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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

762–764

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Spencer, Archibald James

Titel/Untertitel:

Clearing a Space for Human Action. Ethical Ontology in the Theology of Karl Barth.

Verlag:

New York-Washington/Baltimore-Bern-Frankfurt a. M.-Berlin-Brussels-Vienna-Oxford: Lang 2003. VIII, 341 S. gr.8° = Issues in Systematic Theology, 10. Geb. Euro 80,30. ISBN 0-8204-5584-9.

Rezensent:

Alexander Dietz

Mit seiner 2003 unter dem Titel »Clearing a Space for Human Action« erschienenen Dissertation leistet Archibald James Spencer einen interessanten Beitrag zur Barth-Forschung. S. liefert zunächst einen Überblick über die Geschichte und aktuelle Situation der Barth-Interpretation und stellt fest, dass die einflussreiche These Hans Urs von Balthasars von zwei abgrenzbaren Phasen (Dialektik und Analogie) in Barths theologischer Entwicklung zu einer Leugnung des Vorhandenseins einer adäquaten ethischen Ontologie in Barths vordogmatischer Periode geführt habe (72). Insbesondere dem frühen Barth werde häufig eine Annihilation des menschlichen Subjekts und der menschlichen Handlungsfähigkeit vorgeworfen.

Demgegenüber möchte S. zeigen, dass sich im Blick auf Barths Anthropologie und Ethik Linien der Kontinuität von den frühen Schriften bis zur »Kirchlichen Dogmatik« nachweisen ließen, wodurch ein Bild seiner Ethik als umfassender ethischer Ontologie durch seine gesamte theologische Laufbahn hindurch deutlich werde (2). Barth vertrete eine theologisch-spezifische, jedoch grundsätzlich positive Auffassung des menschlichen Subjekts und des menschlichen Handelns, und zwar in ihren Wurzeln schon in den frühen Schriften, wenngleich sie dort nur schwer erkennbar ist auf Grund der damaligen Notwendigkeit für Barth, sich zunächst von den diesbezüglichen Vorstellungen der liberalen Tradition deutlich abzugrenzen.

S. knüpft mit seinem Beitrag ausdrücklich an die Forschungsergebnisse Eberhard Jüngels, Bruce McCormacks und John B. Websters an. Jüngel bereitete durch seine Interpretationen den Weg für eine positivere Bewertung der Anthropologie Barths sowie für eine Infragestellung der Dichotomie-These Balthasars. Darauf berufen sich McCormack, der Barths theologische Entwicklung nach dem Bruch mit der liberalen Theologie als linear betrachtet, und Webster, der Barths Anthropologie als ethische Ontologie deutet, in der das menschliche Individuum einen Raum zum Handeln mitbekommt. Webster vertritt die These, dass Barth in seinen frühen Schriften mit modern-idealistischen Konzeptionen des menschlichen Subjekts aufräumen will, um von da aus zu einer positiven theologischen Beschreibung des menschlichen Subjekts als eines »self-positing agent« zu gelangen, die eine Grundlage für die spätere Beschreibung des handelnden Menschen in der »Kirchlichen Dogmatik« bildet. Diese These möchte S. in seinem Buch prüfen und erhärten (89).

S. beschäftigt sich nun chronologisch mit den wichtigsten Schriften Barths, um im Blick auf Barths Anthropologie und Ethik durchgehende Linien aufzuweisen. Er legt dar, dass Barth im Aufsatz »Die Gerechtigkeit Gottes« von 1916 dem menschlichen Willen und dem Gewissen schon eine ähnliche Deutung und Bedeutung wie in der »Kirchlichen Dogmatik« zugewiesen habe. Im Aufsatz »Der Christ in der Gesellschaft« würden die entscheidenden Grundgedanken Barths im Blick auf menschliches Handeln und Ethik schon deutlich, wobei Barth sich bemühe, menschliches Handeln in christologisch begründeten Begriffen zu beschreiben, die sich sowohl liberal-protestantischen als auch religiös-sozialistischen Beschreibungen verweigern. Im Aufsatz »Das Problem der Ethik in der Gegenwart« von 1922 beschreibe Barth, wie die Vollkommenheit des göttlichen Handelns, gerade indem sie menschliche Handlungen relativiere, den Menschen zu einer Lebensweise befreie, die in ihrer Abhängigkeit von Gottes Handeln wahrhaft menschlich sei. Durch seine intensive Beschäftigung mit der reformierten Tradition Anfang der 20er Jahre habe Barth wichtige Impulse für seine dauerhafte Beurteilung des Gott-Mensch-Verhältnisses sowie der Zusammengehörigkeit von Dogmatik und Ethik gewonnen. Diese Beispiele zeigen nach S., dass Barth auch schon vor der »Kirchlichen Dogmatik« ein großes Interesse an Anthropologie und Ethik gehabt habe und dass in seinen frühen Schriften die Ansätze für seine späteren Vorstellungen bereits enthalten sind.

Weder beginne, so S., mit der zweiten Auflage des »Römerbrief« eine neue dialektische Phase in Barths theologischem Denken noch vollziehe Barth mit dem Buch über Anselm von Canterbury »Fides quaerens intellectum« eine methodologische Wandlung von der Dialektik zur Analogie. Vielmehr müssten die Methoden der Dialektik und Analogie dem theologischen Anliegen, nämlich der Frage nach dem Gott-Mensch-Verhältnis in Barths Behandlung der Eschatologie, Christologie, Schöpfungslehre und Erwählungslehre, untergeordnet werden. In seiner »Göttinger Dogmatik« habe Barth theologische Schlüsselentscheidungen zur christologischen Begründung von Ethik und Anthropologie getroffen, denen er sein ganzes Leben lang treu geblieben sei. Insbesondere in seiner »Ethik« betone Barth die Einsicht, dass menschliches Handeln nur im Lichte von Gottes Handeln angemessen beschrieben werden könne. Die Subjekthaftigkeit des Menschen werde nicht in Frage gestellt, sondern lediglich anders gedeutet als in der liberalen Tradition. Die »Ethik« stellt nach S. die natürliche Überleitung von Barths frühen ethischen Schriften zu den ethischen Teilen der »Kirchlichen Dogmatik« dar (198).

Vor dem Hintergrund seiner tiefen Einsicht in die »co-inherence« von Dogmatik und Ethik füge Barth, so S., viele der in den früheren Schriften behandelten Themen in der »Kirchlichen Dogmatik« nun in ein ethisches Konzept ein. Barth leugne nicht menschliches Handeln, sondern nur als von Gott unabhängig gedachtes menschliches Handeln. Das Handeln des Menschen könne für Barth nur als Teilnahme daran verstanden werden, was Gott für ihn tut (266). Der Mensch ist Subjekt in einer abhängigen Beziehung zu Gott, innerhalb derer er Gott im Gebet um das bittet, was nur Gott ihm geben kann und will. In dieser ihm angemessenen Form kann und soll der Mensch aktiv handeln (298).

S. resümiert: Barths Verhältnisbestimmung von Dogmatik und Ethik führe zu einer ethischen Ontologie, die sich von den frühen Schriften bis zur »Kirchlichen Dogmatik« durchziehe. Als Voraussetzung für diese ethische Ontologie habe Barth das Feld ethischer Argumentation zunächst von modernen Beschreibungen des handelnden Menschen säubern müssen. Barth habe sich insofern von Anfang an einer theologischen Neu-Beschreibung des Menschen als ethisch Handelndem verpflichtet. Das »Nein«, das die frühen Schriften Barths beherrscht habe, stelle sich als »Ja« zur ethischen Frage heraus, als ein »Ja«, das sich von Gottes Handeln her für das menschliche Handeln ergibt (302).

S.s Buch ist auf Grund der schlichten Sprache gut lesbar, wenngleich die inhaltlichen Wiederholungen mitunter etwas überhand nehmen. Zwar liefert die Abhandlung letztlich nicht viel grundlegend Neues, aber der Leser gewinnt einen guten Überblick über das Thema, und die sorgfältige Auseinandersetzung S.s mit den einzelnen Schriften Barths wirkt durchaus anregend.