Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

742–744

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Merklein, Helmut, u. Marlis Gielen

Titel/Untertitel:

Der erste Brief an die Korinther: Kapitel 11,2­16,24.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 470 S. 8° = Ökumenischer Taschenbuch-Kommentar zum Neuen Testament, 7/3. Kart. Euro 49,95. ISBN 3-579-00551-0.

Rezensent:

Dieter Zeller

Zur Anlage und zu den Grundthesen dieses Kommentars vgl. die Rezensionen von Ch. Wolff zu den ersten beiden 1992 bzw. 2000 erschienenen Bänden ThLZ 118 [1993], 740­772, und 126 [2001], 760­761. Den dort ausgesprochenen Wunsch des Rezensenten, das gründliche und hermeneutisch tief schürfende Werk des 1999 zu früh verstorbenen Bonner Neutestamentlers möge kein Torso bleiben, hat nun dessen Schülerin M. Gielen, seit 2000 Professorin in Salzburg, erfüllt. Bis 15,11 konnte sie auf die fertige Kommentierung Merkleins zurückgreifen; nur die Literaturlisten wurden aktualisiert. Für 15,12­58 lagen die für diesen Kommentar typischen ausführlichen textlinguistisch-semantischen Analysen schon im Wesentlichen abgeschlossen vor.

Eine Eigenart des Kommentars ist auch, dass die im Brief behandelten Probleme den 1,12 genannten Parteien zugeordnet und diese wieder verschiedenen sozialen Schichten zugewiesen werden. Doch gleich das erste auszulegende Stück, 11,2­16, will sich nicht so leicht in die in I, 134­152 aufgestellten Schemata einfügen. Deshalb meint M., es sei erst Paulus selbst gewesen, der in der fehlenden Kopfbedeckung ­ hier revidiert M. zu Recht seine frühere, auch von anderen neueren Kommentatoren und M. Gielen vertretene Ansicht, es gehe um die Haartracht ­ ein Problem gesehen hat (24). M. findet hier ­ entgegen einer weit verbreiteten Meinung ­ »eine wohl durchdachte Argumentation, der zumindest unter den Bedingungen ihrer eigenen historischen Situation eine gewisse Stimmigkeit nicht abzusprechen ist« (68). V. 11 f. stehe nicht adversativ zum Vorhergehenden; sondern es zeige sich, dass die Schöpfungsordnung im Hinblick auf die Erlösungsordnung dargelegt wurde (83). Das ist vielleicht doch etwas zu harmonisch, ebenso wie die Erklärung, V. 7 widerstreite nicht der Gottesebenbildlichkeit der Frau (57) oder V. 8 f. besage keine Inferiorität der Frau, sondern nur eine zeitliche Abfolge (59.71).

Bei den Regeln für die Feier des Herrenmahls 11,17­34 schließt sich M. O. Hofius an. Der Fehler der wohlhabenden Korinther bestand darin, dass sie das mit dem Herrenmahl verbundene Sättigungsmahl für sich einnahmen. S. 92 f. stehen Erläuterungen des »für euch«, die es mit neueren Alttestamentlern als »identitätswahrende Repräsentanz« interpretieren. Dies sei als ein Beispiel für die bei M. übliche theologische Vertiefung genannt.

In Kapitel 12­14 ist evident, dass Paulus gegen eine Überschätzung der Glossolalie angeht. In seinem Exkurs zu den Parteien in Band I hatte M. diese Tendenz der der niedrigen Schicht zugehörigen Paulus-Gruppe zugeschrieben (Skepsis demgegenüber bei Wolff, 741). Sie befinde sich aber im Streit mit der höher gestellten Apollos-Gruppe, die die Priorität der Weisheitsrede propagierte (vgl. 109 f.118.123 f. u. a.). Paulus nehme mit der von ihm favorisierten Prophetie eine Mittelstellung ein. Dieser Sicht, die M. in seiner Kommentierung von Kapitel 12­14 durchhält, steht aber entgegen, dass die »Weisheit des Wortes«, die 1,17 ff. der Kreuzespredigt gegenübergestellt wird und die vielleicht mit Apollos etwas zu tun hat, in keiner Weise als charismatische Rede erkennbar ist. Sie ist kaum mit dem »Wort der Weisheit« 12,8 zu identifizieren, das ohne jede polemische Wertung und keineswegs als Antipode der Glossolalie erscheint. In 12,28­30; 13,1­3.8 f. wird es gar nicht mehr genannt. Deshalb sind auch die Anspielungen auf die angebliche Begrifflichkeit der Apollos-Gruppe, die M. in diesen Kapitel entdeckt (159 zu 13,11; 186 f. zu 14,20), fragwürdig.

Als noch problematischer hat sich inzwischen die auf G. Sellin zurückgehende These erwiesen, hinter der Leugnung der Auferstehung 15,12 stehe die Apollos-Gruppe, die eine protologisch ausgerichtete Weisheitschristologie vertrat und die Erlösung im Aufstieg des vom Leib losgelösten nus erblickte (vgl. die Skizze I, 128­130). Ihre Position wird weitgehend mit Hilfe Philos von Alexandrien rekonstruiert, »der von den korinthischen Auferstehungsleugnern hoch geschätzt wurde«. Um diese zu überzeugen, lehne sich Paulus »in der Begriffswahl eng an die Diktion Philos an« (359 f.). Nun unterscheidet zwar Philo in Gen 1 f. zwischen dem urbildlichen und dem erdhaften Menschen, aber nicht mit dem Gegensatz »pneumatisch-seelisch«. M. Gielen nimmt die Argumente, die der Rezensent und B. Schaller gegen diese These vorgebracht haben, zwar teilweise zur Kenntnis (303 f.364), beharrt aber darauf, dass Paulus gegenüber einem präsentischen Erlösungsverständnis die zukünftige Auferstehung und gegenüber der Annahme eines sich durchhaltenden pneumatischen Selbst die Diskontinuität der Auferstehungsexistenz betone. Dadurch erhalten m. E. die Verse 15,36­49 einen schiefen Akzent. Durchschlagend ist aber mit J. S. Vos (NT 41 [1999], 331) »die Tatsache, daß der Gegensatz zwischen einer leiblichen Auferstehung und einer nur psychisch-pneumatischen Weiterexistenz nach dem Tode im ganzen Kapitel fehlt«. So wird man auch bezweifeln dürfen, dass das Gegenüber von Adam und Christus schon in V. 21 f. (300) oder das Stichwort »nackt« in V. 37 (352, bei Philo aber positiv) oder die apokalyptische Aussage V. 50 (376­379, aber die Parallele V. 57 bzw. 63 ist moralisch, nicht ontologisch orientiert) Paulus von den philo-hörigen Korinthern vorgegeben ist. Das Phantombild der Gegner kompliziert sich noch, wenn sie »aufgrund ihrer speziellen Heilsvorstellung einer leiblosen, pneumatischen Existenz« »in besonderer Weise empfänglich« für hedonistische und libertinistische Tendenzen gewesen sein sollen (339 zu 15,33). Das ist gewiss nicht die Konsequenz der philonischen Ablösung vom Leiblichen.

Die Bearbeitung von Kapitel 15 durch M. Gielen weist darin eine besondere Note auf, dass sie bei V. 20­26 die Universalität der Totenerweckung unterstreicht (315). Nach Auskunft von V. 23c.24a erfolge die Auferweckung der Christen bei der Parusie Christi, die Auferweckung der nicht christusgläubigen Toten bei der unmittelbar anschließenden Herrschaftsübergabe an Gott (321). Dazu schlägt G. eine neue Deutung von telos als »abgeschlossene Einheit innerhalb einer größeren Gesamtheit« vor. S. 327­329 versucht sie einen Ausgleich zwischen dieser uneingeschränkten Heilsperspektive und der in V. 14 und 17 f. herausgestellten Bedeutung des Kerygmas, S. 368 und 382 zu den Wir-Aussagen in V. 49.51. Diese Exegese bedarf sicher weiterer Diskussion.

In der eigenständigen Auslegung von Kapitel 16 steuert G. interessante Beobachtungen zum Ablauf der Ereignisse zwischen Paulus und Korinth (vgl. die kleingedruckten Exkurse 403­406.408­411.459) und zur Struktur der Gemeinde (vgl. 460­464 zu den christlichen Hausgemeinschaften, in teilweiser Revision früherer Äußerungen) bei. Entgegen der geläufigen Anschauung, auch der ihres Lehrers (vgl. I, 328 f.), lässt sie S. 425­428 Timotheus mit dem 1Kor im Gepäck zur korinthischen Gemeinde reisen. Man fragt sich dann nur, was der Wenn-Satz 16,10 soll. G. hat jedoch darin Recht, dass sich die opinio communis nicht auf Apg 19,22 stützen kann. Trotz mancher Fragezeichen am Rand wird man aber G. dankbar sein, dass sie das Werk der Reifezeit Merkleins zugänglich gemacht und in kongenialer Weise fertiggestellt hat, auch wenn ­ wie bei manch anderem Beitrag zu dieser Reihe ­ damit das Taschenbuchformat gesprengt wurde.