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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

744–747

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Penna, Romano

Titel/Untertitel:

Lettera ai Romani. I Rm 1­5.

Verlag:

Introduzione, versione, commento di R. Penna. Bologna: Dehoniane Bologna 2004. 495 S. gr.8° = Scritti delle origini cristiane, 6. Kart. Euro 41,50. ISBN 88-10-20623-1.

Rezensent:

Dieter Zeller

Jetzt bekommen auch die Italiener ihren Mammut-Kommentar. Nach dem dickleibigen 1. Korintherbrief von G. Barbaglio legt nun R. Penna, der an der Päpstlichen Lateran-Universität in Rom lehrt und durch mehrere Monographien bekannt ist, den ersten Band eines großen Römerbriefkommentars vor. Er enthält eine 60 Seiten starke Einleitung und reicht bis Kapitel 5. Nach der Übersetzung der einzelnen Abschnitte stehen textkritische Anmerkungen, dann ein Überblick über das Ganze mit Beobachtungen zur Gliederung und zum Stil. Bei der Auslegung werden oft noch Versgruppen vorweg im Zusammenhang besprochen, bevor P. sorgfältig Vers für Vers nach sprachlichen, motiv- und traditionsgeschichtlichen sowie theologischen Gesichtspunkten durchgeht. Dabei werden die Probleme oft anhand der Meinungen alter und neuer Ausleger erörtert; diese sind reichlich dokumentiert, ohne dass die Seiten mit Fußnoten überladen wirkten. Griechisch und Hebräisch ist in Umschrift gegeben. P. weiß um die neuere rhetorische Betrachtung der Paulusbriefe, zweifelt aber an ihrer zwanghaften Anwendbarkeit (59­61). Faktisch beschränkt er sich darauf, einige tragende propositiones herauszustellen (z. B. 1,16 f.; 3,21 f.); er beschreibt etwa 3,9­20 als »perorazione finale« und registriert Stilfiguren wie Enallage, Metalexis, Gradatio, Synkrisis. Dieser selektive, nicht allzu technische Gebrauch rhetorischer Kategorien dürfte Paulus als »Sonntagsredner« entsprechen.

Kann man zum Römerbrief überhaupt etwas Neues sagen? Eine entscheidende Weichenstellung wird vorgenommen, wenn es darum geht, das Verhältnis der vielfältigen Anlässe des Briefes ­ S. 43­50 zählen ein ganzes Bündel auf, ohne einen Grund besonders zu gewichten ­ zu seiner durchgehenden Thematik zu bestimmen. Und hier ist P. originell. Er bestreitet, dass die Gemeinde in Rom sich hauptsächlich aus Heidenchristen zusammensetzt; vielmehr entnimmt er dem Brief und dem Vorspruch des Ambrosiaster, dass die Adressaten Judenchristen waren (26­33; vgl. eine ganz andere Sicht in dem ThLZ 130 [2005] besprochenen Buch von R. M. Thorsteinsson). Dabei werden auch die aus dem Heidentum kommenden Sympathisanten der Synagoge als »Judenchristen« »a livello puramente confessionale« gewertet, wobei die Anführungszeichen innerhalb des Kommentars verschwinden. Das geht nur, indem P. das »unter denen« 1,6 lokal fasst, was bei 1,13.15 Schwierigkeiten macht. Auch kann man die Ausführungen des Ambrosiaster (2. Hälfte des 4. Jh.s) über die den Römern das Gesetz aufdrängenden Judenchristen kaum als bare Münze nehmen, obwohl sie mit constat eingeleitet werden. Sie dürften die Situation in Rom allein aus dem Brief rekonstruieren (vgl. S. Légasse, L¹épître de Paul aux Romains, Paris 2002, 36). Die Diatribenanrede 2,17 benennt, wie auch P. auf S. 230 weiß, als fiktiven Gesprächspartner den Juden als solchen und nicht einen repräsentativen Vertreter der römischen Gemeinde (30). Paulus setzt sich zunächst mit der jüdischen Heilslehre als solcher auseinander und hat nicht einen judenchristlichen Kompromiss im Visier. Die alte Einsicht, dass der Römerbrief auf weite Strecken einen »dialogus cum Iudaeo« führt, wird auf S. 49, Anm. 109, verworfen, weil er an Judenchristen gerichtet sei, S. 230, Anm. 236, jedoch wieder rehabilitiert. Nach S. 255 soll es sich in 2,22 aber wieder speziell um die Juden Roms handeln. Wenn sich Paulus bei Aussagen wie 3,19; 4,1 mit den Lesern im »Wir« zusammenschließt, dann muss das noch nicht bedeuten, dass diese Judenchristen sind (296.369); ein Gegenbeispiel ist 1Kor 10,1.

Trotz dieses schwankenden Bodens geht P. davon aus, dass auch die römischen Christen heidnischer Herkunft nicht vom Gesetz und seinen Zwängen frei sind. Ein Satz wie 6,14 sei deshalb nicht als Indikativ, sondern als Ermahnung zu lesen (33). S. 307 gibt dann eine Skizze des defizitären judaisierenden Glaubens der »Konservativen« in Rom. Sie hätten u. a. die Heiden nur als Proselyten angenommen, sie höchstens nach dem Aposteldekret von einigen Normen dispensiert. Das geht m. E. über die Evidenz hinaus. Das Korpus des Briefes zielt demnach P. zufolge darauf, die Neuheit des Christusevangeliums gegenüber der traditionellen jüdischen Identität herauszuheben (57). Diese Zielbestimmung wirkt sich auf das Verständnis der Sektion 1,18­3,20 aus. Die Funktion dieses Teiles bestehe nicht darin, die allgemeine Sündigkeit der Menschheit zu beschreiben, sondern gegenüber der Offenbarung der heilsamen Gerechtigkeit Gottes eine judenchristliche Gegenthese zu präsentieren und zu widerlegen, die die Gerechtigkeit Gottes nur als vergeltende kennt. Der Abschnitt wird deshalb mit »L¹anti-tesi« überschrieben (164), 1,18 trotz des begründenden gar als contra-propositio bezeichnet (168). Nun ist zwar richtig, dass Paulus in diesem Stück von der im Evangelium enthüllten Gerechtigkeit absieht, die Offenbarung des Zornes Gottes und das Gericht sind aber durchaus damit kompatibel, wie 2,17 verrät (nach 244 f. zur Stelle macht nur die Beteiligung Christi am Gericht die Originalität des paulinischen Evangeliums aus). Sie bildet m. E. ­ und das ist auch die geläufige Anschauung ­ die unentbehrliche und permanente Drohkulisse für die evangelische Gerechtigkeit Gottes, die ja vor dem Zorn rettet. Das gerechte Gericht gehört nicht nur zu den Voraussetzungen der Konservativen in Rom (204). Paulus teilt durchaus die jüdischen Vorstellungen von der vergeltenden Gerechtigkeit Gottes, die bei P. manchmal zur Karikatur gerät (438: »Dio ragioniere« = Buchhalter-Gott). Er akzeptiert auch die Rolle des Gesetzes im Gericht. Nach P. jedoch sind die positiven Aussagen über das Gesetz Konzessionen des Paulus an die Judenchristen (43 zu 2,13; 7,12.14; 165 zum ganzen Stück 1,18­3,20; 375 zu 2,10), die er mit sich versöhnen wolle. Wenn die Werke als Maßstab des Gerichtes durch die radikale Kehrtwendung des Apostels in 3,21 ff. ausgedient haben (vgl. 375), muss man 2Kor 5,10 als Inkonsequenz betrachten. Also: Nicht nur die Unparteilichkeit des Richters hält sich im Evangelium durch (so 166 f.206).

Wie gesagt, bestreitet P., dass Paulus in 1,18 ff. von vornherein auf die Universalität der Sünde aus ist. Das Partizip bei »Menschen« 1,18 (169) bzw. die Anklage der Juden 2,21­23 (247) werden restriktiv genommen. Erst ab 3,9 (vorwegnehmend schon 3,4) betone Paulus, dass sich alle Menschen unter der Sünde befänden (276.285). Dabei trägt P. auf S. 291 f. eine Unterscheidung zwischen »unter der Herrschaft der Sünde«-Stehen und tatsächlichem Sündigen ein, so dass auch die Juden und Heiden, die das Gute tun, »unter der Sünde sind«. Diese Unterscheidung erweist sich spätestens bei 3,23 und in der Exegese von 5,12­21 als unbrauchbar. Davon abgesehen, wie kann Paulus bei dieser Deutung mit 3,9 seine ganze vorherige Anklagerede (doch nicht nur 3,4!) zusammenfassen, wenn eine peroratio eingeführt wird?

Kommen wir zu 3,21 ff. Hier setze Paulus der vergeltenden Gerechtigkeit die heilbringende Gerechtigkeit Gottes entgegen. Die immer wiederkehrende Ausmalung dieses Gegensatzes müsste an sich das Herz gerade des protestantischen Lesers höher schlagen lassen, zumal P. auch das sola fide gebührend herausstellt (351­353) ­ freilich mit der katholischen Tradition. Er wird mit Zustimmung vernehmen, dass aus dem Akt der Rechtfertigung nicht nur einige Gesetzeswerke (J. D. G. Dunn), sondern alle ausgeschlossen sind, paradoxerweise auch die im Gehorsam gegenüber dem Gesetz vollbrachten (301). Der hier mögliche Konflikt mit dem Grundsatz von 2,13 wird durch die unterschiedliche rhetorische Funktion im Kontext gelöst. 2,13 reflektiert eben den Standpunkt des Juden (302 f.). Wenn man aber exegetisch genauer wissen will, wie der Genitiv teou bei dikaiosynezu verstehen ist und wie sich das zum absoluten Vorkommen von »Gerechtigkeit« verhält, bekommt man keine überzeugende Antwort (142­151). Obwohl der Terminus lexikalisch in den forensischen Bereich gehöre, sei er ihm semantisch fremd. Ein Genitivus auctoris wird abgelehnt, aber auch ein Genitivus subiectivus befriedige nur teilweise, weil er nicht genügend der relationalen Dimension der »Gerechtigkeit Gottes« Rechnung trage. Sie bewirkt eben gerade, dass der Mensch vor Gott gerecht wird (151, gegenüber jüdischen Vorgaben vermerkt). Im Lauf der Auslegung nähert P. sie zwar der »Treue Gottes« (278 f. zu 3,5; m. E. zu Unrecht, weil der Zusammenhang mit Gottes dikaiosyne nicht beachtet wird) bzw. der »Liebe Gottes« (429, allerdings auch eine Differenz vermerkend, 436) an. Aber es bleibt unklar, ob sie nun eine Eigenschaft Gottes ist (316, Anm. 15, la »propria« giustizia) oder eher nicht (330, Anm. 57). S. 345 heißt es schließlich: »Die Gerechtigkeit Gottes ist nicht so sehr seine passive Eigenschaft als vielmehr eine dynamische Qualität, die er aus sich heraus auf den Sünder projiziert«. Das ist theologisch einleuchtend, aber grammatikalisch immer noch vage. Jedenfalls betont P. gegen M. Luther, dass sie nicht nur dem Sünder imputiert werde, sondern seine »ontologische« Identität berühre und effektiv sei (330.382 f.).

Kapitel 5, in dem es m. E. dem Aufriss in 1,16 f. (»Rettung«, »leben«) entsprechend um die eschatologischen Folgen der Rechtfertigung geht und das sich Kapitel 8 fortsetzt, wird nach längeren Erwägungen (415­417), die sich wörtlich schon in der Einleitung (73­75) finden, dem Vorhergehenden zugeschlagen, weil jetzt die christologische Ermöglichung der Rechtfertigung im Mittelpunkt stehe; dem sei das Thema der eschatologischen Hoffnung untergeordnet (418). Über diese und andere Gliederungsentscheidungen (z. B. 3,1­4 als Ankündigung von Kapitel 9­11; 3,6­8 als Vorwegnahme von Kapitel 6­8: 269 f.) kann man sich trefflich streiten. Aber immer nimmt P. eigenständige und begründete Positionen ein. Er entwickelt sie in Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschung; der deutschsprachige Leser erhält Kenntnis gerade von italienischen Beiträgen, die ihm sonst vielleicht entgehen. Die Belege aus der alttestamentlich-jüdischen, aber auch der klassischen Literatur sind nach meinen Stichproben gut recherchiert. Obwohl der Stil wortreich und von Wiederholungen nicht frei ist (457, Anm. 514, steht wörtlich schon 63), liest sich das Buch doch flüssig; die Darstellung ist übersichtlich. Deshalb halte ich bei aller Meinungsverschiedenheit im Sachlichen dafür, dass diese Reihe und besonders der Römerbriefkommentar Beachtung verdient und in einer deutschen akademischen Bibliothek nicht fehlen sollte.