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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

740–742

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Instone-Brewer, David

Titel/Untertitel:

Prayer and Agriculture.

Verlag:

Foreword by B. Gerhardsson. Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2004. XXVI, 456 S. gr.8° = Traditions of the Rabbis from the Era of the New Testament, 1. Geb. US$ 60,00. ISBN 0-8028-4762-5.

Rezensent:

Andreas Lehnardt

Der Band ist der erste einer auf sechs Bände angelegten Kommentarreihe zum Neuen Testament anhand der Mischna, also anhand des zumeist für den ältesten Teil der rabbinischen Literatur gehaltenen Werkes, welches in nach-neutestamentlicher Zeit redigiert worden ist. Anders als der heute veraltete Vorläufer von P. Billerbeck (H. L. Strack), Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 1922­1928, mit seinen isolierten Zitaten, seinem mangelnden Kontextbezug und seinen fehlenden historischen Bezügen versucht der Vf. neuere Einsichten in die Datierungsmöglichkeiten von rabbinischen Texten in seine Materialaufbereitung mit einzubeziehen. Billerbecks Vorgehensweise, seine »steinbruchartige« Heranziehung rabbinischer Literatur als Quelle der historischen und traditionsgeschichtlichen Erhellung neutestamentlicher Stellen, ist bereits oft kritisiert worden. Dennoch ist ein vergleichbares Unternehmen zur Erschließung der rabbinischen (und der sog. zwischentestamentlichen Literatur) in deutscher Sprache, unter moderneren methodischen Gesichtspunkten bislang nicht in Angriff genommen worden. Der Vf., ein Schüler Jacob Neusners, wendet nun als Erster die nicht immer ganz widerspruchsfreien literarischen Einsichten seines Lehrers in die Werkgebundenheit rabbinischer Einzelüberlieferungen auf die Frage an, welchen historischen, sachlichen und theologischen Aussagewert mischnische Texte für die Interpretation neutestamentlicher Überlieferungen haben können.

Die Beschränkung des Unternehmens auf die Mischna deutet dabei schon auf das eigentliche Problem des Werkes hin: Orientierte sich Billerbeck an der Ordnung der Evangelien und der übrigen Schriften, legt die neue Reihe die Ordnung der Mischna und ihren Text zu Grunde und sucht von dort aus Beziehungs- bzw. Vergleichspunkte mit einzelnen Stellen in den unterschiedlichen Corpora des Neuen Testaments. Möglicherweise ältere Traditionen, die sich in Parallelüberlieferung in Tosefta, halakhischen Midraschim und in den Baraitot der beiden Talmudim finden, bleiben zwar nicht ausgeklammert, werden allerdings nicht im Aufbau des Kommentars berücksichtigt. Aus diesem Ansatz heraus ergibt sich der Untertitel des zu besprechenden Bandes, »Prayer and Agriculture«, entsprechend dem ersten Traktat der Mischna, Berakhot, welcher sich mit den Regelungen bezüglich der Gebete und Segenssprüche befasst, und entsprechend den übrigen Traktaten dieser Ordnung der Mischna (Zera¹im, »Saaten«), in denen landwirtschaftliche Fragen betreffende Weisungen behandelt werden. Dem Ziel des Werkes entsprechend, all jene rabbinische Traditionen zu sammeln, die aus der neutestamentlichen Zeit bzw. aus der Zeit vor 70 n. Chr. stammen könnten, wird auf eine genauere Datierung neutestamentlicher Schriften nicht näher eingegangen. In der dem eigentlichen Kommentar vorangestellten Einleitung heißt es dazu lediglich, dass »most, and perhaps all, of the New Testament was completed by 70 CE« (1). Die Ausrichtung des Kommentars an der Ordnung der Mischna wird damit begründet, dass die heute vorliegende Anordnung der rabbinischen Überlieferungen in der Mischna der der ältesten Sammlung von rabbinischen Traditionen entspricht. Auf ältere Mischna-Rezensionen als der heute vorliegenden, von deren Existenz wir durch rabbinische Überlieferungen selbst Kenntnis haben, wird nicht verwiesen. Auch wird das Verhältnis zu Sifra und anderen älteren Werken nicht eingehender erörtert. Bezeichnenderweise werden die sog. halakhischen Midraschim zu den »aggadic collections« (6) gerechnet. Nur gelegentlich erlaubt sich der Vf., Material innerhalb seines starren Rahmens von einer an eine andere Stelle umzustellen, »when a tradition has been preserved in one tractate but relates to a different subject« (2). Probleme der redaktionellen Anordnung und der textuellen Überlieferung bleiben ausgeklammert, so dass die Genese gesamter Traktate der Mischna, über die bereits manche Untersuchung vorliegt, nicht in den Blick kommt.

Der Kommentar basiert auf den »Standard-Quellen«, womit zum Teil die Textfassung gemeint ist, wie sie auf der CD der Davka.com »Judaic Classics Library« zu finden ist, teils wohl auch eine im World Wide Web zugängliche Rezension; andere Mischna-Rezensionen, wie sie in kritischen Ausgaben oder Handschriften-Faksimile vorliegen (z. B. die berühmte Handschrift Kaufmann) werden nur vereinzelt herangezogen; die kritische Edition einiger Traktate der Ordnung Zera¹im von N. Sachs (Jerusalem 1971) wird nicht einmal erwähnt. Die Übersetzungen werden stets zusammen mit einem unvokalisierten hebräischen Text dargeboten und richten sich nach der Danbys; andere Werke werden dagegen häufig nach den vorsichtig zu benutzenden Übertragungen Neusners zitiert.

Die Grundthese des Kommentarwerkes ist, dass die dargebotenen rabbinischen Traditionen eine »faithful reflection of the ideas and practices of rabbinic Judaism before 70 CE« (1) darstellen. Diese Ansicht steht zwar im Kontrast zu dem Anliegen der rabbinischen Literatur ­ die rabbinischen Schriften wollten nicht die Ursprünge der Halakha und die Anfänge der Debatten darüber bewahren, sondern lediglich die meist halakhischen Schlussfolgerungen überliefern. Doch trotz dieses vom Vf. selbst geäußerten Vorbehaltes wird nach einer sogar neuere Forschungsdiskussionen ­ etwa zum Verhältnis von Mischna und Tosefta ­ berücksichtigenden Einführung in die rabbinische Literatur der Versuch unternommen, eine Fülle von relevanten rabbinischen Überlieferungen in der Mischna zu datieren und unmittelbar für die Auslegung des Neuen Testaments fruchtbar zu machen.

Eine Intention des Vf.s ist es dabei, der Skepsis vieler Neutestamentler zu begegnen, die rabbinischen Quellen allein auf Grund der unsicheren Datierungsproblematik nicht zur Kenntnis nehmen. Für die umstrittenen Datierungsmethoden wird auf G. Stembergers anerkannte Einleitung in Talmud und Midrasch (englische Ausgabe 1996) verwiesen. Als zuverlässige Kriterien können demnach namentliche Zuschreibungen einzelner Dikta und stilistische Merkmale betrachtet werden; hinzu kommt das Kriterium der logischen Aufeinanderfolge von anonym überlieferten Sätzen. Für die zeitliche Einordnung eines Diktums können des Weiteren Parallelen in anderen jüdischen Quellen (Josephus, Philo, Qumran-Schriften) herangezogen werden. Schwieriger ist die Datierung auf Grund inhaltlicher Kriterien, wie z. B. Hinweise auf Praktiken, die nur im Zusammenhang mit dem Tempel beobachtet wurden. Trotz dieser nicht neuen Einsichten in die Datierungsmöglichkeiten muss der Vf. schließlich einräumen, dass der Vorgang der zeitlichen Bestimmung einer rabbinischen Tradition »is still somewhat an art rather than a science« (40). Und auch im Kommentar wird daher immer wieder eingeräumt, dass bei der historischen Zuordnung von in der Mischna erwähnten Traditionen und Praktiken viele Unsicherheiten bleiben. So z. B. auch im Hinblick auf die vom Vf. sehr positivistisch erörterte Frage, ob Jesus etwas von einer Fassung des Achtzehngebets wissen konnte (siehe 117 f.).

Ein Glossar sowie ein Namen-, Sach- und Stellenregister erleichtern die Verwendung des Bandes als exegetisches Nachschlagewerk. Auch nach diesem Versuch, einen Ersatz für Billerbecks monumentalen Kommentar zu schaffen, wird dieser für die neutestamentliche Forschung wohl trotz aller offensichtlichen Mängel in methodischer Hinsicht und auch im Hinblick auf die ihm zu Grunde gelegte Textauswahl ein für gewisse Fälle hinreichendes Hilfsmittel bleiben. Der Band kann nichtsdestotrotz in manchen Fragen etwas zum sachgemäßeren Umgang mit den rabbinischen Quellen beitragen. Wenn zum Schluss allerdings ein grundsätzlicher Hinweis erlaubt sei, so sollte man zuallererst nicht bei Billerbeck oder beim Vf. nachschlagen, sondern in den rabbinischen Quellen selbst, d. h. in den wissenschaftlichen Ausgaben und nicht nur in einer der CD-Editionen oder im World Wide Web.