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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

738–740

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Crossan, John Dominic, and Jonathan L. Reed

Titel/Untertitel:

In Search of Paul. How Jesus¹s Apostle Opposed Rome¹s Empire with God¹s Kingdom. A New Vision of Paul¹s Words and World.

Verlag:

San Francisco: HarperSanFrancisco 2004. XIV, 447 S. m. Abb. gr.8°. Geb. US$ 29,95. ISBN 0-06-051457-4.

Rezensent:

Jens Schröter

Die neue Sicht auf Paulus, die die beiden Vf. vorstellen, lässt sich anhand des Umschlagbildes verdeutlichen: Es zeigt in der Mitte und im Licht stehend Paulus, in der linken Hand ein Buch, die rechte zur Belehrung erhoben. Rechts daneben, im Schatten und nur noch halb auf dem Bild, ist Thekla zu sehen, in der linken Hand eine Schriftrolle, die rechte ebenfalls erhoben. Es handelt sich um ein Gemälde, das auf einem 1906 in der Nähe des antiken Ephesus entdeckten Fresko aus dem 6. Jh. basiert. Dort sind Thekla allerdings die Augen und die Finger der erhobenen Hand ausgekratzt worden, um sie auf diese Weise blind und stumm zu machen. Das Gemälde auf dem Umschlag gebe, so die Vf., Thekla zwar Augen und Lehrautorität zurück, die Aussage des Freskos sei damit jedoch noch nicht vollständig wiederhergestellt: Sie steht nunmehr im Schatten und am Rand des Bildes und ist Paulus damit untergeordnet, wogegen auf dem Fresko beide gleichberechtigt nebeneinander abgebildet waren.

Das Buch versteht sich als Korrektur solcher Verfälschungen des Paulus durch die spätere Kirchengeschichte. Es weiß sich dem »wahren, historischen« Paulus und seiner radikalen Theologie verpflichtet, mit der er Gleichheit proklamiert und das römische Imperium herausgefordert habe. Damit soll zugleich die Aktualität des Apostels zur Sprache gebracht werden: Der römischen Weltmacht lasse sich gegenwärtig nur die Stellung Amerikas vergleichen. Die Theologie des Paulus stelle deshalb eine Herausforderung für Staat und Gesellschaft der USA dar.

Das Buch ordnet sich damit in diejenige Richtung ein, die die paulinische Theologie als antiimperiales politisches Programm interpretiert: Paulus habe seine Verkündigung des Gottessohnes der göttlichen Verehrung des Kaisers und seine Forderung der Gleichberechtigung in den gesellschaftlichen und familiären Beziehungen der hierarchisch geordneten römischen Gesellschaft entgegengestellt.

Die exegetischen Grundentscheidungen bewegen sich im Rahmen des in der kritischen Paulusforschung lange Zeit weithin Anerkannten: sieben echte Briefe, sekundäre Bedeutung der Apg für die Rekonstruktion der paulinischen Theologie, nordgalatische Hypothese, um nur einiges zu nennen. Dass diese Annahmen in der neueren Forschung wieder nachhaltig zur Disposition gestellt werden, wird nicht eigens diskutiert. Auch spielt die so genannte »New Perspective on Paul« (Sanders, Dunn) keine Rolle, was angesichts der gegenwärtigen Diskussion um diesen Ansatz verwundert. Wichtig für die Darstellung ist indes die der Apg entnommene Nachricht über die so genannten Gottesfürchtigen als Erstadressaten der paulinischen Mission. Deren Affinität zum Judentum erkläre sowohl, dass sie sich der Verkündigung des Paulus geöffnet hätten, als auch die hieraus resultierenden scharfen Konflikte des Paulus mit den Juden.

Ein weiteres Spezifikum des in einem essayistischen, populären Stil verfassten Buches ist die ausführliche Einbeziehung archäologischer Funde, die ein Bild von der Welt des Paulus vermitteln sollen. Die Kapitel beginnen jeweils mit einer imaginierten Situation, um die Leser in Zeit und Regionen der paulinischen Mission zu versetzen: »You stand on the heights of Philippi and look down at a dead city« (2); »You make the three-hour drive north from the coastal city of Antalya, Paul¹s Attalia, and its adjacent ancient Perge, inland along the route of the Augustan Via Sebaste through the western Taurus Mountains Š« (179) usw. Dazu gehören auch die zahlreichen, teilweise farbigen Abbildungen von Landschaften, Inschriften und Münzen, die einen anschaulichen Überblick über die historischen Stätten (nicht nur) der Paulusmission vermitteln.

Entworfen wird auf diese Weise ein Bild der paulinischen Mission innerhalb der griechisch-römischen Mittelmeerwelt. Die Reise folgt dabei nicht den Routen des Paulus selbst, sondern beginnt etwas überraschend in Aphrodisias, wo Paulus den erhaltenen Nachrichten zufolge nie gewesen ist. Die Stadt sei gleichwohl charakteristisch für den größeren Kontext seines Wirkens: Das dort gefundene Sebasteion vermittle einen Eindruck römisch-imperialer Politik, die Gottesfürchtigen-Inschrift zudem einen Einblick in die Situation einer jüdischen Gemeinde in heidnischer Umwelt.

Die Grenze eines solchen, dem Jesusbuch Crossans vergleichbaren Vorgehens liegt darin, dass der für die paulinische Theologie entworfene Makrokontext die Interpretation in bestimmter Weise präjudiziert. So würde ein Bild, das sich an der pharisäischen Herkunft des Paulus, seiner Beziehung zu den Jerusalemer Aposteln, dem Verlauf seiner Mission und seiner in den Schriften Israels verankerten Theologie orientiert, vermutlich zu anderen Resultaten gelangen als das hier entworfene.

Die einzelnen Kapitel sind entsprechend an auf den gesamten Mittelmeerraum zielenden Themenstellungen orientiert (z. B.: »The Hope of a Peaceful Earth«, »Jewish Faith and Pagan Society«, »The Golden Age, or As Golden as It Gets« oder »Goddesses, Gods, and Gospels«). Signifikant ist auch, dass Orte wie das genannte Aphrodisias oder auch Pompeji, Ancyra und Cäsarea maritima als Beispiele für römische Städtepolitik vorgestellt werden, obwohl sie für die Wirksamkeit des Paulus keine Rolle spielen.

Diese Anfragen betreffen auch etliche Details. So ist das Bild einer von römischer Religionspolitik dominierten Mittelmeerwelt bisweilen zu pauschal, denn die religiösen und politischen Verhältnisse in den einzelnen Provinzen und Städten waren durchaus unterschiedlich. Der Kaiserkult spielte dabei für die Stabilisierung des Römischen Reiches zweifellos eine zentrale Rolle. Ob er indes auch für Paulus von herausragender Bedeutung war, wäre noch einmal zu diskutieren. Aus seinen Briefen lässt sich dies jedenfalls nur schwer belegen.

Zu diskutieren wäre auch, inwieweit die frühestens aus dem 3. Jh. stammende Aphrodisias-Inschrift, die Gottesfürchtige und Proselyten erwähnt, repräsentativ für das Judentum in den von Paulus aufgesuchten Städten ist. Angesichts der Bedeutung, die die Vf. dieser Inschrift und den Gottesfürchtigen insgesamt beimessen, hätte man eine detaillierte Beschreibung des Befundes erwartet, auf den sich die These einer solchen ja keineswegs eindeutig zu bestimmenden (in ihrer Existenz zudem nicht unbestrittenen) Gruppe heidnischer Sympathisanten mit dem Judentum stützt. Die Bezeichnung »half-Jews« (38) ist jedenfalls ­ selbst wenn man von ihrer grundsätzlichen Problematik angesichts der konkreten Verhältnisse zwischen Juden und Heiden im Leben einer antiken polis einmal absieht ­ unzutreffend, denn es handelt sich bei den Gottesfürchtigen natürlich um Heiden, die eine von heidnischer Seite oft verspottete Affinität zum Judentum besaßen. Die Vorstellung einer fest umrissenen »Gruppe« sollte zudem ohnehin nicht erweckt werden.

Der Wert des Buches liegt in erster Linie in seinen zahlreichen, häufig durch Abbildungen archäologischer, numismatischer und epigraphischer Funde illustrierten Informationen über die antike Mittelmeerwelt. Für den historischen Kontext des frühen Christentums wichtige Materialien, mit denen sich Studierende der Theologie vertraut machen sollten (wie etwa die Pilatus-, die Erastus-, die Priene- oder die Sergius Paulus-Inschrift, Götter- und Kaiserstatuen, das Theater von Ephesus, der Aquädukt von Cäsarea maritima, der Titusbogen oder die Vereinsinschrift der Iobacchen), sind abgebildet und werden besprochen. Das Buch eignet sich daher als Einführung in die hellenistisch-römische Welt des 1. Jh.s.

Ob es auch eine überzeugende Darstellung der Theologie des Paulus vorlegt, ist weniger eindeutig. Die Betonung der politischen Dimension der paulinischen Theologie stellt sicherlich ein berechtigtes Korrektiv zu einer einseitig am Individuum ausgerichteten Paulusdeutung dar. Hier knüpft der Band an eine Linie der Paulusforschung an, die wesentliche Impulse von K. Stendahl empfangen hat und in jüngerer Zeit vor allem durch die »Paul and Politics«-Gruppe innerhalb der Society of Biblical Literature vorangetrieben wurde. Auch eine Einbindung der paulinischen Argumentationen in die konkreten Verhältnisse der angeschriebenen Gemeinden (etwa im Kapitel »Who and What Controls Your Banquet«, das sich mit den für den 1Kor vorauszusetzenden Konstellationen befasst) ist zweifellos ein wichtiger Ertrag der neueren Paulusforschung. Der angeblich gegen die römische Herrschaft gerichtete Impuls der Theologie des Paulus wirkt jedoch häufig mehr an die Texte herangetragen als diesen entnommen.