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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

760–762

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Richardson, Kurt Anders

Titel/Untertitel:

Reading Karl Barth. New Directions for North American Theology.

Verlag:

Grand Rapids: Baker Academic Press 2004. 246 S. gr.8°. Kart. US$ 21,99. ISBN 0-8010-2729-2.

Rezensent:

Christofer Frey

Die Monographie des in Basel promovierten und an der McMaster University in Hamilton/Ontario lehrenden Theologen setzt sich aus einer Einführung und sieben Studien zusammen, die als Kapitel zu betrachten, aber kaum durch ein zusammenhängendes Argument verbunden sind. Darum betrachtet sich die Rezension als eine Art Rekonstruktion dessen, was R. vermutlich will.

Das Anliegen des Buches ist es, eine genuin verstandene Theologie Karl Barths als Quelle ðevangelischerÐ (ðevangelicalÐ) Theologie für den amerikanischen Kontext vorzustellen und damit ein fundamentalistisches Missverständnis des ðevangelicalÐ abzuwehren. Zu diesem Zweck sucht R. einen Leitfaden für das Werk Barths, der sich vor allem an der umstrittenen Tauflehre bewähren soll. Dieses Anliegen führt er in Auseinandersetzung mit nordamerikanischen Barth-Exegeten (vor allem George Hunsinger, Graham Ward, John Webster) durch.

Dieser Leitfaden findet sich in knapper und konziser Formulierung auf S. 161: Es gehe darum, das trinitätstheologische Wissen von Gott christologisch vermittelt zu verstehen und von anderen Theologien zu unterscheiden, um daraus die Methode theologischen Arbeitens zu gewinnen ­ ausgehend von der Wirklichkeit Christi, des Wortes Gottes (inkarniert, schriftgebunden, verkündigt).

R. erläutert sein Anliegen vor allem anhand der Probleme 1. der Prolegomena bzw. der Fundamentaltheologie (vor allem 19 ff.70 ff.90 ff.), 2. der Dogmatik und der Ethik.

Zum Ersten: Es geht um die Vermittlung in den amerikanischen Kontext. Lindbecks kulturistisch-linguistischer Ansatz ist für R. wichtiger als der ebenfalls von Lindbeck vorgestellte kognitiv-propositionale und der erfahrungsbezogen-expressive Weg, wird aber als synchronistisch kritisiert (16 ff., vor allem 20 ff.). R. folgt dem Anliegen der Yale-School, eine ðevangelischeÐ Theologie zu sichern (73 ff.). Offenbar könnte die Abwesenheit einer in der natürlichen Theologie gründenden Fundamentaltheologie als Einladung zu subjektivistischen Grundannahmen missverstanden werden. R. will im Übrigen nicht bei der Synchronie stehen bleiben, sondern eine diachrone Interpretation Barths sichern. Deshalb entfaltet er mit Ward (43 ff.) ein gewisses Interesse an Derrida und Lévinas und an der Postmoderne überhaupt (32 ff.), aber möchte einen apologetischen Anschein meiden (52).

Das Anliegen scheint nun auf eine Art übersubjektiver Objektivität in der ðagencyÐ des dynamischen Wortes Gottes hinauszulaufen, die offenbar mit dem amerikanischen Pragmatismus und Fallibilismus (90 ff.98 ff.) konvergiert; und das gilt besonders, wenn die Erkenntnis nicht allein Schiedsrichter über die Konstitution menschlichen Wissens ist.Zu fragen ist allerdings, ob die latente Zweiteilung der Wirklichkeit in ðempirisch und psychologischÐ (oder narrativ) ­ wie es häufig in angelsächsischer Tradition der Fall ist ­ das letzte Wort haben darf oder ob nicht vielmehr eine multiperspektivische Sicht der Gesamtwirklichkeit (einschließlich der theologisch gedeuteten Sachverhalte) und somit einer Anleitung zur perspektivischen Orientierung in transzendentaler Absicht die Grundlage bilden müsste, zumal Barth in seinen Studienjahren am ehesten ein Kantleser war. Könnte die ðKirchliche DogmatikÐ nicht eine verborgene transzendentale Dimension haben? Das dürfte heute vor allem in Auseinandersetzung mit Subjekttheorien deutlich werden, die jedoch im nordamerikanischen Horizont ohne Bedeutung sind.

Zum Zweiten: Dies spiegelt sich in einer zum Teil genetisch gestalteten und damit an einer Zielvorstellung ausgerichteten Interpretation des Ansatzes der Barthschen Dogmatik und der Ethik. Mit Barth befragt R. kritisch das Unternehmen der Prolegomena (131 ff.), die Gott nicht als Gott erkennen können. Deshalb ist der Ansatz der Dogmatik nicht in einer ihr äußerlichen Sicht zu suchen, sondern von innen heraus aus Gottes Selbstmitteilung (self-communication, 132), offenbar ein dritter Ansatz neben empirisch entworfener Objektivität und idealistischer Subjektivität.

Die ðevangelischeÐ Theologie ist dann in der Christologie fundiert, die sich (mit Jüngel) auf die dreigliedrige Formel [Gott] ðextra nos ­ pro nobis ­ in nobisÐ beruft. R.s These zielt auf das ðin nobisÐ, das durch Gott ­ und seinen Geist ­ und nicht durch Sakramente hergestellt wird. Nur so ist gewährleistet, dass das menschliche Wesen Subjekt seines eigenen Aktes ist, und das offenbar auch in seiner Neigung und seinen Ausrichtungen. Angesichts der von Gehirnforschern angezettelten Debatte über Freiheit und Determinismus kann das nicht laut genug gesagt werden. Die Luthersche ðpassivitasÐ im Glauben muss eine Eigenverantwortung des Glaubenden ein- und aufschließen. Aber diese Konsequenz zielt zum Teil über die Monographie hinaus.

Um dieser Absicht willen konzentriert sich R. auf Barths Tauflehre. Die Taufe sei ein Ereignis, aber schließe zwei Subjekte und zwei Akte ein (64). Mit Jüngel sei festzustellen, dass sich der späte Barth im Sinne der Rechtfertigungslehre korrigiere. Zu bedauern ist, dass Überlegungen im Blicke auf die Leibhaftigkeit des Wortes und auf sein Schöpfungsmedium fehlen, so dass die die Kognition überschreitende Sicht (s. o.) hier kein Echo hat. Die zwei Subjekte verlangen nicht nur die Initiative Gottes, sondern gerade auch die Gemeinschaft Gottes und der Menschen. Deshalb erfährt Hunsinger Kritik, weil er diese um der soteriologischen Eingliederung der Menschen willen vernachlässigt habe. Barths späte Tauflehre ist für R. keine Inkonsequenz.

Ihre Verteidigung nimmt gelegentlich merkwürdige Züge an, zum Beispiel wenn R. nicht mit Hilfe einer ðsakramentalen LogikÐ kritisiert werden dürfe, weil er diese abgelehnt habe (204, gegen Webster).Das letzte Kapitel akzentuiert gegenüber der bisher hervorgehobenen Kontinuität im Wandel eine Veränderung, die die Frage des Neuen berührt, das allerdings nicht immer erreicht wird. (Thema Israel oder auch Homosexualität, 218 ff.). Im Blick auf die gesamtamerikanische Szene und den Erfolg der Sekten, die heute das Epitheton ðevangelicalÐ monopolisieren wollen, bezeugt R. einen Optimismus, dass diese in den breiten evangelischen Strom, der sich am Glaubensbekenntnis ausrichtet, zurückkehren werden (216).

R.s Werk ist instruktiv, weil es Fragen berührt, die nicht nur die nordamerikanische Diskussion betreffen. R. wäre zu fragen, ob nach entfaltetem Entwurf ­ also nach dem Erreichen einer pneumatologischen Sicht ­ nicht die Frage der Prolegomena, gleichsam als Postlegomena, wieder gestellt werden kann und damit das Problem, was denn ðWort GottesÐ im Kontext unserer endlichen linguistischen und kulturphilosophischen Einsichten bedeute. Das muss keineswegs apologetisch verstanden werden. R. belässt es bei Andeutungen.

Dieser Versuch einer Rezension wollte ein Puzzle aus sehr fragmentarischen Einzelteilen zusammensetzen. R. müsste eigentlich eine zweite Ebene in seinem Text mitlaufen lassen, auf der die Weichenstellungen angekündigt und verdeutlicht werden. Neben diesem formalen Mangel ist auch festzustellen, dass manche griechische Zitate aus dem Neuen Testament sehr fehlerhaft sind.