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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

783–785

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Slenczka, Notger

Titel/Untertitel:

Der Tod Gottes und das Leben des Menschen. Glaubensbekenntnis und Lebensvollzug.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003. 335 S. gr.8°. Geb. Euro 62,00. ISBN 3-525-56951-3.

Rezensent:

Horst Georg Pöhlmann

Es ist das Verdienst dieser Sammlung von Vorträgen und anderen unveröffentlichten Texten, dass sie nachweisen: Die christlichen Glaubensaussagen haben mit dem Lebensvollzug zu tun und sie haben einen Lebenswert, die Inhalte des Glaubensbekenntnisses führen zu einem neuen Selbstverständnis. Folgende Inhalte werden behandelt: »Der Glaube und sein Bekenntnis«; »Das Evangelium und die Schrift. Überlegungen zum ðSchriftprinzipÐ Š«; »Die Bekenntnisschriften als Schlüssel zur Schrift«; »Das Verhältnis des Alten und Neuen Testaments«; »Jesus Christus und der Israelbund Š«, »Kirche zwischen Identität und Relevanz«; »Der Protestantismus und das Judentum«; »Das theologische Programm der ðDeutschen ChristenÐ Š«; »Schuld und Entschuldigung«; » Š Tod Gottes und Sühne«; »Die Rechtfertigung des Sünders«; »Auferstehung der Toten und das ewige Leben«; »Das göttliche Gebot der Feiertagsheiligung und das staatliche Verbot der Sonntagsarbeit«; »Genforschung und Menschenbild«; »Pluralismus in der Kirche«; »Gesellschaftliches Toleranzgebot und religiöse Wahrheitsgewissheit«.

Bemerkenswert ist vor allem die These des Vf.s, dass nicht nur der Glaube, sondern auch die Glaubenswahrheiten ein Geschenk sind, keine eigene Leistung: »Glauben ist kein Krampf. Glauben heißt nicht, verzweifelt Aussagen festzuhalten und zu repetieren, mit denen man nichts anfangen kann. Sondern Glauben heißt: warten können, dass Gott selbst diese Aussagen in mein Leben übersetzt, mir zeigt, wo ich darin vorkomme, was diese Aussagen mit mir machen«. »Zu wissen, dass die eine Wahrheit nicht unser Eigentum ist, sondern eine Gabe, ist die Bereitschaft, nicht selbst zu reden, sondern zu hören, nicht im Besitz der Wahrheit zu sein, sondern sie als Geschenk zu nehmen, nicht zu beharren und festzuhalten, sondern loszulassen, um sich geben zu lassen«, »immer neu auf die fremde Stimme des Geistes zu hören, der allen fremd ist und niemandem aus dem Herzen spricht«. Entscheidend ist, dass wir die biblische Wahrheit immer neu zu hören beginnen.

»Nicht immer selbst zu quatschen. Nicht der Schrift unsere Überzeugungen aufzureden, nur nach Belegen zu suchen, die unsere Meinungen bestätigen und die anderen widerlegen. Sondern wirklich zu hören Š«. »Der Glaube hat nicht die Wahrheit, sondern die Wahrheit hat ihn.« Dadurch wird die Wahrheit nicht relativiert, wie das der theologische und gesellschaftliche Wahrheitsrelativismus und Beliebigkeitspluralismus tut: »Religiöse Überzeugung ist wesentlich intolerant. Religiöse Überzeugungen Š vertragen keine gleichberechtigten Alternativen; das ist nichts, was nur dem Christen eigentümlich ist, sondern das gilt für alle Religionen. Religionen sind wesentlich intolerant«. »Sind wir wirklich überzeugte Christen, dann können wir gar nicht anders, dann müssen wir Š unser Verständnis des Evangeliums als das wahre und eigentliche betrachten, denn dann geht es in unserem Glauben und Bekennen nicht um Nebensächlichkeiten, sondern um alles, um unser ganzes Leben und um unsere Gewissheit im Sterben«. Die Kirche ist nach CA Art. VII geradezu verpflichtet, diese Wahrheit zu bezeugen, damit der Mensch weiß, woran er sich halten muss im Leben und im Sterben: »Dann und nur dann ist eine Gemeinschaft von Menschen die Kirche Jesu Christi, wenn in dieser Gemeinschaft das Evangelium recht, gemäß der Schrift, verkündigt und die Sakramente einsetzungsgemäß verwaltet werden. Nicht dass irgend etwas verkündigt wird, nicht dass es ein Pastor oder Gemeindeeinrichtungen oder einen Kirchenkaffee oder kirchliche Verwaltung gibt, macht die Kirche zur Kirche; auch nicht die Wahrnehmung sozialer Aufgaben, die Diakonie oder die diakonischen Einrichtungen machen die Kirche zur Kirche, kein Kulturauftrag, keine ethischen Prinzipien, kein politisches Programm nach rechts oder links. Zur Kirche wird die Kirche dadurch, dass in einer Gemeinschaft das Evangelium richtig verstanden und richtig verkündigt wird: das Evangelium Š das Wort von dem Gott, der in Christus dem Menschen gnädig ist, ihm die Schuld vergibt und dem, der sich an diese Gnade hängt Š«.

Dabei darf nicht nur das Evangelium, es muss auch das Gesetz gepredigt werden. »Nur durch dies fremde Werk Gottes Š: der Verkündigung des Gesetzes, der Aufdeckung der Heillosigkeit des Menschen vor Gott Š kann es wieder zur Frage nach dem Evangelium kommen. Die Irrelevanz der Kirche in der Welt liegt Š darin, dass die Kirchen und die Pfarrer und Pfarrerinnen sich der Aufgabe entziehen, menschliche Negativerfahrungen als Erfahrungen Gottes zu deuten und auf diese Erfahrungen hin die Liebe Gottes zu verkündigen. Erst wenn wir wieder vom Schweigen, vom Zorn Gottes, von seinem Sich-Versagen zu reden lernen Š, werden wir wieder das Glück des Evangeliums erfahren und vermitteln können«.

Der Vf. kommt zu dem Schluss: »Das Akzeptieren des Andersseins des Anderen ohne Aufgabe der jeweils eigenen Wahrheitsüberzeugung ist die Grundforderung des Zusammenlebens in einer pluralistischen Gesellschaft. Dies erfordert vom Christentum den Verzicht auf den Anspruch, die religiöse Leitkultur darzustellen«. Der Vf. vertritt einen ­ gerade auch in der verwirrenden Situation unserer Kirche und Theologie ­ überzeugenden theologischen Ansatz.

Kritisch zurückzufragen wäre, warum der Vf. von einer »nachchristlichen Gesellschaft« in unserem Land redet, wo doch in ihm eine große Mehrheit Mitglied der Kirche ist. Er sei daran erinnert, wie gern die Feinde des Christentums diesen Begriff benützen, um das Christentum aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen und es zu privatisieren. Unverständlich war mir auch die moderate Beurteilung der Theologie der Deutschen Christen (»Kontextualisierung des Evangeliums«). Diese Theologie war ein Verrat am Evangelium und sie hat sich mitschuldig gemacht an den Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen des NS-Regimes. Schade, dass der Vf. den Tod Gottes nicht in der Rechtfertigungslehre behandelt, wo er hingehört. Sie steht und fällt damit, dass Gott selber am Kreuz das Gericht, das wir verdient haben, auf sich nimmt ­ in seinem Sohn (vgl. Luthers Verortung des Todes Gottes WA L, 590; BSLK, 1030 f.).