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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

771–773

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kläden, Tobias

Titel/Untertitel:

Mit Leib und Seele Š Die mind-brain-Debatte in der Philosophie des Geistes und die anima-forma-corporis-Lehre des Thomas von Aquin.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2005. 393 S. m. Tab. gr.8° = ratio fidei, 26. Kart. Euro 44,00. ISBN 3-7917-1960-2.

Rezensent:

Karin Scheiber

In der 2004 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster angenommenen Dissertation unternimmt der Vf. den Versuch, die aristotelisch geprägte Seelenlehre des Thomas von Aquin und die aktuelle Leib-Seele-Diskussion in der analytischen Geistesphilosophie in zweifacher Hinsicht miteinander ins Gespräch zu bringen: Zum einen ist zu fragen, wo sich der thomanische Ansatz in der gegenwärtigen geistesphilosophischen Diskussionslage einordnen lässt und welche Anregungen er ihr zu bieten hat. Zum anderen sind die Anfragen aufzunehmen, die sich aus der Leib-Seele-Debatte und den Ergebnissen der neueren Hirnforschung an Thomas¹ Theorie der Seele ergeben.

Einleitend bemerkt der Vf. (im Anschluss an Dirk Hartmann), dass »[t]ypische Einstiege zu einem Thema Š oft mit dem Hinweis [beginnen], das Thema habe ðimmer schon die Gemüter bewegtÐ, oder es mache ðneuerdings FuroreÐ, oder es werde ­ zu Unrecht ­ ðstiefmütterlich behandeltЫ, und kommt zum Ergebnis, dass für das Leib-Seele-Problem alle drei Aussagen zutreffen (15): Es blickt auf eine lange Tradition bis in die Antike zurück, gehört gegenwärtig zu den am intensivsten diskutierten Themenfeldern der (analytischen) Philosophie und findet gleichzeitig in der Theologie fast überhaupt keine Beachtung. Es ist ein Verdienst der Arbeit, dieser Vernachlässigung entgegenzutreten. Die Leib-Seele-Thematik ist theologisch von erheblicher Bedeutung (z. B. für die Frage der postmortalen Identität). Von vornherein anzunehmen, die geistesphilosophischen Debatten seien für die Theologie ohne Ertrag, wäre eine überhebliche Haltung, umgekehrt anzunehmen, die Theologie habe nichts Substanzielles zu diesen Debatten beizutragen, zeugte von falscher Bescheidenheit. Dem Vf. gelingt es, an beiden Klippen vorbeizusegeln und Philosophie und Theologie als vollwertige Gesprächspartner miteinander in einen Dialog treten zu lassen.

Nach einigen terminologischen Klärungen äußert sich der Vf. im ersten, einleitenden Kapitel zur Relevanz und zur wissenschaftlichen Grundlegung des Dialogs zwischen theologischer Anthropologie und Geistesphilosophie und zwischen Theologie und Naturwissenschaften. In Bezug auf den Dialog zwischen Theologie und Philosophie plädiert der Vf. für ein »Modell der konvergierenden Thematiken«: »Danach behalten beide wissenschaftlichen Partner ihre Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und prinzipielle Gleichwertigkeit, können sich aber in bestimmten Konvergenzpunkten treffen, an denen sie möglicherweise konflikthaft aufeinander treffen, an denen aber auch ein doppelter Dialog möglich wird« (49).

Zu diesem doppelten Dialog kommt es im vierten, inhaltlich zentralen Kapitel. Die Grundlagen dazu werden im zweiten und dritten Kapitel gelegt, welche der Erarbeitung der Seelenlehre des Thomas von Aquin und der analytisch-geistesphilosophischen Behandlung des Leib-Seele-Problems gewidmet sind.

Im zweiten Kapitel wird anhand geeigneter Textpassagen die thomanische Seelenlehre erarbeitet. Diese ist als Hylemorphismus durch die Formel »anima forma corporis« charakterisiert, wobei Form und Materie nicht als quantitative Bestandteile, sondern als »Aspekte« (ebd.), »Wesensbestandteile« (118) einer Seinseinheit zu verstehen sind und im Verhältnis von Akt und Potenz zueinander stehen. Anders als platonisierende dualistische Vorstellungen sieht Thomas den Menschen als »sinnlich-intellektuelle Einheit« und »Leib und Seele als gleichursprüngliche Wesensbestandteile des einen Menschen« (122; Hervorhebung im Original).Im dritten Kapitel bietet der Vf. eine umfangreiche und detaillierte Einführung in die analytisch-geistesphilosophische Auseinandersetzung um das Leib-Seele-Problem. Nach der Darstellung verschiedener Gliederungsmöglichkeiten des Leib-Seele-Problems werden der Reihe nach die verschiedenen Positionen (Substanzdualismus, semantischer Physikalismus, Identi- tätstheorie, Funktionalismus, qualia-basierte Argumente gegen den Physikalismus, nichtreduktiver Physikalismus und eliminativer Materialismus) dargestellt. Als Ergebnis dieses ausführlichen Durchgangs hält der Vf. fest, dass keine der untersuchten Positionen gegenüber den anderen eindeutig überlegen wäre. Jede sei »von nachvollziehbaren und ehrenwerten Motiven geleitet« (302), enthalte zugleich aber auch Schwierigkeiten. Damit münde die Debatte in eine »Sackgasse« (305). In dieser Situation biete die Auseinandersetzung mit dem thomanischen Ansatz eine Chance, stelle dieser doch »eine Fremdperspektive sowohl in chronologischer als auch ­ als theologisch bestimmter Ansatz ­ in systematischer Hinsicht« dar (303).

Damit kommt der Vf. zum angekündigten »doppelten Dialog« im vierten Kapitel. Er sieht den thomanischen Hylemorphismus in einer »Zwischenstellung zwischen Dualismus und Physikalismus« (313) und damit als »Alternative zum kartesischen Weltbild« (312). Die thomanische Seelenauffassung stehe quer zum Gliederungsschema der Positionen zum Leib-Seele-Problem (315). Die größte Nähe ortet der Vf. zu einem Aspekt-Dualismus, bzw. Aspekt-Pluralismus (324), etwa einer aspekt-dualistischen Lesart der Identitätstheorie bei Michael Pauen (Das Rätsel des Bewusstseins, 1999; 326). Um einer reduktionistischen Interpretation der Identitätsthese vorzubeugen, sei jedoch für den Begriff der Einheit (statt dem der Identität) zu plädieren (327).

Im zweiten Durchgang des doppelten Dialogs fragt der Vf., welche Anfragen sich von der aktuellen mind-brain-Debatte an die thomanische Konzeption ergeben. Er vertritt die Auffassung, dass die thomanische Theorie, insbesondere in ihrer Weiterentwicklung durch Karl Rahner und Béla Weißmahr, auch im Lichte der Erkenntnisse moderner Hirnforschung vertretbar bleibt, und verteidigt sie gegen den Vorwurf, eine veraltete Substanzontologie zu implizieren.

Im abschließenden kurzen fünften Kapitel zieht der Vf. das Fazit, »dass Thomas¹ Ansatz keineswegs als veraltet oder unverständlich zu bezeichnen ist« (341), sondern für die aktuelle Leib-Seele-Debatte insofern bedeutsam ist, als sie »eine kohärente Alternative zur kartesischen Dichotomie zwischen Dualismus und Physikalismus« (ebd.) bietet.

Wer sich aus der Perspektive einer aktuellen Debatte mit Thomas oder aber aus theologischer Perspektive mit einem zentralen Gegenstand der gegenwärtigen Geistesphilosophie (weiter) befassen will, findet hier einen gehaltvollen Beitrag von bemerkenswerter sprachlicher und argumentativer Klarheit vor. Der Gedankengang ist nachvollziehbar und einleuchtend strukturiert, sowohl auf die einzelnen Ausführungen wie das Ganze des Buches bezogen. Der Durchgang durch die verschiedenen Positionen des Leib-Seele-Problems bietet eine nahezu vollständig zu nennende Einführung in die aktuelle Geistesphilosophie anhand dieser Problemstellung.

Wer mit den Fragestellungen und Argumentationsrichtungen in der Geistesphilosophie bereits vertraut ist, braucht diese Einführung nicht; wer es nicht ist, steht in Gefahr, »vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen«. Hier wäre die exemplarische Beschränkung auf jene Position, zu der der thomanische Ansatz nachher ins Verhältnis gesetzt wird (Identitätstheorie und Aspektdualismus), unter Hervorhebung der charakteristischen Differenzen zu anderen Positionen, für die Fokussierung auf das gesetzte Thema hilfreicher gewesen. Ebenfalls erscheint der »doppelte Dialog« in einem gewissen Ungleichgewicht. Für den Vf. scheint Thomas mehr für die Weiterentwicklung der aktuellen geistesphilosophischen Leib-Seele-Debatte beisteuern zu können als umgekehrt diese für die Weiterentwicklung des thomanischen Ansatzes.