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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

777–779

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Fößel, Thomas

Titel/Untertitel:

Gott ­ Begriff und Geheimnis. Hansjürgen Verweyens Fundamentaltheologie und die ihr inhärente Kritik an der Philosophie und Theologie Karl Rahners.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 2004. 1024 S. 8° = Innsbrucker theologische Studien, 70. Kart. Euro 88,00. ISBN 3-7022-2609-5.

Rezensent:

Matthias G. Petzoldt

Im Kontext nachkonziliaren Aufbruchs katholischer Fundamentaltheologie und weit auseinander gehender Neukonzeptionen hat in letzter Zeit der Entwurf des Freiburger Fachvertreters Hansjürgen Verweyen, welcher eine sog. erstphilosophische Begründung der Glaubensverantwortung mit einer Hermeneutik des Zeugnisses (vierfache Thematisierung von traditio) verbindet, viel Aufsehen erregt. Besonders lösten sein Versuch der philosophischen Bestimmung eines letztgültigen Sinnbegriffs sowie seine Interpretation des Osterglaubens vom Tod Jesu als innerster Mitte der Christologie her Debatten aus. In vielen Veröffentlichungen hat Verweyen diese Überlegungen vorgelegt und seit 1991 in seinem »Grundriss der Fundamentaltheologie« unter dem programmatischen Titel »Gottes letztes Wort « (4. Aufl. 2002) gebündelt. Unverkennbar lenkt er dort unter der dreifachen Frage nach der Vernehmbarkeit der göttlichen Offenbarung, nach ihrem geschichtlichen Ergangensein und nach ihrer gegenwärtigen Gültigkeit die katholische Fundamentaltheologie zurück zum neuscholastischen Schema der drei demonstrationes (religiosa, christiana, catholica).

Das Gesamtwerk Verweyens, soweit es bisher vorliegt, ist inzwischen mehrfach zum Gegenstand von Untersuchungen geworden. Auch das anzuzeigende Buch, eine Dissertation an der Bonner Katholisch-Theologischen Fakultät von 2003, stellt ein solches Unternehmen dar. Es verbindet dieses Vorhaben mit dem weitergehenden, die Fundamentaltheologie Verweyens anhand ihrer Auseinandersetzung mit der Theologie und Philosophie Karl Rahners tiefer auszuleuchten. Auch Verweyens Rahner-Kritik hat schon viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, bis dahin, dass deren Ablehnung der Rahnerschen Theorie vom »übernatürlichen Existential« (die Theorie von der apriorischen Strukturiertheit der menschlichen Natur durch die göttliche Gnade verunmögliche eine philosophische Bestimmung der autonomen Vernunft) inzwischen Eingang in die Lexikonartikel zu jenem Theologumenon gefunden hat. F.s Untersuchungen zeigen, wie für Verweyens Überlegungen von der Dissertation an bis heute Rahners Theologie und Philosophie als Negativ-, Gegen- und Hintergrundfolie dienen. Spätestens bei der Bemerkung, Verweyens Kritik ziele darauf ab, »Rahners starkem ­ auch posthum noch wirksamen ­ Einfluss in einem zukünftigen theologischen Diskurs entgegenzuwirken« (964), wird deutlich, dass das vorliegende Buch eine hochbrisante Problemkonstellation in der gegenwärtigen Diskussionslage katholischer Theologie aufgreift. F. ist daher bemüht, zum einen so umfassend wie nur möglich sowohl das Werk Verweyens in den Blick zu nehmen, damit kein Eindruck von einseitiger Darstellung entstehe, als auch Rahners Schriften einzubeziehen, damit Verweyens selektiver Zugriff darauf und dessen einseitige Interpretation der frühen Werke, besonders von »Hörer des Wortes« offensichtlich werde, und zum anderen die eigenen Argumentationen mit einem Höchstmaß an Durchsichtigkeit nachvollziehbar zu halten und minutiös zu belegen. Wenn er dabei so vorgeht, dass er im ersten Teil (21­492) den Ansatz der Fundamentaltheologie Verweyens selbst rekonstruiert und im zweiten Teil (493­966) die Genese seines Werkes noch einmal im Hinblick auf die Abgrenzung zum philosophischen und theologischen Grundansatz Karl Rahners thematisiert, beide Male unter umfangreicher Einbeziehung der Forschungsdiskussionen (Literaturverzeichnis: 967­1024), bleiben Redundanzen nicht aus und schwillt das Volumen des Bandes gewaltig an. Trotz dieser Unförmigkeit ist die Arbeit in den ðInnsbrucker theologischen StudienÐ veröffentlicht worden. Der Grund mag wohl darin liegen, dass mit diesem Buch eine gut durchdachte und umsichtige Rahner-Apologetik, die auch noch versucht, dem Gedankengebäude des Kontrahenten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die Parallelen in der Philosophie und Theologie beider aufzuzeigen, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann.

Kommen schon im ersten Teil bei der Darstellung des Verweyenschen Systems Differenzierungen zwischen dessen »frühen« und »späten« Auffassungen zur Sprache (z. B. 364­377 in der Frage der Gottesbeweise), gelangt F. im zweiten Teil zu einer Periodisierung des Werkes: 1. Erste Phase ­ Formation: Dissertation und erste theologische Schriften (1969­1977); 2. Erste Lokalisation ­ Fundierung: Verweyens »Manifest« zu Ziel, Weg und Aufgabe der Fundamentaltheologie (1981), 3. Zweite Phase ­ Explikation: Präliminarien zu »Gottes letztes Wort« (1981­1990), 4. Zweite Lokalisation ­ Situierung: »Gottes letztes Wort« (1/21991 und 32000), 5. Dritte Phase ­ Diskursive Modifikation: Von »Gottes letztes Wort« bis heute (1991­2002). Sicher ist die diachronische Perspektive hilfreich, um den Entwicklungen und Nuancenverschiebungen in der bei Verweyen durchgehend zu beobachtenden Ablehnung Rahners auf die Spur zu kommen. Trotzdem soll die vorgeschlagene Periodisierung nicht nur auf die Rahner-Rezeption bezogen sein, sondern die Genese des Gesamtwerkes Verweyens durchsichtig machen. Im Hinblick auf Letzteres ist zu sagen, dass zwar die hier kursiv gedruckte Kategorisierung zutreffende und durchaus aufhellende Unterscheidungen vornimmt, die zusätzlich gebrauchte Nomenklatur aber Ratlosigkeit hinterlässt.

Bezeichnet der Phasen-Begriff z. B. im Verhältnis zum Begriff der Lokalisierung eine Überordnung? Wie deutlich lassen sich drei »Phasen« unterscheiden, wenn F. die Themen in der folgenden Phase nur »deutlicher als zuvor herausgearbeitet« sieht (758)? Ein besonders augenfälliges Beispiel für diese Problematik bietet die Behandlung der Abgrenzung gegen das Rahnersche Theologumenon vom »übernatürlichen Existential«. F.s akribische Analysen fördern eine Fülle von Bedeutungsnuancen in Verweyens Kritik zu Tage. Da Verweyen aber schon in seiner Dissertation dem Inhalt nach und von 1974 explizit seine Vorbehalte gegen Rahners Theorie vorgetragen hat, kommt auch F.s Untersuchung sehr bald darauf zu sprechen, und nicht erst bei der Thematisierung der zweiten Phase, in deren Zeitraum Verweyens Antrittsvorlesung an der Universität Freiburg (am 4. Juni 1985) unter dem Thema »Wie wird ein Existential übernatürlich?« fällt. Um störende Redundanz zu vermeiden, erwähnt F. jedoch an der betreffenden Stelle seiner Untersuchung nur jenes Ereignis mit dem Hinweis: »Da Verweyen alle wesentlichen Punkte seiner 1985 vorgetragenen These in seinen ðGrundrissÐ aller Auflagen übernommen hat, werde ich sie im Rahmen von ðGottes letztes WortÐ erörtern« (773), was dann in aller Ausführlichkeit erfolgt (775­940). Frage: Wie zutreffend ist angesichts solcher Rekonstruktion von Kontinuität noch eine »Phasen«-Unterscheidung?

Aus evangelischer Perspektive hält das Buch (trotz seiner ermüdenden Längen) streckenweise eine spannende Lektüre bereit, wenn man das so grundsätzlich und heftig geführte Ringen in der gegenwärtigen katholischen Fundamentaltheologie mitverfolgt. Das Engagement, mit dem sich F. auf die Debatten einlässt, die enorme analytische Leistung seiner Untersuchungen sowie der geballte argumentative Scharfsinn, mit dem er die Tiefen der Positionen auslotet und selbst nach Problemlösungen sucht, fordern schon Bewunderung ab. Dennoch nimmt der evangelische Leser und Zeitgenosse des 21. Jh.s mit einigem Befremden wahr, dass sich junge katholische Theologen offenbar nur unter allergrößter Kraftanstrengung den Rückwendungen zur scholastischen Weise der Unterscheidung von Natur und Gnade erwehren können. Zwar hat Verweyen jener Rückorientierung mittels erstphilosophischer Rekonstruktion einer ðautonomen VernunftÐ in den Denkbahnen Fichtescher Subjektlogik einen modernen Anstrich zu geben versucht. Doch lebt solche Modernität von den Anleihen bei dem aufklärerischen Konstrukt der einen und allgemeinen Vernunft, die an der Argumentenbörse etwa einer expressiven Vernunft (Robert B. Brandom) schon lange ihren Wert verloren haben. Für die katholische Fundamentaltheologie wäre es ein Hemmnis, wenn ihr durch den wirkmächtigen Einfluss rückwärtsgewandter Orientierungen der Diskurs mit der Pluralität von Rationalitäten verstellt würde.