Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

767–769

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Burrell, David

Titel/Untertitel:

Faith and Freedom. An Interfaith Perspective.

Verlag:

Oxford: Blackwell 2004. 266 S. gr.8° = Challenges in Contemporary Theology. Kart. £ 19,99. ISBN 1-4051-2171-8.

Rezensent:

Ulrich L. Lehner

Das Werk ist eine Auswahl von Aufsätzen, die der Vf. ­ einer der bedeutendsten katholischen Philosophen der englischsprachigen Welt (University of Notre Dame) ­ während der letzten 20 Jahre publiziert hat, gegliedert ist das Buch in drei Teile. Dabei steht die Verbindung philosophischer Gedanken aus der Tradition von Judentum, Christentum und Islam im Zentrum.

Der erste Teil umfasst Arbeiten zur Relation von Schöpfer und Schöpfung (1­126). Im ersten Beitrag (1­19) geht es dem Vf. zum einen um den Erweis, dass die thomanisch konzipierte Ewigkeit Gottes aus seiner Simplizität emergiert, zum anderen, dass letzteres Konzept der Kritik der Prozessphilosophie standhält, weil es nicht eine Marginalie am Gottesbegriff darstellt, sondern auf den Kern der göttlichen Vollkommenheiten, das »esse« selbst, hinweist (18). Das wird bei Thomas aber durch und durch intentional gedacht, so dass sich sehr wohl eine Relation zur Welt aussagen lässt, die im Gegensatz zu Whitehead eine »Einladung zum beständigen Leben in der Gegenwart Gottes« (18) darstellt. Der zweite Artikel (20­33) erschließt die Lehre von der Unerkennbarkeit Gottes nach Al-Ghazali. Gegen eine rein »vernünftelnde« Gotteserkenntnis ordnete der islamische Denker diese dem »Herzen« zu: »So wie der diskursive Verstand nur richtig funktioniert, wenn er im Dienst des Herzens steht, so ist es auch die individuelle Antwort des Menschen auf die göttliche Einladung, Gottes Diener zu werden, die Al-Ghazalis philosophische Untersuchungen leitet« (24). Damit wird die philosophische Gotteserkenntnis in Umfang und Methode stark limitiert, was der Vf. begrüßt. Das dritte Kapitel untersucht detailliert, warum man nicht Thomas¹ Metapher vom Künstler auf Gott anwenden und so sein Wissen um die Schöpfung als wesenhaft praktisch bezeichnen kann. In diese Diskussion bezieht der Vf. auch Maimonides und Gersonides mit ein (34­42). Im Anschluss daran erhält der Leser eine Einführung in die Gedanken von Maimonides, Gersonides und Thomas über die Lehre von der Vorsehung und dem Übel (43­63). Hier ist vor allem hervorzuheben, dass der Vf. zu Recht betont, dass das primäre Bild Thomas von Aquins für die Vorsehung nicht das des auf dem Berg sich befindenden Beobachters, sondern vielmehr des Künstlers in Beziehung zu seinem Kunstwerk ist, was unter anderen Vorzeichen ­ im deutschen Sprachraum völlig übersehen ­ vor allem Dorothy Sayers in »Mind of the Maker« herausgestellt hat. Während Maimonides geradezu peinlich darauf geachtet hatte, Gottes Wissen von dem des Menschen radikal zu trennen, scheint es bei Gersonides nur mehr ein in Quantität verschiedenes Wissen zu sein (52). Thomas¹ Anleihen bei Maimonides behandelt der folgende Beitrag (64­75). Darin wird deutlich, dass Maimonides¹ genanntes Anliegen in Thomas¹ Lehre vom göttlichen Diskurs aufgenommen wird, der zum einen den geschaffenen Dingen innerlicher ist als diese sich selbst, sich aber zugleich dem diskursiven Verstand entzieht, weil er nicht vom geschaffenen Ding getrennt werden kann (71). Der sechste Artikel umfasst eine Analyse der Begriffe »Schöpfung« und »Aktualismus« (77­90), in der die Antipathie des Vf.s gegenüber der skotistischen Tradition besonders deutlich wird. Denn er weist darauf hin, dass für Thomas Gott nicht verschiedene »mögliche Welten« konzipiert und eine von ihnen realisiert habe. Vielmehr geht für Thomas keine Möglichkeit Gott voraus (78.82). »Nichts erlaubt es uns, die göttliche Freiheit, anders schaffen zu können, als Selektion von bereits bestimmten Möglichkeiten zu beschreiben« (83). Für den Vf. stellt der Skotismus die Möglichkeit über die Realität, womit er »Aktualität« zu einem ­ im Gegensatz zu Thomas ­ leeren Begriff degradiert, denn es wird unter ihm nur mehr die Eigenschaft verstanden, die ihn von unverwirklichten Möglichkeiten unterscheidet: »Oder anders gesagt: Wenn das, was existiert, alles ist, was wir haben, und das, was möglich ist, ein Parasit darauf, dann wird eine weitere Dimension zur Kontingenz hinzugefügt.« (86) Diese Kritik findet ihre Fortsetzung in einer klar herausgearbeiteten Gegenüberstellung von Thomas und Scotus (91­112). Während für Thomas das Objekt des Wissens die Natur ist, die in körperlicher Materie existiert, ist es für Scotus die Wesenheit (93). Anders gesagt: Für Thomas ist der Intellekt bestrebt, das Sein zu entdecken, für Scotus eine individualisierende Wesenheit. Dieser Unterschied wirkt sich auch auf den Sprachgebrauch aus: Während für den Aquinaten Existenz als Aktivität begriffen wird (Lonergan), die sich in Strukturen ausdrückt, sind für Scotus die Strukturen primär und zwar hinsichtlich der Frage, ob sie auch anders sein könnten (99). Für Letzteren gibt es in der Auslegung des Vf.s demnach keine Notwendigkeit für eine distinkte Aktivität des Urteilens, wie man sie bei Thomas findet (und wie sie etwa Lonergan herausstellt), auch nicht die Verifizierung eines Individuums, »da (im Prinzip wenigstens) das Individuum die erkennbare Seite seiner aktuellen Existenz darstellt« (101). Die Frage, die daraus folgt, ist die, ob eine philosophisch präzise Sprache univok oder analog gestaltet sein soll (101).

»Thomas will und muß die analogischen Ressourcen der Sprache ausschöpfen, weil Sprache für ihn das menschliche Instrument der Erkenntnis ist und das individuell existierende Ding das paradigmatische Objekt seiner Erkenntnis darstellt. Was auch immer gesagt wird, um erkannt zu sein, muß unter Berücksichtigung dieses paradigmatischen Objekts gesagt werden. Dies impliziert, daß unsere Erkenntnis erst im Urteil komplettiert wird, das uns mit der aktualen Welt verbindet. Š Scotus betrachtet zwar die Sprache auch als Instrument menschlicher Erkenntnis Š, allerdings kennt er ein anderes Objekt des Erkenntnis. Und weil das Wesen absolut von der Existenz abgeschnitten wird, besteht für ihn auch keine Notwendigkeit für eine Sprache, die auf ein solches Objekt analog angewandt werden müßte. Š [G]enauere Beachtung des Sprachgebrauchs, oder Versuche, Nuancen von Interpretationen auszuloten, werden [dem Skotisten, Rez.] daher als überflüssig erscheinen« (102; vgl. auch 104 f.). Nach diesem Statement überrascht auch nicht mehr die Polemik, dass die skotistisch orientierte zeitgenössische Philosophie nur willkürlichen Intuitionen folge (105). Der achte Beitrag schließlich behandelt die thomanische Analogielehre, über die der Vf. bereits in der Vergangenheit bedeutende Monographien vorgelegt hat (113­126).

Der zweite Teil des Bandes, der Einzelproblemen von göttlicher und menschlicher Freiheit gewidmet ist (127­189), beginnt mit einer Einführung, die mittelalterliche Theorien über die Relation der beiden Freiheitssphären analysiert (129­142). Einen exzellenten Überblick über das Freiheitsproblem in den abrahamitischen Traditionen liefert der nächste Beitrag (143­155), auf den ein Beitrag über Al-Ghazalis Verständnis kreatürlicher Freiheit folgt (156­175). Der wichtige Artikel über Schöpfung, Wille und Wissen bei Thomas und Scotus (177­189) ist eine luzide Zusammenfassung der Hauptpositionen beider. Das Talent des Vf.s, thomanische und skotistische Theorien gegeneinander »duellieren« zu lassen, ist auch hier hervorzuheben.

Der dritte Teil umfasst Beiträge zum interreligiösen Gespräch (193­257). Besonders hervorzuheben ist dabei die Arbeit zu Inkarnation und Schöpfung als verborgene Schlüsselkategorien thomanischen Denkens. Der Vf. macht etwa deutlich, dass die chalcedonensische Zweinaturenlehre erst bei Thomas ihre vollendete Darstellung findet, indem »inconfuse« jeden Pantheismus und »indistincte« die Möglichkeit kreatürlich-autonomen Handelns abseits von Gott (238) zurückweist. Die Kritik an Moltmann, Bultmann und Jüngel auf Grund ihrer Schöpfungsvergessenheit macht hellhörig: Ihr Gott sei von der Welt völlig abgeschnitten ­ außer im Tode Jesu (242). Die kritisiert der Vf. heftig, da er damit auch wesentliche Einsichten der Trinitätslehre in Gefahr sieht. Aufgabe der Theologie sei es vielmehr, Christusdrama und Weltgeschehen miteinander zu verknüpfen (243).

Die Sammlung beleuchtet auf unterschiedlichen Ebenen eindrucksvoll die Thematik von Freiheit und Schöpfung, vornehmlich inspiriert durch das Denken des hl. Thomas sowie Bernard Lonergans. Wer außerdem eine analytisch klare Gegenüberstellung von Thomas und Scotus ­ wenn auch nicht ganz frei von Polemik ­ sucht, ist ebenfalls mit diesem Buch gut bedient. Nicht verschwiegen werden dürfen aber die ständigen Wiederholungen, die auf Grund der Konzeption als Aufsatzsammlung unausweichlich waren, aber das Buch nicht immer zu einer spannenden Lektüre machen.