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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

397–400

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Klueting, Harm, mit N. Hinske u. K. Hengst [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Katholische Aufklärung ­ Aufklärung im katholischen Deutschland.

Verlag:

Hamburg: Meiner 1993. VII, 443 S. gr.8° = Studien zum 18. Jahrhundert, 15. Geb. DM 138,­. ISBN 3-7873-1107-6.

Rezensent:

Ursula Goldenbaum

Der vorliegende Band vereinigt vor allem die Beiträge der Konferenz zum gleichnamigen Thema, die der Herausgeber Harm Klueting gemeinsam mit Norbert Hinske und Karl Hengst 1988 in Trier veranstaltete. Der Aufsatz Kluetings, der den Band eröffnet, bildet sowohl hinsichtlich der systematischen Einordnung der folgenden Beiträge als auch wegen seiner konzeptionellen, die mündliche Diskussion aufnehmenden Überlegungen zum Phänomen einer "katholischen Aufklärung" eine problemorientierte Einführung (1-35). K. thematisiert die grundsätzlichen Fragen, was eigentlich katholische Aufklärung sei, ob katholisch und Aufklärung überhaupt vereinbar seien und ob es sich nicht vielmehr ausschließlich um Aufklärung im katholischen Deutschland gehandelt habe. Gegen die vor allem von dem inzwischen verstorbenen Heribert Raab vorgebrachte Skepsis gegenüber dem "Unbegriff" einer katholischen Aufklärung, aber auch gegen den von v. Oer unterstrichenen übergreifend politischen Charakter einer absolutistischen Politik des Staatskirchentums und des Febronianismus als nachholende Modernisierung der katholischen Staaten im Reich, beruft sich K. auf die "Gegenrechnung" Norbert Hinskes, der in seinem Beitrag die "lutherische Lehre von der radikalen Verderbtheit der menschlichen Natur" als ein "schier unüberwindliches Hindernis" für den "Rationalismus der Aufklärung" ansehen möchte (dafür allerdings ein Beispiel aus dem 16. Jh. anführt), während die katholische "Tradition des lumen naturale der Aufklärung geradezu den Boden bereiten konnte". Damit ist wohl die "Möglichkeit von etwas ’Katholischem’ in der Aufklärung angedeutet", allerdings noch keine Erklärung für die Entstehung des Phänomens erst am Ende des 18. Jh.s gegeben, trotz der Versicherung, daß im "17. Jahrhundert alle Tendenzen der Aufklärung in katholischer Aufklärung in nuce vorhanden" waren (5).

Als Wurzeln der katholischen Aufklärung benennt K. zum einen den Spätjansenismus in Östereich und zum anderen den Einfluß der Aufklärung aus dem protestantischen Norden, den er a) durch das Studium Süddeutscher an norddeutschen Universitäten und b) durch die Rezeption der philosophischen Lehren der norddeutschen Aufklärung ­ Wolff und Kant ­ vermittelt sieht (12-13). Er läßt die erste Periode bereits in den 40er Jahren beginnen, der dann 1773 mit der Aufhebung des Jesuitenordens eine zweite Periode folge, in der es zu verschiedenen Reformprojekten im katholischen Bereich Deutschlands gekommen sei, bis ab 1780 mit dem Josephinismus Staatskirchenpolitik und Kirchenreformen auf die Tagesordnung gesetzt worden wären (15-16). Die Wirksamkeit katholischer Aufklärung sieht K. auf fünf Feldern gegeben: 1. innerhalb der katholischen Theologie und in der Kanonistik, 2. im reichskirchlichen Episkopalismus (16), 3. im Staatskirchentum (19) ("an sich keine Erscheinung der Aufklärung", aber durch Aufklärung verstärkt), 4. in der publizistischen Kritik am Mönchtum und Klosterwesen und 5. in praktischen Reformen, in deren Zentrum das Bildungswesen stand. Die Ergebnisse der Reformpolitik "katholischer Aufklärung" seien erst im 19. Jh. zum Tragen gekommen, während zugleich bereits 1803 mit der Säkularisierung eine antiaufklärerische Gegenbewegung entstand und durch das ganze 19. Jh. dominant blieb, mit der langfristigen Folge, daß "die Kräfte der Entkirchlichung und Entchristlichung, die im 19. Jh. in der (protestantischen) liberalen Theologie, in wichtigen Teilen des Bildungsbürgertums und in der sozialistischen Arbeiterbewegung wirksam waren und den Protestantismus wesentlich beeinflußten und veränderten, im deutschen Katholizismus dieser Zeit und in diesem Umfang kaum eine Entsprechung" (35) finden konnten. Der Syllabus errorum unter Papst Pius IX. gegen Religions-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, gegen staatliche Schulen, Liberalismus, Volkssouveränität und Demokratie, gegen Sozialismus und Kapitalismus prägte das Verhältnis der katholischen Kirche zur Aufklärung und insbesondere auch der katholischen Aufklärung bis weit in unser Jahrhundert. Zwei interessante und aufschlußreiche Beiträge zur Geschichte katholischer Positionen zur katholischen Aufklärung (Philipp Schäfer, 54-66) und inbesondere zur Geschichte der katholischen Forschung (Hans Maier, 40-53) führen das näher aus.

Weitere Beiträge thematisieren, entsprechend dem vom Herausgeber gespannten Rahmen, den Wolffianismus in der katholischen Aufklärung am Beispiel von Storchenau (Bruno Bianco, 67-103), den Einbruch der Geschichte in die Kanonistik und die Auswirkungen in Kirche und Reich (Heribert Raab, 119-141) sowie Aufklärung an katholischen Universitäten Deutschlands (Notker Hammerstein, 142-162, und Michael Trauth, 163-191); sodann werden Probleme der bayrischen Staatskirchenpolitik (Andreas Kraus, 119-141) und des Josephinismus in Österreich (Elisabeth Kovács, 246-259) auf der einen Seite, reformpolitische und kirchenpolitische Bestrebungen in den geistlichen Territorien andererseits (Friedhelm Jürgensmeier zur Kurmainzer Reformpolitik, 302-318; Alwin Hanschmidt zum Fürstbistum Münster, 319-334; Ludwig Hammermayer zum Erzstift Salzburg, 346-368; Günter Christ zum Hochstift Bamberg, 369-409) dargestellt und schließlich das unterschiedliche Verhältnis der Orden der Benediktiner und der Jesuiten zur Aufklärung (Georg Heilingsetzer, 208-224; Winfried Müller, 223-245). In nur je einem Beitrag werden schließlich auch Literatur und Publizistik zum Gegenstand der Untersuchung, die natürlich in der Forschung zur Aufklärung im protestantischen Deutschland einen qualitativ ganz anderen Stellenwert besitzen (Hans-Wolf Jäger über Mönchskritik und Klostersatire, 192-207, sowie Roger Bauer über josephinische Literatur, 260-270).

Die Beiträge geben ganz überwiegend konzentrierte und sehr informative Darstellungen zu den behandelten Themen und erörtern im je besonderen Blickwinkel die Grundfragen der Konferenz. Der Band bietet zugleich einen guten Überblick über die Forschung zur katholischen Aufklärung, wozu natürlich auch die Auswahlbibliographie beiträgt, die der Herausgeber unter Beteiligung der Beiträger dankenswerterweise zusammengestellt hat (411-425).

Wenn dennoch einige zentrale Fragen der Aufklärungsforschung außer Betracht bleiben, so ist das wohl weniger den Beiträgern, auch nicht dem Herausgeber anzulasten, sondern dem Stand der Forschung zu diesem Gegenstand. Dazu gehört sicherlich die Frage, inwieweit die Rezeption der Aufklärungsliteratur ­ und zwar Bücher, Zeitschriften und Zeitungen ­ aus dem "Norden" Deutschlands wie auch aus Frankreich, England und den Niederlanden nicht weitaus bedeutsamer gewesen ist als die doch begrenzt bleibende Zahl von katholischen Studenten an protestantischen Universitäten.

Durch den grenzüberschreitenden Markt der Buchhändler konnte man auch im katholischen Bereich aus Zeitungen und Zeitschriften erfahren, was in anderen Teilen des Reiches und Europas diskutiert wurde, konnte man im gelehrten Artikel der im ganzen Reich vertriebenen Tageszeitung "Hamburgischer Correspondent" seit den 30er Jahren Verteidigungen der wolffianischen Philosophie lesen. Die Publizistik als besonders authentische Form der Aufklärung in England, den Niederlanden und im Norden Deutschlands scheint noch nicht im Zentrum der Forschung zur katholischen Aufklärung zu stehen. Zum Beispiel wird der Wiener katholische Aufklärer von Sonnenfels, der ja auch im protestantischen Bereich publizierte und zur Kenntnis genommen wurde, in dem Band gar nicht berücksichtigt. Auch die Kontakte der katholischen Aufklärung zu den Aufklärern aus dem protestantischen Norden bleiben ausgeklammert, obgleich ja immer wieder auf deren Vorbildwirkung verwiesen wird.

Die ideengeschichtliche Orientierung auf den Einfluß norddeutscher aufgeklärter Philosophie von Wolff bis Kant geht in vielen Beiträgen, insbesondere bei Hammerstein, an der zeitlich ja ganz unterschiedlichen Funktion dieser Philosophien im Verlauf des 18. Jh.s vorbei. Hammersteins Urteil, daß es an den katholischen juristischen Fakultäten eine stärkere Rezeption Wolffs gab als an den protestantischen, ist sicherlich zuzustimmen; allerdings ist die entscheidende Wirkung Wolffs für die Aufklärung im protestantischen Deutschland, insbesondere für die Neubestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie, von seiner Philosophie und seinen methodischen Prinzipien ausgegangen; die großen öffentlichen Debatten darum mit ihrer mobilisierenden Wirkung, in denen die Möglichkeit von Aufklärung mit Religion ausgelotet wurde, fanden im Norden bereits in den 20er und 30er Jahren statt.

Schließlich scheint mir die alte Rede vom "Sonderweg" der deutschen Aufklärung, die, anders als die kirchenfeindliche französische Aufklärung, eine "Aufklärung mit und durch Theologie und Kirche" gewesen sei, im Rahmen der europäischen Aufklärung anachronistisch geworden zu sein, da überhaupt nur die französische Aufklärung, und näherhin auch da nur in Paris, als Repräsentant für eine "Aufklärung gegen Theologie und Kirche" gelten kann. Weder in England, noch in den Niederlanden wird man einen radikalen Atheismus oder die Ablehnung der Kirche für ein typisches Phänomen von Aufklärung halten können. ­ Müßte daher nicht endlich einmal die französische Aufklärung, die ja einer beinah rein katholischen Kultur entsprungen ist und einige Abbés zu ihren Vertretern zählen konnte, als die eigentliche "religionsphilosophische Besonderheit" gelten? Und müßte die katholische deutschsprachige Aufklärung nicht stärker mit anderen katholischen Aufklärungen in Frankreich, Spanien und Italien verglichen werden? Ganz sicher ist K. aber zuzustimmen, daß die religionsfreundliche Haltung der deutschen katholischen Aufklärung nicht nur mit dem protestantischen Vorbild zusammenhing, sondern schlechthin "mit dem Nebeneinander zweier konfessionell unterschiedlich gefärbter intellektueller Kulturen" (4).

Ein Personenregister und auch ein kommentiertes Verzeichnis der Autoren und Herausgeber beschließen den Band, der gründlich redigiert und vom Verlag in solider Gestaltung vorgelegt wurde.