Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

725–727

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fitzpatrick, Paul E.

Titel/Untertitel:

The Disarmament of God. Ezekiel 38­39 in Its Mythic Context.

Verlag:

Washington: The Catholic Biblical Association of America 2004. XVIII, 243 S. gr.8° = The Catholic Biblical Quarterly Monograph Series, 37. Kart. US$ 11,50. ISBN 0-915170-36-1.

Rezensent:

Rüdiger Liwak

Paul E. Fitzpatrick will den Ort und die mythischen Bezüge von Ez 38­39 in der Komposition des gesamten Buches bestimmen. Unmissverständlich lässt F. schon im Vorwort (XV­XVII) keinen Zweifel daran, dass sich sein Interesse nur auf die letzte Textstufe bezieht, die er »final form« nennt.

Der recht aufwendige Forschungsbericht zur Stellung von Ez 38­39 im gesamten Buch läuft im ersten Kapitel (1­48) darauf hinaus, die These einer kontextuellen Kohärenz der beiden Gog-Kapitel aufzustellen (46­48). Redaktionskritik wird nicht abgelehnt, in ihrem Erkenntnisgewinn aber auch nicht gewürdigt. Eine ezechielische Autorschaft will F. zwar für die »final form« des Buches insgesamt nicht behaupten, wie und wann es zu dieser Textgestalt gekommen ist, bleibt allerdings verborgen.

Von Ez 38­39 herausgefordert, erörtert F. im zweiten Kapitel (49­73) die Bedeutung von Mythen im Allgemeinen. Das sind »tales which express the beliefs of a people seeking to explain the world of powers and forces beyond their own which cannot be seen but whose effects are experienced« (51). Auf seine Untersuchung bezogen nennt er altorientalische Beispiele für eine Chaoskampf-Motivik, die von biblischen Autoren aufgenommen und mythopoetisch, d. h. kreativ verarbeitet worden sei.

Vom dritten Teil (74­81) an steht Ez 38­39 im Zentrum. Man wird hier durch eine Reihe von Wörtern, Wortverbindungen und formelhaften Wendungen, die die beiden Kapitel mit anderen Kapiteln (und anderen biblischen Büchern!) gemeinsam haben, auf das Phänomen der Intertextualität gestoßen, aber die Schlussfolgerung einer engen Verzahnung mit dem Kontext (80) und einer »strong editorial hand in the formulation of the final form« (81) lässt das Material schwerlich zu.

Trotz einer nahe liegenden Gliederung von Ez 38­39 auf Grund von vier Redeaufträgen in vier Redeeinheiten teilt F. im vierten Teil seiner Untersuchung (82­112) den Text ausschließlich nach inhaltlichen Aspekten in drei Teile auf: 38,2­17; 38,18­39,8; 39,9­20. In diesen Teilen findet F. die wichtigsten Elemente des Chaoskampf-Mythos ­ Chaos, Kampf, Sieg, Triumph ­ wieder, aber auch Einzelzüge, die er aus mesopotamischer und ugaritischer Mythologie zusammenträgt (103­112). Was fehlt (z. B. himmlische Ratsversammlung) oder umgedeutet wird (Jahwe als alleiniger Schöpfer und Herrscher), zeige besonders »the mythopoetic reformulation of the Israelite creation myth« (103).

Es handelt sich um eine Arbeit über Ez 38­39, gleichwohl ist das umfangreichste (fünfte) Kapitel den mythischen Elementen und kosmogonischen Themen in Ez 1­37 und 40­48, also dem übrigen Ezechielbuch, gewidmet (113­192). Die Fülle mythischer Parallelen, die in der Rezension nicht genannt werden können, ist beeindruckend und ein Problem zugleich, denn F. kommt kaum über eine phänomenologische Aufzählung hinaus. In der Regel sind es punktuelle Züge, nicht zusammenhängende Strukturanalogien, die miteinander verglichen werden. Texte werden leider nur sehr sparsam herangezogen, ohne dass jemals genetische Zusammenhänge in Betracht gezogen würden.

Der Ertrag am Ende der Untersuchung (193­198) gibt einen guten Überblick über die Ergebnisse. Grundlegend für F. ist das, was er »cognitive dissonance« zwischen traditioneller Theologie und Exilserfahrung nennt. Aus dieser Erfahrung heraus sei es zu einer Neugestaltung der mythischen Kosmogonie, speziell des Chaoskampf-Mythos, gekommen, wobei in der vorliegenden Buchgestalt »chapters 38­39, the decisive battle and defeat of Gog and his hordes, must take place if the covenant of peace promised in chapters 34­37 is to be realized and the Temple is to be re-established (chapters 40­48) whose function is both symbol and fulfillment of cosmogony¹s completion in the Israelite creation myth« (194). Damit wird nicht, wie üblich, Ez 38­39 die Rolle eines Versatzstücks zugeschrieben. Im Gegenteil: Beide Kapitel sind eine notwendige Schaltstelle im Gefüge der Heilserwartungen von Ez 37­48, denn erst die in Ez 38­39 angekündigte erfolgreiche ðletzte SchlachtÐ macht nach der Katastrophe von 587 v. Chr. den Weg frei für den erwarteten Friedensbund und den neuen Tempel (Ez 37,26): »In Ezekiel¹s telling of the final battle, the Divine Warrior himself effectively lays down his arms!« (181) So erklärt sich der doppeldeutige Titel der Arbeit.

Die Untersuchung von F. führt am Ezechielbuch die Bedeutung von mythopoetischen Traditionen in ðkanonischenÐ Textgestaltungen vor Augen. Gleichwohl bleiben viele Fragen: Was eigentlich ist die ständig erwähnte »final form« und wann wurde sie konzipiert? Gleich nach den Ereignissen von 587 v. Chr. kann es nicht gewesen sein, das wäre viel zu früh (vgl. aber 113), zumal Ez 38­39 über (späte) apokalyptische Elemente verfügt. Was muss man sich unter dem (ursprünglichen) »Israelite Cosmogonic Myth« (176 u. ö.) vorstellen, der in Ez 38­39 reformuliert sein soll, und wie soll die Vermittlung von ägyptischen, kanaanäischen und mesopotamischen »counterparts« (196) erfolgt sein, wenn »the myths of the region« (194) Voraussetzung sind, aber die Abhängigkeit von einem speziellen Mythos nicht nachweisbar ist (194)? F. verzichtet weitgehend darauf, die Topoi vom ðFeind aus dem NordenÐ, von einem eschatologischen Völkersturm und vom unüberwindlichen Gottesberg mit alttestamentlichen Kontexten zu konfrontieren. Das aber führt einseitig zu einem mythopoetischen Generalschlüssel für das Verständnis von Ez 38­39. F.s Verdienst, auf die mythischen Dimensionen der Texte stärker als die Literatur bisher hingewiesen zu haben, soll nicht bestritten werden. Das farbenreiche Gemälde von Ez 38­39 freilich, an dem über einen langen Zeitraum hin gearbeitet wurde, wirkt in der vorliegenden Untersuchung, die am Schluss eine ausführliche Bibliographie (199­226) und ein hilfreiches Stellen-, Autoren- und Sachregister bietet (227­243), blass und konturenarm.