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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

747–750

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Albrecht, Ruth

Titel/Untertitel:

Johanna Eleonora Petersen. Theologische Schriftstellerin des frühen Pietismus.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 432 S. gr.8° = Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, 45. Geb. Euro 59,00. ISBN 3-525-55830-9.

Rezensent:

Ute Gause

Mit dieser in Hamburg angenommenen Habilitationsschrift werden die Forschungen über Johanna Eleonora Petersen (1644­1724) auf eine neue Grundlage gestellt. Schon der Durchgang durch die Forschungen zu Johanna Eleonora Petersen zeigt, dass sie bislang eher als Ehefrau und als Beispiel für eine vermeintlich gefühlvolle weibliche Frömmigkeit wahrgenommen wurde, denn als eigenständige theologische Schriftstellerin. Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit von Ruth Albrecht ist es, »das schriftstellerische Werk J. E. Petersens zu erschließen und für seine Rezeption in der weiteren kirchengeschichtlichen Forschung bereitzustellen« (32). Der Hauptteil der Darstellung beginnt mit der Biographie (II), danach schließen sich Erörterungen zu den »Geschlechtsspezifischen Rahmenbedingungen einer pietistischen Schriftstellerin« (III) an. Schließlich bildet die Darstellung des theologischen Werks Johanna Eleonora Petersens den mit gut 150 Seiten umfangreichsten Teil der Arbeit.

Die 1644 geborene Johanna Eleonora von Merlau wuchs in der Nähe von Frankfurt auf; ihre Mutter starb früh, nämlich 1653. Im Alter von 12 Jahren wurde sie an einen Adelshof, die Wasserburg in Rödelheim, geschickt. Danach verbrachte sie 14 Jahre als Hofjungfer bei Anna Margaretha von Hessen-Homburg. Seit 1664 lebte die herzogliche Familie im sächsischen Erzgebirge. Dort freundete sich Johanna Eleonora mit der Gräfin Benigna von Solms-Laubach an, die sich nach J. E. von Merlaus eigener Aussage durch sie bekehrte (vgl. 46)! In diese Zeit gehören eine intensive Bibellektüre, ein Bekehrungserlebnis und die Distanzierung vom höfischen Lebensstil. Einen Wendepunkt stellte 1672 eine Reise nach Bad Ems zu einer Bäderkur dar. Dort begegnete J. E. von Merlau den Frankfurtern Philipp Jakob Spener und Johann Jakob Schütz, mit denen sie von da an korrespondierte. Zwei Heiratsmöglichkeiten schlug J. E. von Merlau aus und zog 1675 nach Frankfurt zur mit Spener bekannten Maria Juliana Baur von Eyseneck, mit der sie sich schnell eng anfreundete. Die Kinder der Witwe Baur von Eyseneck, eine Nichte J. E. von Merlaus sowie einige andere Mädchen wurden von den beiden Frauen in Handarbeiten, Bibellektüre und Griechisch unterrichtet. Darin zeigt sich die Aufnahme pietistischer Bildungsvorstellungen, die allerdings sonst meist nicht auf Mädchen bezogen wurden. Die im Saalhof am Mainufer wohnende J. E. von Merlau nahm an Speners Collegia Pietatis teil. Allerdings besaßen die Frauen dort kein Rederecht; dies mag einer der Gründe sein, weswegen J. E. von Merlau und Juliana Baur von Eyseneck zu eigenen Erbauungsversammlungen einluden. Johann Jakob Schütz zählte ebenfalls zu diesem Kreis. Es wurden Kontakte zu Labadisten gepflegt und man vertrat eine chiliastische Eschatologie. Recht bald wurden die Saalhof-Pietisten angegriffen, nicht zuletzt, weil dort angeblich »weiber=und mägde= predigten« (69) gehalten wurden. Die Offenheit der ðSaalhof-PietistenÐ zeigt sich an ihren Kontakten zu dem Quäker William Penn und in der Korrespondenz mit Johann Georg Gichtel. 1680 erfolgte die Eheschließung mit dem Eutiner lutherischen Superintendenten Johann Wilhelm Petersen. Während der Eutiner Zeit veröffentlichte J. E. Petersen ihre ersten Bücher. 1688 ging die Familie, die mittlerweile einen Sohn hatte, nach Lüneburg. Der Weg zur Amtsenthebung Petersens wurde dadurch geebnet, dass er die Visionärin Rosamunde Juliane von Asseburg in sein Haus aufnahm und deren Äußerungen auch noch drucken ließ sowie mit chiliastischen Deutungen versah. 1692 ging die Familie nach Magdeburg und siedelte 1708/09 östlich von Magdeburg. Das Gut der Petersens wurde ein Sammelbecken für radikale Pietisten. Es bestanden Kontakte zu Jane Leade und den Philadelphiern. Allerdings sagte sich das Ehepaar nicht von der lutherischen Kirche los, im Gegenteil erfolgte in den letzten Lebensjahren wieder eine Annäherung. Als J. E. Petersen 1724 starb, kondolierten Francke und Zinzendorf.

Die pietistische Schriftstellerin J. E. Petersen beschritt »unbeirrt den eingeschlagenen Weg, Theologie als hauptsächlich auf den Text der Bibel und den Erfahrungshorizont der eigenen Person angewiesene Schriftauslegung zu konzipieren« (125). Sie las dafür theologische Literatur, widmete sich aber im Gegensatz zu ihrem Mann verstärkt der Gattung der Erbauungsliteratur. In den über 30 Jahren ihrer schriftstellerischen Tätigkeit beschäftigte sie sich hauptsächlich mit der Frage, »wie Gottheit und Menschheit als von Ewigkeit her bestehende und in alle Ewigkeit nicht aufzulösende und durch nichts zu verlierende Verbindung gedacht werden können« (127). A. stellt im Folgenden die Würdigungen J. E. Petersens durch unterschiedlichste Lexika, aber auch Personen des Pietismus dar, die zeigen, wie breit akzeptiert sie als Persönlichkeit, Christin und theologische Schriftstellerin war, auch wenn es ebenfalls zahlreiche Kritiker gab. Neben dem Vorwurf des Enthusiasmus oder der Ketzerei wurde selbstverständlich die theologische Schriftstellerei als nicht der Geschlechteranthropologie gemäß angegriffen. Deutlich wird, dass eine Überschreitung der vorgesehenen Rolle einer Frau starke Irritationen gerade bei lutherischen Pfarrern hervorrief. Neben unqualifizierten Polemiken stehen ernsthafte Auseinandersetzungen mit den theologischen Inhalten der Veröffentlichungen J. E. Petersens. Inwiefern Frauen lehren, schreiben und predigen dürfen, wurde ebenfalls vor allem von Gegnern des Pietismus diskutiert. Johanna Eleonore Petersen legitimierte ihre schriftlichen Äußerungen exegetisch, stellte sich u. a. in die Tradition prophetischer Rede (vgl. 189).

Der Hauptteil der Arbeit wertet sämtliche Schriften J. E. Petersens chronologisch und systematisch aus. Neben einer Autobiographie, die die typische pietistische Selbstreflexion enthält und das Leben »sowohl als Feld der Bewährung wie als Erweis der göttlichen Gnade gegenüber dem Individuum sieht« (200), stehen zum einen Schriften, die sich mit eschatologischen und christologischen Fragen auseinander setzen, zum anderen Erbauungsschriften. Darüber hinaus werden Themenkomplexe wie die Rechtfertigungs- und die Apokatastasis-Lehre, die chiliastische Deutung der Johannes-Apokalypse und als christologische Zuspitzung Christus als himmlischer Gottmensch sowie ein Konzept von der Weiblichkeit des Heiligen Geistes entwickelt. Diese Themen, diese ðGeheimnisseÐ wurden J. E. Petersen durch Gott selbst erschlossen (vgl. 201). Die Erbauungsschriften sind dabei nach dem Schema gestaltet, dass nach einem Bibelvers eine Kurzmeditation bzw. ein Gebet folgt. Die 1689 erschienenen Gespräche des Herzens akzentuieren spezifisch pietistisch die Rechtfertigung als wesentlich effektives Geschehen, die fortschreitende Heiligung des Gläubigen, die die Sünde überwindet, und beschreiben auch schon vorsichtig chiliastische Zukunftserwartungen. Der nächste Traktat »beklagt wie viele Reformschriften des 17. und 18. Jahrhunderts die Mängel des Christentums und schlägt als Abhilfe die Intensivierung der persönlichen Frömmigkeit vor« (228). Interessanterweise ist eine Nähe zum Luthertum insofern erkennbar, als die Autorin sich in dieser Schrift positiv zu den Sakramenten Taufe und Abendmahl äußert sowie sich auf den Kleinen Katechismus Luthers bezieht. A. erwägt von daher auch für diese Schrift ein früheres Abfassungsdatum (vgl. 231 f.). Als Themen der Hauptschaffensperiode werden nun akribisch dargestellt: der Chiliasmus J. E. Petersens, die Lehre von der Apokatastasis, die Christologie, in der die Lehre vom himmlischen Fleisch Christi vertreten wurde, die im 16. Jh. ja einige Anhänger hatte. A. kann nicht wirklich schlüssig herleiten, wie das Ehepaar Petersen zu dieser Lehre kam. Letztlich zeigen die Themen der Hauptschaffensperiode die Randständigkeit der theologischen Position. Interessant ist, dass J. E. Petersen in ihren Altersschriften anscheinend wieder zur lutherischen Rechtfertigungslehre zurückfand bzw. diesen Akzent eher wieder anerkennen konnte: »Mein liebster Heyland/du hast mir deine elende [!] Magd vieles aufgeschlossen/und deine Geheimnisse wissen lassen/dafür ich dir von gantzem Hertzen dancke/am aller empfindlichsten und theuresten aber ist mir das Geheimniß von dem Heiligen umsonst/da du mich hast erkennen lassen/dass wir alles aus Gnaden sind/was wir sind« (325).

Wer von dem Buch spektakulär neue Erkenntnisse zu Johanna Eleonora Petersens Biographie und Theologie erwartet, wird enttäuscht. Die radikale Pietistin Petersen erweist sich eher als gründliche Theologin, die einige Außenseiterpositionen vertritt, denn als schillernde Radikalpietistin mit schrillen Sonderlehren. A.s Verdienst ist die sorgfältige Aufarbeitung von Biographie und Theologie, wenngleich ich aus der Perspektive der Frauenforschung das Resümee der Arbeit etwas blutleer finde, wenn es heißt: »Diese theologische Schriftstellerin verstand ihr Arbeiten und Schreiben als Auslegung der Bibel.« (354) Man kann viel über die theologische Schriftstellerin, kaum etwas über die Frau oder über das Familienleben, kaum etwas über die Ehe der beiden Petersens erfahren. Was bedeutet es für die kirchenhistorische Forschung, dass diese Fragen ­ die in der Genderforschung und der Historischen Anthropologie diskutiert werden ­ nicht gestellt werden? Oder fehlten hierfür einfach nur die Quellen?