten (12).

Allerdings gehe es dabei nicht um »Opfer« der Unternehmen, sondern um die »Entfesselung« des Vorteils- bzw. Gewinnstrebens in strategischer Perspektive (13), damit von einer verstärkten Weltökonomie am Ende alle profitieren. Allerdings bleiben bei diesem Ansatz die jeweiligen institutionellen Bedingungen ausgeblendet, auf die M. Ehret/M. Haase/M. Kaluza in ihrem Beitrag eingehen und auf Grund derer sie von der Wirtschaftsethik Beiträge bei der Formulierung, Umsetzung und Überwachung der Self-Commitments der Akteure fordern (31). Sodann präsentiert M. Prisching einen ansprechenden Überblicksartikel über die derzeit populären Zeitdiagnosen wie globalen Abstiegs- und Aufstiegsparadigmen (35­44) mit ihren ideengeschichtlichen Einbettungen. Den Abschnitt schließt der Beitrag von C. Lütge über die normative Ressourcen einer Demokratie. Hier möchte er Ordnungsethik durch Binmores Empathie-Ansatz ergänzen (76).

Den zweiten Abschnitt »Globalisierung von Management und Corporate Governance« leitet K. J. Hopt ein mit einem Beitrag über die Corporate Governance (82), Unternehmensüberwachung (87 ff.) und aktuelle Maßnahmen der EU (91 ff.). F. Schipper wirbt sodann in seinem Beitrag über Transparenz und Integrität für beides (121). Und R. Waldkirch bemerkt im Hinblick auf die globale Shareholder/Stakeholder-Debatte einerseits zu Recht, dass der Shareholder-Ansatz von vorgegebenen Eigentumsrechten ausgehe (129), berücksichtigt dabei aber nicht, dass allein die Gesellschaft, für die ja der Stakeholder-Begriff auch steht, genau diese Eigentumsrechte garantiert. Danach nehmen E. Schnebel/M. A. Bienert Stellung »Zur ökonomischen Rolle von Werten in internationalen Unternehmen« und überraschen damit, dass sie Begründung und Gehalt von Ethik offenbar kaum interessieren. Entscheidend sei für sie die ethische Kommunikation (135), deren Implementierung in ausgewählten Unternehmen sie exemplarisch vorstellen (140 ff.). In seinem Beitrag »Management und Anerkennung« fordert sodann A. Brink aus ethischer Sicht dann Unterlassung unternehmerischer Transaktionen, wenn legitime Stakeholderinteressen in vitaler Weise verletzt würden (156). Unklar bleibt jedoch, wer darüber verbindlich urteilen soll. Und wenn dadurch auch Menschen ethisch anerkannt und Transaktionskosten reduziert würden, folgt daraus auch eine langfristige und nachhaltige Sicherung des Unternehmenserfolgs (158)? Abschließend diskutieren B. Hirsch/M. Meyer, wie bei der Kooperation von Unternehmen das dazu erforderliche Vertrauen zueinander rein rational mit Hilfe eines »Kooperationscontrolling« bestimmt werden könne (166). Dazu analysieren sie drei so genannte »Vertrauenstreiber« beim avisierten Kooperationspartner: »Ausprägung der Opportunismusgefahr«, »Reputation« sowie »Wertvorstellungen« (170 ff.), wobei zumindest bei den Letzteren rein rationale Analysen auf Grenzen stoßen dürften.

Den dritten Abschnitt »Globalisierung, NGOs und Global Governance« leiten I. Pies/M. Sardison ein und meinen, dass die Probleme der Globalisierung u. a. wegen der pluralistischen Werte- und Moralvorstellungen nicht mit herkömmlichen Mitteln zu meistern seien (178). Einen Ausweg daraus solle ein »Paradigmenwechsel vom Machtkampf hin zu einem Lernprozess« (189) bewirken. Und da soll einer nicht näher bestimmten »Globalen Ethik« zugetraut werden, im Rahmen eines »vertrauensvollen Dialog[s] zwischen gleichberechtigten Partnern aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft« Entscheidendes beitragen zu können (194). Aber wie sollte das bei mangelndem Vertrauen auf Grund pluralistischer Werte- und Moralvorstellungen gelingen, oder wenn man gar mit der Durchsetzung »diabolischer« Interessen rechnen muss? Danach würdigt B. Adam den Beitrag des Global Compact der UNO zur Global Governance zu Recht positiv. Gegen die Kritik mangelnder Sanktionsbewehrung (201) verweist er auf den hohen öffentlichen Legitimationsdruck auf die Unternehmen (203). Anschließend prangert M. Neuner in seinem Beitrag über die Globalisierung kultureller Güter (207 ff.) z. B. die rigide globale Vermarktung der Romanfigur »Harry Potter« durch ein Medienunternehmen als »Deutungsimperialismus« an (213 ff.).

Der vierte Abschnitt »Globalisierung, Technik und Produktion« beginnt mit der Analyse C. Hubigs, dass durch globale Technik kulturelle Leistungen wie Antizipierbarkeit, Verlässlichkeit, Vertrauensbasierung unterlaufen würden (231). Demgegenüber plädiert er für eine »Politik der Würde«, die Demütigungen durch technisch-wirtschaftliche Systeme unterbinde (232). M. Maring fordert sodann für die globalisierte Automobilindustrie die Einhaltung von Selbstverpflichtungs-Kodizes wie dem Global Compact der UNO oder dem Deutschen Corporate Governance Kodex (250).

Den fünften Abschnitt »Globalisierung der Wissensgesellschaft« eröffnet Helmut F. Spinner mit der These, dass die gegenwärtige Globalisierung nur eine Entwicklung neben und nach dem abendländischen Rationalisierungs- und dem kosmopolitischen Universalisierungsprogramm sei (257 ff.). Hinsichtlich der Ordnungsfrage in der Wissensglobalisierung fordert er einen »Ordnungspluralismus für duale Verhältnisse nach deutschem Vorbild« (280 f.). Sodann diskutiert K. Wiegerling kritisch die Idee einer »Globalen Objektivierung«, welche offenbar auf eine informatische Verdoppelung der raumzeitlichen Welt im Sinne eines 1:1-Weltmodells abzielt (286). Anschließend weist N. Gottschalk-Mazouz auf diverse Spannungen bei der »Globalisierung des Wissens« hin, u. a. durch Differenzen zwischen Wissensansprüchen und ihrer Anerkennung (295 f.).

Den letzten, sechsten Abschnitt »Globalisierung, Entwicklung und Nachhaltigkeit« beginnt E. Mack mit der Frage nach Gerechtigkeitskriterien, um zu erkennen, wie angesichts des gegenwärtigen weltweiten Elends vieler Menschen die derzeitigen Globalisierungsprozesse zu beurteilen seien (306). Pogges Anregungen mit seinem egalitären Gerechtigkeitsprinzip zur Garantie von »Universalgütern« nach »kosmopolitischen Humanitätsstandards« seien nicht ausreichend (310 ff.). Ebenso sei Rawls liberales Prinzip globaler Gerechtigkeit, nach dem das globale humane Ziel bereits dann erreicht wird, wenn Gesellschaften durch die Hilfe kooperativer Organisationen die Möglichkeit zu freier Selbstorganisation erhalten (314), aus der Sicht christlicher Sozialethik unzureichend, wenn trotzdem noch globale Armut bestehe. In diesem Fall fordert sie zusätzliches politisches und ökonomisches Engagement (317 f.). Danach konzentriert sich J. Conill auf Amartya Sen und dessen ethischen Ansatz der »Fähigkeiten«, die er im Sinne von Freiheit verstehen will (319 ff.). Es schließt sich dann B. Emunds mit seiner Suche nach moralischen Kriterien für die Gestaltung internationaler Finanzmärkte zum Schutz der Armen an (335 ff.). Etwas überraschend folgt dann der Beitrag W. Buschlingers über den deutschen »Generationenvertrag« als Standortnachteil. Er meint, dass von jungen Deutschen eigentlich nur das Auswandern erwartet werden könne (360) ­ mit der Konsequenz der Altersarmut für die Alten. Möglicherweise muss dieses Schicksal aber geteilt werden mit den vielen jungen Nicht-Akademikern, die ebenfalls bleiben müssen. G. Marckmann/M. Synofzik wenden sich sodann der Frage nach dem Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln als Problem der globalen Gerechtigkeit zu.

Der letzte Beitrag kommt von P. Koslowski, für den die Globalisierung der Finanzmärkte das zentrale Merkmal des Globalisierungsprozesses darstellt. Globale elektronische Vernetzung und Aktivitäten der amerikanischen Pensionsfonds seit den 1970er Jahren hätten den Kapitalmarkt in bisher unbekannter Weise entgrenzt (374 f.). Entgegen den üblichen ethischen Vorbehalten gegenüber einer Kultur der Raffgier auf dem Kapitalmarkt fordert er dessen ethische Akzeptanz, wenn er seine ihm vorgegebenen Zwecke erfülle, nämlich die Spar-, Vermögens-, Liquiditäts- und wirtschaftspolitische Funktion (377). Und was die Spekulation anbelangt, so hält sie Koslowski »aufgrund der unvermeidlichen Unsicherheit über künftige Unternehmenserträge und aufgrund der Notwendigkeit, Liquidität im Markt für Unternehmensanteile zu schaffen«, für nützlich, funktional und effizient (379).

Es erstaunt sein Plädoyer für den Shareholder-Standpunkt und die Zulassung von feindlichen Übernahmen (385 ff.). Aber wenn er unter Stakeholdern nur »alle im Unternehmen Tätigen« (386), also Belegschaft und Management, versteht, die sich verbünden, um »ein leichteres Leben auf Kosten der Eigentümer« zu führen, dann haben die Aktionäre schon das Recht, sich den (bisher ausgebliebenen) Vermögenszuwachs durch feindliche Übernahme auszahlen zu lassen. Allerdings hat das nichts mit Erwägungen der Shareholder zu tun, sich vom Management trennen zu wollen (385 ff.), denn das wäre schon vorher über den Aufsichtsrat möglich. In diesem Zusammenhang greift er auch die Brüsseler »Take-over-Direktive«, das VW-Gesetz und die deutsche Mitbestimmung auf (388 ff.). Dort erhofft er aus einer Synthese des angloamerikanischen Prinzips des corporate control mit dem deutschen Konsens- und identitätstheoretischen Modell Steigerungen von Erkenntnis und Leistung (391).

So bedauernswert es auch ist, dass hier die christliche Wirtschaftsethik wenig bzw. die evangelische Position gar nicht zu Wort kommen, so wird doch an diesem Sammelband niemand vorbeigehen können, der sich kompetent mit Wirtschaftsethik in der globalisierten Welt befassen möchte.