Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

733–735

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brant, Jo-Ann A.

Titel/Untertitel:

Dialogue and Drama. Elements of Greek Tragedy in the Fourth Gospel.

Verlag:

Peabody: Hendrickson 2004. XVI, 304 S. m. Abb. gr.8°. Kart. £ 12,99. ISBN 1-56563-907-3.

Rezensent:

Uta Poplutz

Im Unterschied zu den synoptischen Darstellungen der Geschichte Jesu weist die johanneische Präsentation in Ton und Stil einen überaus eigenständigen Charakter auf. In der Exegese führte dies zu umfassenden Diskussionen bezüglich der Aufnahme von Gattungselementen, die bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Bereits 1907 hat F. R. M. Hitchcock eine radikale Lösung vorgeschlagen: Er sieht die wesentlichen Kriterien aus Aristoteles¹ Poetik im vierten Evangelium verwirklicht und liest es konsequent als Tragödie. B. hat diesen Impuls, der seither immer wieder verhandelt und modifiziert wurde, aufgenommen und interpretiert das Johannesevangelium unter Zuhilfenahme dramentheoretischer Analysemomente. Auf der Deskriptionsebene ist in der Forschung die aristotelische Konzeption von modernen und an der Darstellung orientierten Dramentheorien abgelöst worden, die auch B. als heuristisches Mittel heranzieht. Ihre Grundthese lautet, dass sich sowohl die Struktur als auch diverse literarkritische Schwierigkeiten gut auflösen lassen, wenn man annimmt, dass das JohEv gezielt Elemente des griechischen Dramas aufgenommen hat. Zahlreiche sorgfältig ausgewählte Beispiele aus der antiken Tragödienliteratur illustrieren ihre Analysen.

Die Studie gliedert sich in vier Hauptteile. Nach einer kurzen Einführung (1­15), in der B. Zielsetzung und Methodik offen legt, folgt im ersten Kapitel »Dramatic Structure« (16­73) eine Analyse des johanneischen Plot. Prolog und Epilog bilden die analogen Marker, die wie in der Tragödie das Publikum in die Handlung hinein- und hinausführen. Die Handlung entwickelt sich wesentlich durch Dialoge respektive Diskurse. Im griechischen Theater, das keinen Vorhang und keine Beleuchtung besaß, fungierte der Prolog als Signal, der das Publikum gleichsam »ins Spiel« versetzte: »The movement of the prologue in the Fourth Gospel is toward the audience, toward the visible, toward incarnation, down a vertical axis from heaven to earth and along a horizontal axis from past to present« (25). Der Plot ist nicht nur durch eine dialogische, sondern vor allem durch eine episodische Struktur gekennzeichnet, die sich aus der Bewegung der Figuren on and off stage ergibt. Wie O. Taplin in seinen richtungsweisenden Studien gezeigt hat, sind die Auftritte und Abgänge der Figuren konstitutiv für das antike Drama: Tritt eine Figur auf, beginnt ein Dialog. Im Allgemeinen sind es jeweils nur zwei Akteure (Einzelfiguren oder Gruppen), die interagieren und die Handlung vorantreiben. Der implizite Erzähler, den es im Unterschied zum klassischen Drama im JohEv sehr wohl gibt, nimmt nach Meinung von B. oftmals die Rolle des Chors (stasimon) ein, indem er das Geschehen kommentiert, interpretiert und die Episoden voneinander trennt (31). Iterative und repetitive Summarien fehlen hingegen. Der Einbezug dieses Aspektes wird sich m. E. auch für kommende Analysen als lohnend erweisen. B. veranschaulicht anhand einiger interessanter Einzelbeobachtungen (32­42) die Einheit der Handlung (Raum/Zeit) und kann deshalb dort, wo oftmals mit literarischen Brüchen gearbeitet wird, dramentheoretisch argu- mentieren: Spannungen sind für das Drama konstitutiv und ergeben sich aus der szenischen Anlage. Selbst den doppelten Schluss des JohEv kann sie in diesem Sinne ohne spätere Redaktion erklären (64­70). Ob die Argumente überzeugen, wird zu diskutieren sein. Auch wenn B. sich von einer simplifizierenden Übernahme aristotelischer Kategorien absetzt, widmet sie sich ausführlich den klassischen Elementen eines tragischen Plot, Wendepunkt (peripateia), Wiedererkennen (anagnorisis) und Leiden (pathos): »My objective ist not to demonstrate that the gospel follows the dictates of a tragic plot but rather to show how the evangelist uses the craft of the Greek tragedians to represent these plot elements when they occur« (43). Alle drei Elemente sieht B. mehr oder weniger stark im JohEv gegeben (42­63).

Der dramatische Dialog ist gesprochene Handlung. Diesem Aspekt widmet sich B. ausführlich im zweiten Kapitel »Speech as Action« (74­158). Im klassischen Drama sind die Inszenierungsanweisungen in den Repliken der Figuren enthalten, und auch im JohEv besitzt die dramatische Rede einen hohen Grad an Hinweisfunktion (Deixis): Durch die Verwendung betonter Personal- und Demonstrativpronomen sowie durch Adverbien werden die Rezipienten über die Darstellung in Raum und Zeit informiert: Sprache ersetzt bzw. untermalt die Geste (77­114) und Sprache ist Tat (114­149). Die hohe Präsenz deiktischer Redeelemente führt dazu, dass die Dialoge als eine Serie von Interaktionen zwischen den Figuren betrachtet werden können. Die zahlreichen, teilweise höchst anregenden Analysen und Überlegungen dieses komplexen Kapitels können hier nicht en detail besprochen werden. Wenn B. jedoch die dualistische Sprache des vierten Evangeliums, die zwischen den Kategorien ðobenÐ und ðuntenÐ laviert, mit der Räumlichkeit des antiken Theaters in Beziehung setzt, in dem das Publikum gleichsam von oben herab auf die skene blickt, ist dies eine formale Ähnlichkeit, die weiterführend sein könnte: »Given the design of Greek theaters, language of ðbelowÐ refers to the stage space, while ðaboveÐ points to the roof of the skene, upon which the gods appear. The audience also Š shares, by implication of the language and the ironic elements of the drama, the positive pole of the vertical axis« (103). Eine Analyse der Brotrede Joh 6 unter den von B. vorgeschlagenen Gesichtspunkten schließt das Kapitel ab (149­158).

Das dritte Kapitel »Dramatis Personae and the Illusion of Identity« (159­232) behandelt die Charakterisierung der Figuren. In vielem deckt sich dies mit den narrativen Analysen, die der Exegese bereits vorliegen. Erhellend sind die Analogien aus der Tragödienliteratur. Die Funktion des impliziten Erzählers als stasimon ergänzt B. durch ðdie JudenÐ, die ebenfalls Funktionen des dramatischen Chors übernehmen. Ein eigener Abschnitt ist den Frauen gewidmet (208­220), die im JohEv ausnehmend positiv gezeichnet werden; B. kommt u. a. zu dem Ergebnis, dass Jesus im Leiden eine Erfahrung durchläuft, die im antiken Drama und in der mediterranen Gesellschaft eng mit Frauen assoziiert ist (212). Fazit: »Jesus¹ encounters with women represent dramatically his rejection of the kind of authority that is substantiated with public recognition by men in political office or the conferral of honorific titles.« (220)

Im letzten Kapitel »Death Becomes Him« (233­255) vergleicht B. die genuin johanneische Darstellung des Todes Jesu als Erhöhung mit der tragischen Präsentation eines dramatischen Helden, der dem Tod sehenden Auges entgegengeht und dadurch zum unsterblichen Heros wird.

B. hat eine überaus anregende Studie vorgelegt, die neue und wichtige Impulse zur Lektüre des JohEv bietet. Der vierte Evangelist hat sicherlich nicht konsequent und ausschließlich dramatische Konventionen verwendet, wo sie aber eruiert werden können, bieten sie eine gute Möglichkeit, Dimensionen des vorliegenden Textes zu erschließen, die ansonsten verborgen bleiben müssten. Will man das JohEv unter dramatischen Gesichtspunkten behandeln, wird man an vorliegender Studie nicht mehr vorbeikommen.